Vorsitzender des Bonner Stadtsportbunds "Ohne Zahlen ist für die Vereine keine Kalkulation möglich"

BONN · Er kennt Bonn und die Sportszene, und das nicht nur als aktiver Sportler und Trainer, sondern auch als Funktionär. Deshalb hat Michael Scharf eine klare Meinung, wie es um den Sport in der Bundesstadt bestellt ist. Mit dem Vorsitzenden des Stadtsportbunds (SSB) sprach Rolf Kleinfeld.

 Michael Scharf.

Michael Scharf.

Foto: Horst Müller

Wir hatten fünf Jahre lang einen Oberbürgermeister, der Sport studiert hat. Hat das etwas gebracht?
Michael Scharf: Ich glaube, der OB war nicht entscheidend. Die interne Arbeit in der Verwaltung läuft über die Dezernenten. Und der für uns zuständige Mann kümmert sich zu 95 Prozent um Kultur und sieht unseren kleinen Rest nur als Rucksack. So kann ich den Sport in Bonn nicht entwickeln und in seinem Stellenwert bei der städtischen Verwaltung stärken!

Also sind Sport und Kultur keine gute Kombination?
Scharf: Doch, eigentlich schon. Ich würde den Sport zwar lieber beim Jugendamt angesiedelt sehen, weil das für Zukunft und Innovation steht, aber es gibt viele Überschneidungen mit der Kultur. Man denke nur mal an die Angebote, die man in Offenen Ganztagsschulen machen kann, das kann von Sport bis Kultur reichen.

Ein großes Manko ist das Fehlen eines Sportstättenkatasters. Was bedeutet das?
Scharf: Das ist eine Aufstellung aller Sportanlagen und sämtlicher Kosten, die dazugehören. Das braucht man zum Beispiel als Basis, wenn Vereine Anlagen übernehmen wollen. Das braucht man auch, um eine transparente Grundlage für Maßnahmen der Sanierung und Bauunterhaltung zu haben! Ohne diese Zahlen ist keine Kalkulation möglich, ob das finanziell zu stemmen ist.

Sie meinen wie beim Sportpark Nord, wo es nur einen Stromzähler für alles gibt und man die Energiekosten für Schwimmbad, Sporthalle und Restaurant nicht trennen kann?
Scharf: Genau, das ist ein schönes Beispiel, wo nichts passiert. Wir haben dies immer bemängelt, aber Unterzähler eingebaut wurden trotzdem nicht.

Ist die Bereitschaft von Vereinen, sich für ihre Sportanlagen mehr zu engagieren, da?
Scharf: Ja, aber wir kommen da nicht weiter. Wir haben als Stadtsportbund zu Jahresbeginn drei ganz unterschiedliche Musterprojekte vorgeschlagen, bei denen Vereine ein Lehrschwimmbad, eine Sporthalle und einen Fußballplatz übernehmen wollen. Aber bis heute haben wir keine verlässlichen Zahlen, was Energiekosten, Reinigung und sonstige Betriebskosten angeht. Das ist eine Katastrophe. Und ich verstehe dieses Verzögern, Verlängern und Abwarten nicht.

Was würde ein Sportentwicklungsplan bringen?
Scharf: Wir müssen doch wissen, wohin die Zukunft geht, wenn Bonn 330.000 Einwohner hat. Wo wohnen die? Wohin gehen die zum Sport? Welche Sportarten bieten wir denen in welchen Sportstätten?

Die Realität in der Gegenwart sind Sporthallen, bei denen die Stadt einen Sanierungsstau vor sich herschiebt. Was müsste da getan werden?
Scharf: Man müsste Geld in die Hand nehmen, weil über Jahre nichts gemacht worden ist. Es ist ähnlich wie bei den Bädern. Man wartet, bis eines kaputtgeht.

Gutes Stichwort: Angeblich hat Bonn ja zu viele Bäder. Die Stadt sagt, dass hier eine XXL-Ausstattung vorgehalten wird.
Scharf: Diese Behauptung stimmt einfach nicht. Sowohl bei der Anzahl der Hallenbäder als auch bei der Wasserfläche liegt Bonn im NRW-Vergleich von Städten mit ähnlicher Einwohnerzahl ganz hinten. Und Schwimmen wird in den Hallenbädern gelernt und in der Regel nicht im Freibad.

Der NRW-Vergleich zeigte aber auch, dass Bonn eine gute Ausstattung an Freibädern hat.
Scharf: Das stimmt. Und das muss man auch differenzieren. Aber die Freibäder sind in Bonn ja schon totgeredet worden. Und trotz der ungünstigen Öffnungszeiten boomten sie in diesem Sommer - welch Überraschung.

Die Stadt ist nicht bereit, den Fördervereinen einzelne Bäder zu überlassen, weil sie Angst hat, am Ende doch auf den Kosten sitzen zu bleiben? Was sagen Sie, um diese Meinung zu entkräften?
Scharf: Es gibt intelligente Lösungen. Wie kommt es denn sonst, dass die SSF Bonn im Sportpark Nord viel Wasserfläche und die bei Weitem größte Nutzerzahl haben und trotzdem nur weniger als die Hälfte des Zuschusses benötigen, den das Frankenbad benötigt. Die Behauptung der Stadt, die Übernahme von Bädern durch Vereine funktioniere kostenmäßig nicht, halte ich für falsch.

Wie finden Sie es, dass die Stadt Bonn ein neues Kombibad bauen will, um alte Schwimmbäder zu schließen?
Scharf: Wir begrüßen so einen Neubau, finden aber einen Standort auf der linksrheinischen Seite besser. Deshalb bitten wir darum, die Sportvereine bei dieser Entscheidung, wenn sie so fällt, mitzunehmen. Fakt ist aber, dass wir nach einer fast 20-jährigen Diskussion mit mehreren Bädergutachten jetzt endlich entscheiden müssen, sonst verliert die Politik jedwede Glaubwürdigkeit beim Thema Bäder in Bonn.

Früher hat die Stadt auch eigene Veranstaltungen akquiriert. Warum findet das nicht mehr statt?
Scharf: Das lebte damals wie heute von Menschen, die gute Kontakte zu Sportverbänden pflegten, wie Hermann Nettersheim und Hermann Henze dies früher waren. So ist das Arena-Meeting im Schwimmen nach Bonn gekommen. Aber diese Persönlichkeiten gibt es in den Verwaltungen heute nicht mehr.

Am 19. Dezember 1992 hat Steffi Graf in der Bonner Hardtberghalle gespielt. Könnte man sich so etwas heute noch vorstellen?
Scharf: Wäre der Bedarf da, so etwas zu organisieren, könnten wir uns beim SSB schnell damit befassen. Aber so ein Wunsch ist uns nicht vorgetragen worden.

Zur Person

Michael Scharf (54) ist seit 2004 im Hauptberuf Leiter des Olympiastützpunktes Rheinland und im Ehrenamt seit 2013 Vorsitzender des Stadtsportbunds Bonn. Er war in den 80er-Jahren einer der besten deutschen Modernen Fünfkämpfer, vierfacher deutscher Mannschaftsmeister und 1987 Einzelmeister. Als Funktionär war er von 1996 bis 2012 Vorsitzender der SSF Bonn. Der 54-Jährige hat zwei Töchter (20 und 18 Jahre).

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