Leitstelle weist Anruferin ab Schwangere verzweifelt am Notruf 112 in Bonn

BONN · Nach einer Beschwerde über das Verhalten eines Disponenten entschuldigt sich die Leitstelle der Feuerwehr. Leitung spricht von einem Einzelfall und klagt über fehlendes Personal.

 Leitstelle der Bonner Feuerwehr auf der Feuerwache 1 in Tannenbusch; Disponenten bei der Arbeit.

Leitstelle der Bonner Feuerwehr auf der Feuerwache 1 in Tannenbusch; Disponenten bei der Arbeit.

Foto: Axel Vogel

Die 112 ist für Notfälle reserviert. In der Feuerwehrleitstelle sollten Experten sitzen, die so schnell wie möglich die benötigte Hilfe veranlassen. In Bonn sind dafür Disponenten, speziell geschulte Feuerwehrleute, rund um die Uhr zuständig. Rund 75.000 echte Notrufe laufen pro Jahr ein. Die Herausforderung ist, unter rund 300.000 Anrufern pro Jahr tatsächliche Notfälle zu identifizieren. Böswillige Alarmierungen gilt es ebenso herauszufiltern wie medizinisch weniger heikle Fälle, wo etwa eine private Fahrt ins Krankenhaus zumutbar erscheint.

Die Frage, ob die Leitstelle im Einzelfall die erforderliche Nothilfe gewährleistet hat, beantwortet ein Bonner Ehepaar mit „Nein“. Anfang November wurde der Ehemann Zeuge, wie seine schwangere Frau, eine ausgebildete Intensivkrankenschwester, höchst negative Erfahrungen machen musste. „Meine Frau hatte seit 15 Stunden keine Nahrung und kein Wasser mehr bei sich behalten können und musste sich ein- bis zweimal pro Stunde übergeben, nebst anhaltendem Durchfall.“

Sie wollte einen Krankentransport ins Krankenhaus, was aus Sicht des Disponenten kein Fall für den Notruf war. So, wie das Telefonat verlief, fühlte sich die Familie „nicht ernstgenommen“. Der Disponent soll der in der 16. Woche Schwangeren „ein psychisches Problem“ unterstellt haben und habe sie „auf übelste Weise heruntergemacht, diese Nummer gewählt zu haben“. Auch wenn dem Bonner bei einem zweiten Anruf ein anderer Disponent weiterhalf, war der Ärger groß, dass er eine Beschwerde an die Stadt schickte.

„Das war ein absoluter Einzelfall“

Der General-Anzeiger hakte bei Carsten Schneider, Abteilungsleiter Einsatz, Organisation, Personal der Feuerwehr, sowie Jörg Schneider, dem angehenden Leiter der Leitstelle, nach. In der Leitstelle hat man den Fall im Zuge des üblichen Beschwerde- und Qualitätsmanagements überprüft und sich bei der Familie entschuldigt. „Das war ein absoluter Einzelfall“, sagen die beiden.

„Wir sind uns klar über die Sensibilität des Notrufes und die Tatsache, dass wir oft die letzte Bastion für Hilfesuchende sind“, sagt Jörg Schneider, der lange Zeit selbst Disponent war. Es sei Maßgabe, „den Anrufer in der Leitstelle in einer absoluten Ausnahmesituation abzuholen“. Anders formuliert: Die Disponenten sind geschult, auch einen aufgewühlten Anrufer zu den für den Hilfseinsatz wichtigen Angaben „hinzuführen“, ergänzt Carsten Schneider, der stellvertretender Feuerwehrchef ist.

Dass dies in hohem Maß gelinge, belegt laut Carsten Schneider die Statistik: „Bei rund 75 000 Notrufen pro Jahr gehen bei uns zwischen 15 bis 20 Beschwerden ein. In drei bis fünf Beschwerdefällen gibt es dann internen Gesprächsbedarf.“ Von einer Häufung solcher Fälle könne keine Rede sein. Was oft zu Beschwerden führt, erklärt er so: „Das subjektive Empfinden des Notrufers ist ein anderes. Etwa, was die Zeit bis zum Eintreffen der Retter angeht oder die Frage, was für Rettungsmittel eingesetzt werden.“

Fest steht: So, wie die schwangere Anruferin von dem Disponenten behandelt wurde, hätte es nicht laufen dürfen. Jörg Schneider moniert, dass „der Disponent die vorgegebene Abfragestruktur verlassen hat“. Dass sei mit ihm in der Nachbereitung besprochen worden – und habe zu der Entschuldigung geführt.

Nach GA-Informationen soll der Chef der Leitstelle, der als ausgesprochen erfahren gilt, seit rund anderthalb Jahren kaum mehr Dienst tun. Dem Vernehmen nach muss er weit mehr als 1000 Überstünden abbauen, bevor er Anfang des nächsten Jahres in den Ruhestand geht. Nach GA-Recherchen kein Einzelfall: Von den 300 hauptamtlichen Feuerwehrleuten sollen rund 90 Prozent eine hohe Zahl an Überstunden haben, besonders die Führungskräfte.

Disponent hat vorgegebene Abfragestruktur verlassen

Muss sich die Leitstelle dennoch Kritik gefallen lassen, weil es möglicherweise manchem Disponenten an Erfahrung fehlt und deshalb mitunter zu zurückhaltend Rettungsmittel in Bewegung gesetzt werden? Zutreffend ist laut Carsten Schneider, dass der Leiter der Leitstelle in Ruhestand gehe, und Überstunden abbaue. Gleichwohl habe das Thema keine Auswirkung auf die Qualität des Personals. „Unsere Disponenten werden alle so umfassend ausgebildet, dass sie vom ersten Tag an einsatzbereit sind.“ Dazu gehöre, dass sie sogar in der Lage seien, am Telefon eine Reanimationsanleitung durchzuführen.

Allein in den ersten vier Monaten des Jahres habe es 30 solcher teils hochdramatischen Fälle gegeben. Aber es könne eben auch passieren, dass ein Disponent nach der Abfrage des Notrufers zu der Entscheidung gelange, dass der Fall nichts für die Feuerwehr oder den Rettungsdienst sei. In dem geschilderten Beschwerdefall habe es sich um einen „ausgesprochen erfahrenen Mitarbeiter“ gehandelt.

Lässt sich die Qualität der Arbeit auf der Leitstelle im Umgang mit Notrufen durchweg messen? Die Auswertung eines jeden Notrufes wäre wünschenswert, „ist aber so nicht machbar“, sagt Jörg Schneider, der auch Qualitätsbeauftragter ist. Es fehle an Personal, und das habe die Feuerwehr im politischen Raum „auch hinterlegt“, ergänzt Carsten Schneider. Bonn hat das besonders ambitionierte Ziel, dass ein Notruf innerhalb von fünf Sekunden angenommen werden muss. Das wird laut Carsten Schneider „in 65 Prozent der Fälle erreicht“. Würde die Messlatte – wie anderswo auch – auf zehn Sekunden gelegt, wäre diese Quote deutlich höher.

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