Salafisten-Vereinigung "Die wahre Religion" Razzia in Bonn: Ende einer salafistischen Mission

BONN · Deutschlandweit führte die Polizei am Dienstag Razzien durch. In Bonn lebten die Köpfe der Salafistenorganisation „Die wahre Religion“. Jetzt ist die Vereinigung verboten.

Die Geschichte der „Lies!“-Aktionen endet dort, wo sie einst begann. Es war ein Frühlingstag im Jahr 2012, als auf dem Bad Godesberger Theaterplatz plötzlich Salafisten auftauchten, einen Klapptisch aufstellten und zu ihrer Mission in die deutsche Gesellschaft starteten. Großes hatten sie sich vorgenommen. Jeder Haushalt sollte mit einem deutschsprachigen Exemplar des Koran ausgestattet werden. Ausgegeben hatte das ambitionierte Ziel der Salafist Ibrahim Abou-Nagie. Und er meinte es ernst: In nahezu jeder deutschen Großstadt sind die bärtigen Männer mit ihren Bücherstapeln in den vergangenen vier Jahren präsent gewesen. Damit ist nun Schluss. Die Bonner Wohnung von Abou-Nagie ist am Dienstagmorgen einer der Schauplätze der Razzia gegen die deutsche Islamistenszene.

Als um 6.30 Uhr der Mitarbeiter eines Schlüsseldienstes die Tür im vierten Obergeschoss des Mehrparteienhauses der Carl-Justi-Straße in Endenich öffnet, da ahnen die in Zivil gekleideten und teilweise mit Sturmhauben versehenen Polizeibeamten hinter ihm bereits, dass wohl weder der 52-jährige Mitbegründer der Organisation „Die wahre Religion“, noch seine Lebensgefährtin zu Hause sind. Langweilig wird den Ermittlern, die mit einem Bus und mehreren Zivilautos vorgefahren sind, gleichwohl nicht.

Draußen warten Vertreter überregionaler Medien, und einige von ihnen sind unter Überwindung aller behördlichen Geheimhaltungsstufen noch vor der Polizei in Endenich auf dem Posten gewesen. Drinnen sichern die Beamten Papiere und Unterlagen, die das Vereinsverbotsverfahren stützen sollen. Ziel der Ermittler ist vor allem Material, mit dem sich zwei bestimmte Verdachtsmomente erhärten ließen: dass die Spenden, die bei der Koranverteilung gesammelt werden, über Umwege zu den Dschihadisten im Nahen Osten gelangen, und dass an den Ständen Islamisten angeworben werden.

Durchsuchungen in Bonn

An vier anderen Orten in Bonn die gleichen Szenen: An der Hubert-Peter-Straße in Friesdorf etwa durchsuchen Beamte die Wohnung von Abu-Nagies langjährigem Mitstreiter Said El-E., in Islamistenkreisen besser bekannt als Abu Dujana. Und der junge Bonner Konvertit Clemens F., der an den Koranverteilständen vor allem wegen seines schmalen, blässlichen Äußeren ins Auge fiel, schreibt aus der Nordstadt an seine Freunde im Internet: „Um 6.30 haben die bei mir geklingelt mit Waffen und Schutzwesten wie im Kino und alles von ‚Lies!‘ und meinen PC und mein Handy einkassiert.“

Weitere Durchsuchungen gibt es am Siegweg in Friesdorf und an der Wurzerstraße in Plittersdorf. Während den Bonner Polizisten zum Abtransport von Beweismaterial Kartons und Taschen genügen, haben die Kollegen in Pulheim deutlich schwerer zu tragen. Sie dringen am Morgen in das Nachschublager der Koranverteiler nahe dem Ortsteil Glessen vor. Umgeben von Feldern lagern in einer Halle Tausende deutsche Versionen des Koran und harren auf Paletten ihrer Verbreitung. Vor vier Jahren habe er die Halle an einen Mann aus Köln vermietet, erzählt der Bauer am Rande der Polizeiaktion mürrisch. Ob er seinen Mieter noch einmal wiedersieht, ist fraglich. Zumindest, sofern es sich bei dem „Mann aus Köln“ um den Kopf der Organisation „Die wahre Religion“ gehandelt haben sollte.

Zuletzt jedenfalls sandte Ibrahim Abou-Nagie im Sommer Lebenszeichen aus Brasilien, wo er wie so oft auf Missionierungstour unterwegs gewesen war. Inzwischen, heißt es, sei er in Malaysia. Anfang dieses Jahres hatte er noch als Angeklagter vor dem Kölner Amtsgericht gestanden. Da aber ging es nicht um die Koranaktion, sondern um den Vorwurf, er habe sich zu Unrecht Hartz-IV-Leistungen in Höhe von 54000 Euro erschlichen.

Ibrahim Abou-Nagie in Bonn unterwegs

Weil seine Haftstrafe von 13 Monaten zur Bewährung ausgesetzt worden war, konnte man den 52-Jährigen weiterhin regelmäßig in Bonn treffen, wo er offenbar nicht nur Korane verteilte. Hier lebt der verheiratete Langzeitarbeitslose und Vater von drei Kindern seit Kurzem mit einer weiteren Lebensgefährtin zusammen. Gemeinsam mit einem kleinen Kind seien die beiden kürzlich eingezogen, erzählt eine Nachbarin. Die Frau trägt einen deutschen Namen und verberge ihr Gesicht stets unter einem Schleier. Und Abou-Nagie selbst? „Eine gruselige Erscheinung“, sagte die Endenicherin.

Abou-Nagie und Bonn, das ist eine längere Geschichte. Als exponierte Organisation zeigt auch „Die wahre Religion“ permanent Präsenz in der „Salafistenhochburg“. In Fachkreisen gilt die Gruppe als missionarischer Arm militanter Parallelorganisationen wie etwa der bereits verbotenen Vereinigung „Millatu Ibrahim“, deren bekanntestes Gesicht bis heute der frühere Rapper Denis Cuspert alias Deso Dogg ist. Wiederholt ist Cus-pert in den vergangenen Jahren für tot erklärt worden. Jedes Mal hieß es, der Macher dschihadistischer Kampfvideos sei bei Kämpfen unter der Flagge des Islamischen Staates gestorben; jedes Mal galt die Nachricht als ungesichert. Im Dezember 2012 jedenfalls lebte Deso Dogg noch – und veröffentlichte im Internet eine Grußbotschaft an die „Geschwister aus Bonn“. Gemeint waren die Salafisten, an deren Seite Cuspert am 4. Mai 2012 in Bonn-Lannesdorf die Straßenschlacht mit der Polizei anzettelte, bei der zwei Beamte mit Messern schwer verletzt wurden.

Einer wurde in Cusperts Grußbotschaft namentlich erwähnt: Said El-E. alias Abu Dujana, dessen Wohnung an der Hubert-Peter-Straße jetzt zum Ziel der Ermittler wurde. Der 34-jährige Abu Dujana, Sohn eines arabischen Predigers aus Bonn, wiederum gilt als enger Vertrauter von Abou-Nagie. Es sind auch diese Verbindungen mit Bonn als Scharnier, die einem Verbot von „Lies!“ in die Hände spielten.

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