Gespräch mit Stadtdechant und Superintendent "Ostern ist für uns wie eine Lebensversicherung"

Bonn · Für die Christen ist Ostern das wichtigste Fest des Kirchenjahres. Über ihr Verständnis von Tod und Auferstehung sprechen Bonns Stadtdechant Wolfgang Picken und Superintendent Eckart Wüster mit Lisa Inhoffen.

 Stadtdechant und Superindentent im Münster.

Stadtdechant und Superindentent im Münster.

Foto: Benjamin Westhoff

Viele Menschen denken, Weihnachten – und nicht Ostern – sei das höchste christliche Fest. Wie kommt es zu diesem Irrtum?

Eckart Wüster: Ich glaube, es hängt damit zusammen, dass die Geburt eines Kindes für die Menschen sehr viel anschaulicher ist als die Auferstehung. An die Auferstehung zu glauben, fällt ja vielen sehr schwer. Ursprünglich hat es nur das Osterfest gegeben. Weihnachten kam erst viel später hinzu. Ich vermute, es hängt damit zusammen, dass man als Mensch die Geburt eines Kindes besser verstehen und feiern kann als die Auferstehung.

Wolfgang Picken: Es hat auch damit zu tun, dass Weihnachten mit dem Brauch der Geschenke sich bei den Menschen emotional besser etablieren konnte. Es hat damit eine viel stärkere Symbolik, eine viel stärkere emotionale Anbindung. Und: Wenn wir Weihnachten feiern, wissen wir, dass mit der Geburt des Kindes die Grundlage für Ostern gelegt wird. Ohne das wäre Ostern ja nicht möglich. Jesus musste erst Mensch werden, um zu sterben. Von daher ist Weihnachten in gewisser Hinsicht auch ein Osterfest.

Warum ist Ostern für den Glauben so wichtig?

Picken: Die Ausgangsfrage für das Osterfest ist, was passiert mit uns Menschen? Diese grundsätzliche Frage stellt sich doch eigentlich jeder: Geht das Leben mit dem Tod zu Ende, oder haben wir etwas darüber hinaus zu erwarten? Das ist eine Frage, mit der man sich im jungen Alter vielleicht weniger auseinandersetzt, mit zunehmenden Alter aber immer mehr. Ostern ist für mich die schönste Antwort auf diese Frage, eine Zielsicherheit als Mensch zu haben, wo es mit meinem Leben hingeht. Wir werden auferstehen vom Tod, wir werden leben, in der Nähe Gottes sein. Nach meiner Vorstellung ist das an keine Bedingung gebunden. Ich glaube, dass eine solche Sicherheit, dass nicht der Tod, sondern die Auferstehung, nicht die Vergänglichkeit, sondern das Leben das Ziel ist, die innere Einstellung zum Leben verändert.

Wüster: Für mich ist Ostern vor allem im Zusammenhang mit Gründonnerstag und Karfreitag ein wichtiges Fest. Es geht nicht nur um ein neues Leben, sondern der Gekreuzigte und Gestorbene wird später von Gott auferweckt. Das kommt in den Ostererzählungen zum Ausdruck: zum Beispiel im Johannesevangelium, wo Maria von Magdala zum Grab von Jesus geht, um zu trauern. Dann wird sie angesprochen und sie erkennt nicht, dass es Jesus ist. Im übertragenen Sinne heißt das, sie wird herausgeführt aus der Trauer zu neuem Leben. Das ist eine wunderbare Geschichte, die zeigt, wie Gründonnerstag, Karfreitag und Ostern eine Einheit bilden.

Es heißt, für die Evangelischen ist der Karfreitag das höchste Fest, für die Katholiken Ostern. Ist das so?

Wüster: Ich weiß, dass es diese Tradition gibt. Das habe ich nie verstanden. Nein, wie gesagt, Karfreitag und Ostern gehören untrennbar zusammen. Ostern war übrigens zunächst das einzige Fest der frühen Kirche. Aus diesem Grund ist der Mittelpunkt unseres Glaubens eigentlich Ostern. Aber er befindet sich nicht im luftleeren Raum, sondern die Verbindung von Freude und Leben, von Trauer und Tod ist ein Zusammenhang, den man nicht auflösen kann.

Picken: Wir schieben den Karfreitag gerne etwas zurück, weil er uns Menschen die unangenehme Seite des Lebens aufzeigt. Es geht um Leid, um das Scheitern, um Katastrophe, Verrat und das Sterben. Damit mögen wir uns natürlich nicht gerne auseinandersetzen. Deshalb schauen alle lieber auf das Osterfest. Aber, Herr Wüster hat es richtig gesagt, ohne Karfreitag kein Ostern, ohne Tod keine Auferstehung. Aber das Schöne an der Osterbotschaft ist, sie bezieht sich nicht nur auf Tod und Auferstehung, sondern sie ist das Grundprinzip des Lebens: Die Zusage Gottes, dass wir nicht auf dem Boden liegen bleiben. Er hilft uns immer wieder auf. Diese 'Kreuzerfahrung', dass wir hinfallen, machen wir nicht erst beim Sterben, sondern das ganze Leben hindurch. Wir kommen aber immer wieder auf die Füße. Die Zusage Gottes an uns Menschen ist, es gibt immer wieder ein Aufstehen.

In Österreich ist Karfreitag als Feiertag abgeschafft worden. Warum soll man ihn in Deutschland bewahren?

Picken: Wie gesagt, das Anliegen von Karfreitag und Ostern ist, dass beide Tage zusammengehören. Nicht nur, weil es die Kirche so sieht. Das Anliegen von Leiden, von Trost und Hoffnung ist untrennbar miteinander verbunden. Und vielleicht tut es den Menschen gerade gut in einer Zeit, die geprägt ist von vielen Brüchen, in der es vielen schwerfällt, über Tod, Trauer und Scheitern zu reden, dass es Tage wie den Karfreitag gibt, der diesen Themen gewidmet ist.

Wüster: Wir befinden uns in einer Gesellschaft, die nicht mehr in dem Maße christlich geprägt ist, wie das vor einigen Jahrzehnten noch der Fall gewesen ist. Dann stellt sich auch die Frage nach dem Sinn aller christlichen Feiertage. Karfreitag als stiller Tag ist ja seit Langem in der Diskussion. Vielleicht will man ihn nicht ganz abschaffen, aber man will abends in ein Rockkonzert oder zum Tanzen. Veranstaltungen, die an Karfreitag nicht erlaubt sind. Mit diesen Veränderungen müssen wir uns auseinandersetzen. Die Frage ist, ob die Gesellschaft es aushält, dass (noch) eine erkleckliche Mehrheit an dem Tag an etwas glaubt, was anderen fremd ist. Das gilt übrigens auch für andere Tage, die bestimmt sind für gewisse Gesellschaftsgruppen, wie zum Beispiel der 1. Mai. Die anderen werden gebeten, das zu respektieren.

Picken: Entscheidend ist, es muss den Kirchen gelingen zu zeigen, dass diese kirchlichen Feiertage grundsätzliche Themen berühren, die ich, auch wenn ich kein Christ bin, mir zum Thema machen kann. Die Frage, wie setze ich mich mit Leben und Tod auseinander, das können auch Nicht-Christen mit Karfreitag und Ostern verbinden. Was gibt mir Hoffnung, was gibt mir Kraft, was ist der Sinn meines Lebens? Christliche Feiertage bieten auch ihnen die Chance, Bezugspunkte dazu zu finden.

Wüster: Stimmt, aber wir verbinden das mit theologischen Aussagen, die vielen Menschen fremd sind. Wenn wir predigen, der Gekreuzigte ist auferstanden, verstehen das viele nicht mehr.

Verstehen Sie, warum Menschen die Auferstehung Jesu nicht nachvollziehen können?

Wüster: Ja, natürlich. Es gibt dafür auch nur Bilder. Wenn man sich die biblischen Geschichten anschaut, im Markusevangelium etwa, erschrecken sich die Jünger zu Tode, als sie das leere Grab vorfinden. Sie fliehen und erzählen erst einmal niemanden etwas. Das zeigt die Unsicherheit und der Zweifel der Menschen an dem, was da passiert ist, der ist von Anfang an da gewesen. Ich glaube, es bringt wenig, darüber nachzudenken, ob es ein Leben nach dem Tod gibt.Viel wichtiger ist doch die Frage, ob ich heute in meinem Leben Erfahrungen machen kann, die ich auch als Erfahrungen mit Gott deuten kann. Wenn ich glauben kann, dass Gott heute bei mir ist, dann vertraue ich darauf, dass er mich auch dann begleiten wird, wenn ich sterbe.

Picken: Der Gedanke an die Auferstehung ist eigentlich sehr nah an unserer Lebensrealität. Ein Sterbender, den ich begleitet habe, hat mir gesagt, er sei so oft in seinem Leben gefallen und wieder aufgestanden, jetzt falle er noch einmal, und er sei sicher, er werde wieder aufstehen. Wenn Sie schlafen gehen, stehen Sie am nächsten Morgen auch wieder auf. Es wird dunkel, dann wird es wieder hell. Es gibt also viele Anknüpfungspunkte an die reale Lebenserfahrung, die ganz nahe dran sind, darauf zu vertrauen, dass es irgendwie weitergeht. Bei jedem sind es andere Bilder und Erfahrungen. Ich glaube, der christliche Glaube ist nicht so weit von der Erfahrungswelt der Menschen weg.

Wüster: Viele Theologen sprechen deshalb von der Auferstehung mitten im Leben. Das ist für mich ein Hoffnungszeichen, dass es auch am Ende meiner Tage eine solche Auferstehung geben wird. Wie das aussieht, weiß ich nicht. Sieht man sich wieder oder nicht? Das ist natürlich amibivalent.

Sieht man sich denn im Himmel wieder?

Picken (lacht): Vielleicht will man ja den einen oder anderen nicht wiedersehen... Mir ist wichtig, den Menschen zu sagen, wir müssen uns vor dem Ende nicht fürchten, egal wie wir auf Erden gelebt haben. Da gibt es eine Liebe, die ist viel, viel größer als alles, was wir falsch machen können. Das rheinische Karnevalslied 'Wir kommen alle, alle in den Himmel' drückt das mit einer herrlichen Leichtigkeit aus. Wenn wir das als Seelsorger den Menschen vermitteln können, erreicht man etwas ganz Tiefes im Menschen. Wer will denn nicht so eine Sicherheit für sich? Eigentlich ist Ostern für uns wie eine Lebensversicherung.

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