Erster Weltkrieg So erlebte Bonn das Kriegsende 1918

BONN · Zuversichtlich zogen die Bürger in die Schlacht, bei ihrer Heimkehr ist von dem Enthusiasmus nicht viel übrig geblieben: Eine Ausstellung im Stadtmuseum erinnert ab dem 5. September an das Kriegsende 1918 und an das Leid der Daheimgebliebenen.

Es ist eine traurige Soldatenkolonne, die da im November 1918 über die ehrwürdige Bonner Rheinbrücke, die Vorgängerin der heutigen Kennedybrücke, zog. Einige Pkw, aber vor allem Pferdewagen transportierten das, was die Kämpfer des Deutschen Reiches nach ihrer Niederlage an der Westfront noch retten konnten. Einige Bonner Passanten blieben stehen und schauten offenbar nachdenklich zu jenen Männern herüber, unter denen sich wohl auch jede Menge Erblindete, Verstümmelte und Traumatisierte befunden haben dürften.

Andere Bonner gingen im Novembernebel auf der alten Rheinbrücke bedrückt weiter ihres Weges. Lachende Gesichter und freudig geschwenkte Kappen wie beim Auszug der Bonner Truppen gut vier Jahre zuvor sind nirgendwo auf dem historischen Foto zu sehen. Es wird als Themenbild ab Mittwoch, 5. September, im Bonner Stadtmuseum in der Ausstellung „100 Jahre Ende des Ersten Weltkrieges“ zu sehen sein. Veranstalter der Ausstellung ist das Stadtarchiv. Die Grundlage bildet die vor rund 100 Jahren angelegte Kriegssammlung des Stadtarchivs, erstmals werden Fundstücke aus der Sammlung gezeigt.

Macke zieht in den Krieg

Zu Kriegsanfang am 8. August 1914 hatten sich, auch das zeigt die Ausstellung auf historischen Fotos, am Friedhof an der Weststraße Angehörige des Rheinischen Infanterieregiments Nr. 160 zum Abschied aufgestellt. Auch die Familie des berühmten Malers August Macke war dabei gewesen. Mackes Sohn „Walterchen“ hatte extra dafür seinen Spielzeugsäbel umgeschnallt und einen Helm aufgesetzt. „Die Soldaten sangen und riefen den Menschen zu“, das hatte damals Mackes Ehefrau Elisabeth noch notiert. Kurze Zeit später erhielt sie schon die niederschmetternde Nachricht: Ihr Mann war sofort an der Westfront gefallen. Die Verlustzahlen waren insgesamt immens. Nach fünf Wochen lebten nur noch weniger als die Hälfte der so fröhlich ausgerückten Soldaten.

Im Novembernebel 1918 auf der alten Bonner Rheinbrücke wurde dann wohl kaum gesungen. Wie Hunderttausende andere einst als Helden gefeierte Soldaten kehrten auch diese Männer gut vier Jahre danach geschlagen und zum Teil verkrüppelt von der Front zurück.

Unvorstellbares war passiert

In ihren Gesichtern dürften sich die Horrorvisionen des sinnlosen Gemetzels abgezeichnet haben. Die Bonner standen schweigend am Rande. Unvorstellbares war passiert. Dieser langsame Zug eines besiegten Heeres auf der Rheinbrücke erzählte den Bonnern von der Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts. Der Erste Weltkrieg hatte 17 Millionen Menschen das Leben gekostet und sollte, im Rückblick gesehen, für Europa den Auftakt des noch mörderischeren Zweiten Weltkriegs darstellen.

Und genau dieses trostlose Brückenfoto von Alfred Groß aus dem November 1918 gibt das Thema der neuen Ausstellung im Bonner Stadtmuseum vor. Es geht um das furchtbare Ende dieses Krieges vor genau 100 Jahren. Es geht dem Team um den Ausstellungskuratoren, den Historiker Erhard Stang, darum, einen Blick darauf zu werfen, was vier Jahre Kriegsalltag für die Bürger bedeuteten. Und das ist übersichtlich und griffig nach verschiedenen Themenkreisen in Text und Bild aufgearbeitet.

Hier einige Beispiele. Die politische Aufklärung: Die lokale Presse mit ihren ständigen Siegesmeldungen ließ die Bevölkerung mit dem Geschehen allein: So wurde das Massensterben bis zuletzt von den Bürgern als gerechter Verteidigungskrieg angesehen, wenn auch nur von ultranationalistischen Kreisen begeistert gefeiert. Für den Ausbruch wurden Russland und Großbritannien verantwortlich gemacht. Die unbedingte Loyalität zum deutschen Kaiser sollte erst am Kriegsende bröckeln. Aber auch noch am 18. August 1918 schrieb der GA über den Tod seines Mitarbeiters Josef Pütz, der ansonsten so frohgemute Schriftsetzer sei „für das Vaterland auf dem Feld der Ehre“ gefallen.

Der Schock über die Waffenstillstandsbedingungen traf die Bonner ein paar Wochen später umso mehr. Der wirtschaftliche Abstieg: Mit dem Kriegsausbruch war 1914 für Bonn und die umliegenden Gemeinden eine Periode wirtschaftlichen und sozialen Aufschwungs abrupt zu Ende gegangen. Von diesem Wohlstand war nach vier Jahren Krieg nicht mehr viel übrig. In allen Lebensbereichen herrschte Mangel: an Lebensmitteln, Bekleidung, Brennstoffen oder auch Reinigungsmitteln. Seit Jahren gab es Waren nur noch auf Karte. Durch den Mangel an Arbeitskräften waren zahlreiche Frauen in Stellen für Männerberufe nachgerückt. Ende 1918, als die überlebenden Soldaten wieder in die Stadt zurückkehrten, mussten die Frauen die Stellen wieder räumen.

Da Bonn im Rahmen der deutschen Kriegsrüstung kaum eine Rolle spielte, diente es überregional als Lazarettstandort. In den vier Jahren wurden fast 67 000 Verwundete medizinisch versorgt. Tausende starben an ihren Verletzungen. Neben den Unikliniken und zahlreichen Godesberger Kureinrichtungen wurden auch die Beethovenhalle, das Collegium Albertinum und Leonium, das Adelheidisstift und sogar die Redoute in Lazaretts umfunktioniert. Freiwillige Helfer, besonders Frauen, engagierten sich hier über die Jahre.

Wichtiger Lazarettstandort

Etwa 4000 Bonner Soldaten verloren bis 1918 ihr Leben. Hinzu kamen 720 gefallene auch auswärtige Studenten der Universität. Kaum eine Familie blieb vom Krieg verschont. Die Zahl der Kriegswaisen war erheblich. Bei Fliegerangriffen gab es in der Stadt im letzten Kriegsjahr 30 Tote und zahlreiche Verletzte. Trotz mangelhafter Versorgung war niemand an Hunger gestorben. Im Herbst 1918 brach aber die „Spanische Grippe“ aus. Binnen weniger Wochen erkrankten mehr als 5000 Personen. Von ihnen starben 288. Dazu grassierten besonders in den ärmeren Bevölkerungsschichten Tuberkuloseerkrankungen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort