Prozessauftakt in Bonn Sauerstoffzufuhr bei in Koma liegender Mutter gekappt

Bonn · Im September 2018 soll ein heute 43-jähriger Mann auf der Intensivstation die lebenserhaltenden Schläuche bei seiner Mutter entfernt haben. Die Frau überlebte zunächst, starb dann aber 14 Tage später.

Wegen versuchten Totschlags muss sich ein 43-Jähriger seit Donnerstag vor dem Bonner Schwurgericht verantworten. Er hatte am 9. September 2018 auf der Intensivstation bei seiner im Koma liegenden Mutter alle lebenserhaltenden Schläuche gezogen. Weil der Mann zwei Monate nach seiner Verhaftung auch noch Kleidungsstücke und Matratze in seiner Gefängniszelle angezündet haben soll, wird ihm zudem eine versuchte schwere Brandstiftung vorgeworfen. Die Richter müssen zudem prüfen, ob der Angeklagte endgültig in einer Psychiatrischen Klinik untergebracht werden muss.

„Mir ist die Hölle durch den Kopf gegangen“, flüsterte der Angeklagte, als er sich am Donnerstag vor Gericht an den 9. September erinnerte. Seit zwei Wochen lag seine Mutter im Wachkoma. Nach einem Sturz mit Hirnblutung konnte die 78-Jährige sich nicht mehr bewegen, nur ab und zu ihre Augen öffnen. Das klinische Szenario machte den Sohn fertig. All diese Schläuche, die so tief im Hals steckten, das müsse doch furchtbar wehtun, meinte der 43-Jährige und glaubte an diesem Tag seine Mutter retten zu müssen. Wenn er die Schläuche abnehmen würde, so dachte er, dann würde es ihr besser gehen. Dann riss er laut Anklage seiner Mutter die Sauerstoffmaske vom Gesicht, drehte die Sauerstoffzufuhr ab, schraubte den Venenkatheter ab und kappte die Zufuhr der Magensonde. Schließlich schaltete er noch den Alarmknopf auf dem Monitor am Patientenbett aus. „Dann wurde es still.“

Angeklagter leidet schubweise an wahnhafter Schizophrenie

Die 78-Jährige überlebte das Attentat ihres Sohnes durch einen Zufall: Einer Medizinstudentin, die just die Patientendaten auf einem zentralen Monitor der Station überprüfte, war der lebensbedrohliche Zustand der 78-Jährigen aufgefallen. „Die Sauerstoffsättigung war in einem kritischen Bereich“, sagte die 19-jährige Zeugin, die damals ihr Praktikum auf der Neurochirurgie machte, und schlug Alarm. Im Zimmer traf sie auf den Sohn, der „teilnahmslos neben dem Bett seiner Mutter saß und gemurmelt haben soll: „Ihre Seele stirbt. Das macht alles keinen Sinn mehr.“

Die Ärzte konnten die 78-Jährige, die sich in der Klinik auch einen resistenten Keim eingefangen hatte, wieder stabilisieren. Zwei Wochen später jedoch starb die Frau. Ihr Tod hat laut Anklage keinen Zusammenhang mit dem Vorfall. „Ich habe einen Fehler gemacht“, räumte der 43-Jährige im Prozess ein und fügte leise hinzu: „Ich hoffe, sie ist jetzt an einem besseren Ort.“ Die Polizisten, die ihn damals in der Klinik festnahmen, trafen auf einen verwahrlosten und verwirrten Mann, der sich nicht weiter wehrte. „Er war nur halbseitig rasiert, das Zahngebiss in der Tasche, der Mundschutz baumelte noch am Hals“, schilderte einer der Beamten die Situation. „Der Mann war seelisch total fertig.“

Seit vielen Jahren leidet der Angeklagte schubweise an einer wahnhaften Schizophrenie. Nicht ausgeschlossen, dass er zur Tatzeit nur eingeschränkt schuldfähig war. In die Klinik für Forensische Psychiatrie kommt der 43-Jährige jedoch erst zwei Monate später, nachdem er im November 2018 in der Haft mit einem Feuerzeug ein Feuerchen macht. „Mir war so kalt“, erklärte er am Donnerstag, da habe er sich wärmen wollen. Der Brand wurde noch rechtzeitig entdeckt und die Flammen von Wachtmeistern gelöscht. Der Prozess wird fortgesetzt.

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