Bonner Köpfe: Alexandra Gräfin Lambsdorff Mittlerin zwischen Wirtschaft und Politik

BONN · Kurz vor dem Amtsantritt des neuen US-Präsidenten war sie noch auf Besuch in Washington. „Und ich bin noch erschrockener wiedergekommen, als ich schon vorher war“, sagt Alexandra Gräfin Lambsdorff. In Bonn bringt die Präsidentin des Clubs La Redoute Vertreter aus Wirtschaft und Politik zusammen.

Alexandra Gräfin Lambsdorff sitzt kerzengerade im Clubraum. Das Handy lässt sie, ohne mit der Wimper zu zucken, klingeln. „Die Stimmung in den USA war so zerrissen, es herrschte eine so hohe Emotionalität im Diskurs, dass man sich Sorgen machen muss, ob rationale Entscheidungen noch möglich sind.“

Die Witwe des 2009 verstorbenen Bundeswirtschaftsministers Otto Graf Lambsdorff ist eine hochpolitisch argumentierende Frau. Sofort kommt Widerspruch von der anderen Seite des Tischs. Sie sei zwar mehr als 40 Jahre FDP-Mitglied, aber nie in einer Funktion gewesen. Sie sei nur politisch hochinteressiert.

Die Diplom-Volkswirtin, die über viele Jahre mit Führungsaufgaben in der Kreditwirtschaft betraut war, holt dank exzellenter Kontakte mit Vergnügen prominente Referenten für den Club. Sie führt thematisch ein. Sie moderiert die durchaus kontroversen Diskussionen. Ungarns Autokrat Viktor Orbán war kürzlich da, die Linken-Ikone Gregor Gysi genauso wie Bundesbankpräsident Jens Weidmann. Demnächst kann sie FDP-Chef Christian Lindner und Professor Thomas Straubhaar begrüßen. Der Schweizer Ökonom wird das Grundeinkommen positiv bewerten, „ein wichtiges Thema im Wahlkampf“, betont Gräfin Lambsdorff.

„Breitgefächert“ bezeichnet sie mit einem feinen Lächeln ihr Programm für die 850 Clubmitglieder. „Wenn tatsächlich mal weniger als 150 in den Beethovensaal kommen, bin ich unzufrieden.“ Das weltoffene Forum habe sich ungemein verändert, sei vom Diplomatenclub zum hochkarätigen regionalen Treffpunkt der Wirtschaft und Hochschulen geworden. Man spiele in einer Liga mit dem Industrie-Club Düsseldorf und dem Übersee-Club Hamburg. „Wir sind eines der führenden Diskussionsforen in Deutschland“, betont sie nicht ohne Stolz.

Die 71-Jährige ist Spross der adligen Familie von Quistorp. 1945 kurz nach dem Krieg in Hage/Ostfriesland geboren, wollte sie von klein auf keinen Frauenberuf. Aus dem Kindertraum Pilotin wurde dann zwar nichts. Aber die Volkswirtschaft wie beim Vater, die lockte sie nach dem Abitur in Berlin schon. Das Diplom machte sie in Bonn. Beim Unifest im Juli 2016 beschrieb sie sich bei ihrer Festrede auf der Hofgartenwiese zwinkernden Auges als weißhaarige, konservative Dame, die hier ebenfalls studierte habe.

„Aber lassen Sie sich nicht täuschen. Ich bin eine Angehörige der 1968er Generation“, fügte sie zur Überraschung aller hinzu. Sie habe damals zu Füßen des Studentenführers Rudi Dutschke gesessen und gegen den universitären Muff von tausend Jahren sowie die Notstandsgesetze protestiert. Dazu, mit wachem Verstand und offenen Augen in die Welt hinauszugehen, rief sie die Absolventen nun auf. „Machen Sie mit, stehen Sie auf, tun Sie was.“

Den gleichen Elan zeigt sie auch im GA-Gespräch. Immer offen für Neues zu sein, sei ihre wichtigste Eigenschaft neben der zutiefst liberalen Überzeugung und einem großen Fleiß. Sie arbeitete im Deutschen Sparkassenverband, dann in der DSL Bank, beides in Bonn, kurz in Luxemburg in der Landesbank Rheinland-Pfalz und dann in der Lampe-Bank Düsseldorf. „Aber ich hatte auch immer einen Wohnsitz in Bonn“, erzählt Gräfin Lambsdorff.

Ja, die Anekdote stimme, dass sie Otto Graf Lambsdorff 1975 näher kennenlernte, als sie ihm während eines Arbeitsessens die Sparquote erklärte. Jetzt lacht sie herzlich. Wunderbare 34 Ehejahre hätten sie verbracht. „Und ich habe an ihm bewundert, wie er als Jurist wirtschaftliche Sachverhalte besser formulieren konnte als ich.“ Und wie hat sie als Ministergattin damals Angriffe gegen ihren Mann verkraftet? Man habe es mit dem ehemaligen US-Präsidenten Harry S. Truman gehalten, kommt trocken über den Tisch: „Wer keine Hitze verträgt, hat in der Küche nichts verloren.“

Auch als Witwe ist sie sozusagen in der Küche geblieben. Sie hat letztlich einen Fulltimejob, hat die Quistorp-Stiftung in Rostock errichtet, ist aktiv für den Club, die Hospizstiftung Bonn, den Aufsichtsrat des Uniklinikums, im Freundeskreis Beethovenfest und demnächst mit Wolfgang Clement für eine neue Stiftung des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE).

Nur aus dem Deutsch-Russischen Forum, das sie 1993 mit dem Ziel gründete, Moskau beim Aufbau einer Zivilgesellschaft zu helfen, und für dessen Arbeit sie den Dr.-Friedrich-Joseph-Haass-Preis erhielt, ist sie ausgestiegen. Unwiderruflich. Sie blickt ernst. „Damit bin ich total gescheitert. Das ist die große Frustration meiner letzten Jahre.“ Unter Wladimir Putin gebe es keinerlei Opposition mehr. „Es ist mir immer wieder ein Rätsel, wie erfolgreich seine Propaganda inzwischen auch bei uns in Deutschland wirkt.“

Die Serie: Eine Stadt ist so vielfältig wie die Menschen, die hier wohnen und arbeiten, lernen und kreativ sind. In der Serie „Bonner Köpfe“ porträtieren wir diese Menschen und erzählen ihre Geschichte.

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