Nach Mordserie von Niels H. So schützen Bonner Krankenhäuser Patienten vor Kriminellen

Bonn · Möglicherweise ist Niels H. der Massenmörder mit den meisten Opfern in Nachkriegsdeutschland. Wie es dazu kommen konnte und wie man Patienten gegen Kriminelle wie H. besser schützen kann, beschäftigt auch Bonner Krankenhäuser.

 Auf Hilfe angewiesen: Krankenhauspatienten sind, besonders wie hier auf einer Intensivstation, in den Händen des Klinikpersonals. Das ist eine besondere Vertrauensposition.

Auf Hilfe angewiesen: Krankenhauspatienten sind, besonders wie hier auf einer Intensivstation, in den Händen des Klinikpersonals. Das ist eine besondere Vertrauensposition.

Foto: picture alliance / dpa

Sind Krankenhäuser sichere Orte für Patienten?

Christian Paul: Die Frage stellen wir uns alle in der medizinischen Versorgung jeden Tag. Grundsätzlich würde ich sie trotz der Ereignisse in Oldenburg und Delmenhorst bejahen. Aber wir müssen offensichtlich alle noch aufmerksamer sein.

Niels H. soll 90 Menschen mit Medikamenten getötet haben. Unregelmäßigkeiten und Häufungen in der Sterblichkeit der Patienten blieben unbeachtet. Wie bewerten Sie diesen Fall?

Wolfgang Holzgreve: Es handelt sich um eine unfassbare Tragödie und den maximalen Vertrauensbruch für die Patienten und ihre Angehörigen, weil diese sich ja den medizinischen Teams im Krankenhaus zur Diagnostik und Therapie anvertrauen. Hier sind sie offensichtlich auf einen Massenmörder getroffen.

Wie konnte so etwas passieren?

Paul: Die Verantwortlichen haben die vorliegenden Hinweise nicht früh genug geprüft. Das haben die betroffenen beiden Häuser selbst erkannt. Dort werden die Toten jetzt doppelt auf ihre Todesursache hin untersucht.

Kann man ausschließen, dass Pfleger oder Ärzte Patienten in ihrer Obhut töten?

Paul: Der Oldenburger Fall ist mit Sicherheit eine große Ausnahme. Allerdings gibt es Gewalt im Krankenhaus in verschiedenen Ausprägungen. Das kann schon ein böses Wort oder eine unwirsche Geste sein.

Ist der Fall womöglich eine Folge des großen Personalmangels gerade auf Intensivstationen?

Paul: Personalmangel ist ein Systemproblem in der Pflege. Es sind immer weniger Menschen bereit, sich in diesem schweren Beruf zu engagieren. Wir schulen im Moment alle Mitarbeiter, wie man mit dem daraus folgenden Stress umgehen kann. Im schlimmsten Fall muss ein Haus dann aber auch Betten schließen, um Stresslevel abzubauen. Das kommt in Bonner Krankenhäusern immer wieder einmal vor. Wir haben als Johanniter trotz einer wirtschaftlich nicht einfachen Situation viel Geld in die neue Krankenpflegeschule investiert. So können wir die Mitarbeiter oft schon vom ersten Tag an begleiten. Das Vertrauen hilft sicher auch, Veränderungen im Verhalten zu erkennen.

Welche Sicherheitssysteme hat das Universitätsklinikum Bonn als größtes Krankenhaus der Region?

Holzgreve: Wir haben über die gesetzlich vorgeschriebenen Sicherheitsmaßnahmen zur Qualitätskontrolle hinaus unsere Prozesse freiwillig als eines der ersten vier Uni-Klinika in Deutschland vom Tüv zertifizieren lassen und nehmen an der Initiative Qualitätsmedizin (IQM) in Deutschland teil, bei der regelmäßig Ergebnisse unserer Behandlungen von Kollegen anderer Fachkliniken beurteilt werden, um Auffälligkeiten so früh wie möglich zu identifizieren. Wichtig ist auch unser allen Berufsgruppen zugängliches Fehlermeldesystem CIRS, bei dem jeder Mitarbeiter online und vor allem anonym Fehler melden kann, die dann sofort von Experten bei uns bearbeitet werden. Außerdem haben wir in Deutschland die einzige Professur ausschließlich für Patientensicherheit.

Und wie sieht es am Johanniter Waldkrankenhaus aus?

Paul: Wir führen regelmäßig Morbiditäts- und Mortalitätskonferenzen durch. Dort werden unerwartete Todesfälle interdisziplinär nach einem festen Muster besprochen. Außerdem beteiligen wir uns an mehreren freiwilligen Qualitätssystemen. Dabei werten externe Experten unsere Behandlungsdaten aus. Eine Serie ungewöhnlicher Todesfälle würde sehr schnell auffallen, wenn wir aus der statistischen Norm fallen würden. Genauso wichtig ist es, dass von der Reinigungsfrau bis zur Auszubildenden jeder zu mir kommen kann, um Auffälligkeiten zu melden.

Patientenschützer fordern eine gesetzliche Regelung für ein anonymes Meldesystem. Sind Sie dafür?

Paul: Man kann gar nicht zu viel machen. Alle Schutzmechanismen, die nicht zu abstrakt und aufwendig sind, halte ich für vernünftig.

An wen sollen Patienten oder Angehörige sich wenden, wenn sie Zweifel an einer Behandlung haben?

Paul: Erste Bezugsperson ist natürlich der behandelnde Arzt. Wenn Patienten sich dort missverstanden oder nicht ernst genommen fühlen, dann sind Patientenfürsprecher, die Pflegedirektion oder der Ärztliche Direktor Ansprechpartner. Dort kann man sich am Johanniter Waldkrankenhaus direkt per E-Mail melden. Die Pflegedirektion, der Kaufmännische Direktor, der Qualitätsbeauftragte und ich bekommen jede Form der Beschwerde und jedes Lob auf den Schreibtisch.

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