Bonner lebt mit Cochlea-Implantat "Plötzlich war die Welt so laut für mich"

BONN · Laut klingelt der Wecker, aber Linus Bauer wacht nicht auf. Erst wenn das Kissen vibriert, öffnet er die Augen. Der 27-Jährige ist von Geburt an schwerhörig, nur durch ein Hightech-Hörgerät kann er seine Umwelt wahrnehmen. Es begleitet ihn den ganzen Tag, nur zum Schlafen und Duschen zieht er es aus.

 Linus Bauer mit Frau Beibei und Tochter Marie Claire.

Linus Bauer mit Frau Beibei und Tochter Marie Claire.

Foto: Nicolas Ottersbach

Trotz seines Handicaps hat es der Bonner geschafft, ein normales Leben zu führen. "Vor allem in meiner Jugendzeit war es schwer für mich", sagt er. Denn erst mit 13 bekam er das Cochlea-Implantat eingesetzt, das ihn wieder richtig hören ließ.

Wegen Sauerstoffmangels kam er mit nur fünf Prozent Hörvermögen auf die Welt. Während die Schüler meist Rücksicht auf ihn nahmen, hatten ihn die Lehrer als "hoffnungslosen Fall" abgeschrieben. Sie waren stets der Ansicht, dass er auf eine Sonderschule müsste. Seine Eltern aber waren immer strikt dagegen, forderten und förderten ihn wie einen normalen Jugendlichen. Anstatt die Gebärdensprache zu lernen, erzogen sie ihn lautsprachlich, damit er Lippen ablesen konnte. Das funktionierte nicht immer. "Zu Hause arbeitete ich dann den Unterrichtsstoff nach", erzählt Bauer.

Nach der schweren Operation für das Implantat änderte sich sein Leben schlagartig. Er hatte ständig Kopfschmerzen, weil alles dröhnte. "Plötzlich war die Welt so laut für mich." Damit er sich daran gewöhnen konnte, besuchte er eine spezielle Schule im Schweizerischen Luzern. Dort kamen Jugendliche aus der ganzen Welt zusammen, um nach ihrer OP mit dem neuen Gehör umgehen zu lernen. "Mein Sprechen war bis dahin völlig chaotisch, ich konnte mich ja nie selbst hören."

Als er nach dem Abitur seine Bewerbungen schrieb, versteckte er zunächst sein Handicap. Nicht weil ihm das Selbstbewusstsein fehlte, "sondern weil die meisten Firmen falsche Vorstellungen über Menschen mit Behinderung haben". Man lud ihn zum Bewerbungsgespräch ein, dort fiel seine Schwerhörigkeit natürlich auf.

Obwohl er sein Können unter Beweis stellte und den Arbeitgeber überzeugte, blieb er ein Exot. "Mittlerweile habe ich mich damit arrangiert." Weil er immer davon träumte, Pilot zu werden, wechselte er in die Luftfahrtbranche. Pilot konnte er nie werden, wollte aber wenigstens etwas mit Flugzeugen zu tun haben. Bei einem Praktikum lernte er die chinesische Flugbegleiterin Beibei Yang kennen. Vergangenes Jahr heirateten sie und bekamen ihre Tochter Claire Marie. Seit 2012 studiert er an der internationalen Privatuni in Bad Honnef "Aviation Management" und wohnt wieder in Bonn.

"Ich kann meinen Leidensgenossen nur raten, sich nicht unterkriegen zu lassen", macht er anderen Mut. Dass viele Hörgeschädigte den Ruf als "taube Nuss" haben, kann er nicht verstehen. "Das ist in Singapur ganz anders", erzählt er. Dort gibt es viele Informationen auch für Schwerhörige. SMS, Whatsapp und E-Mail sind für Bauer ein Segen. "Denn trotz Cochlea-Implantat fällt mir das Telefonieren schwer."

Hightech-Hörgerät

Beim Cochlea-Implantat wird ein Draht mit Elektroden in die Gehörschnecke eingepflanzt, unter der Haut hinter dem Ohr sitzt eine Empfangsspule. Außen steckt ein Mikrofon samt Sprachprozessor, der mit einem Magneten die Töne in die Gehörschnecke überträgt. Solange der Hörnerv nicht beschädigt ist, können Taube so wieder hören. Allein das äußere Hörgerät kostet rund 25 000 Euro, wird aber von der Krankenkasse bezahlt. Musste die ganze Elektrik vor 30 Jahren noch in einem Rucksack untergebracht werden, wiegt sie heute nur noch wenige Gramm und klemmt hinter dem Ohr.

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