Japanische Kampfkunst Aikido Mit 82 steht sie immer noch auf der Matte

BONN · "Versucht, einen guten Kontakt zur Matte zu bekommen. Ich schaue, dass ich in meiner Mitte bleibe und einen stabilen Stand habe." Ilse Lehmann konzentriert sich auf die Anweisungen der Aikido-Trainerin.

 Selbst starke Männer machen ihr keine Angst: Die 82-jährige Ilse Lehmann (2. rechts) mit ihrem Aikido-Übungspartner auf der Matte.

Selbst starke Männer machen ihr keine Angst: Die 82-jährige Ilse Lehmann (2. rechts) mit ihrem Aikido-Übungspartner auf der Matte.

Foto: Barbara Frommann

Als Angreiferin lässt sie sich dann langsam zu Boden führen - gelenkig, wendig, in Zeitlupe, sich jeder Bewegung bewusst. Aufstehen, sich verbeugen, ein Dankeschön. Die quirlige Frau genießt jede Übung, mit 82 Jahren ist sie die Älteste in der Gruppe.

Alles sieht so leicht aus, doch die Übenden im Dojo "Take no sono" an der Bornheimer Straße geraten ganz schön ins Schwitzen. "Es ist die Konzentration, die es so anstrengend macht", sagt Christina Barandun, die jeden freundlich anleitet. Ihr Stil ist die Aikido-Meditation, eine langsamere Variante des Aikido (siehe Infobox). Es geht nicht darum, seinen Gegner auszuschalten. "Die Aikido-Philosophie ist friedliebend", sagt Christina Barandun.

Ilse Lehmann lernte sie kennen, als die Trainerin vor gut zwei Jahren in einem Altstadt-Café Flyer verteilte. "Da ging die Sonne auf", sagt die Seniorin. Zuvor hatte sie zehn Jahre lang getanzt. Mit 70 konnte sie sich jedoch nicht mehr so schnell drehen. "Dann war ich in der Muckibude", sagt die gebürtige Estländerin. Bis sie einmal stürzte und dann nur noch Gymnastik machte. Auf der Suche nach etwas Neuem kam das wöchentliche Aikido gerade recht. "Ich lege mich vorher immer ein bisschen hin", sagt Ilse Lehmann, der die Bewegung im Dojo wichtig ist. Sie könne besser denken, und "ich falle weniger hin". Auch vom Schlaganfall im Juni ließ sie sich nicht unterkriegen. Nach sechs Wochen stand sie wieder auf der Matte.

Die aufgeschlossene Mutter von vier Töchtern arbeitete als Erzieherin und Gemeindehelferin. 1982 kam sie in den Westen und nach Bonn, wo sie eine Ausbildung in der Krankenhausseelsorge machte. Ihr Mann starb vor vier Jahren.

Die Kursteilnehmer üben Standfestigkeit und Gelassenheit. Beim Verteidigen kümmert man sich sogar um das Wohl des anderen, des Angreifers. "Das ist extrem wichtig, nur so entsteht eine Win-win-Situation", sagt Barandun. "Nur so kann ich deeskalieren." Wenn man stetig übe, ruhig zu bleiben und Stress zu bewältigen, habe man Sicherheit für den Alltag. "Der Alltag kann wie ein Schlachtfeld wirken", sagt die Trainerin. Sie denkt dabei an Burn-out, Stress, Frust - alles Kontaktthemen. Im Dojo kämpfen alle, ohne dem anderen wehzutun. Es geht um Selbstschutz, ohne in ein Flucht- oder aggressives Verhalten zu geraten.

Aber das Fallen oder Rollen ist auch gute Sturzprophylaxe, von der Ilse Lehmann profitiert. Unterwegs komme sie nicht mehr, wie schon passiert, so leicht ins Straucheln. "In letzter Zeit fange ich mich immer auf", sagt die 82-Jährige. "Ich habe jetzt keine Angst mehr auf der Straße." Ihr macht es aber auch großen Spaß, mal mit einem Mann zu kämpfen. Vor allem, wenn er am Ende am Boden liegt.

Die jüngsten der 15 Teilnehmer in der Gruppe sind Mitte 30. Sie alle kommen, um körperliches Feingefühl, psychische Stärke und soziale Fähigkeiten zu erlangen - ohne Prüfungs- und Leistungsdruck. So hat Aikido für Christina Barandun einen hohen Wert, um die Gesellschaft zu verbessern. "Ich wünsche mir, dass es zur Friedensbewegung der Weisen wird." Für die anderen ist Ilse ein Vorbild, etwa für den 40-Jährigen, den schon einige Zipperlein plagen. Kurz darauf liegt die Seniorin wieder auf dem Rücken, lässt sich hochhelfen. Sie strahlt. "Ich mache weiter. Solange es geht."

Die japanische Kampfkunst Aikido

Die Theaterwissenschaftlerin Christina Barandun praktiziert Aikido-Meditation seit zwölf Jahren und unterrichtet die Übungen seit vier Jahren. Die 40-Jährige hat als Kind in Japan gelebt, als Erwachsene dann dort für ein Jahr gearbeitet. Noch im März war sie zwei Wochen wegen Aikido dort.

Auf der Matte absolvieren die Teilnehmer in ihren weißen Anzügen Übungen, Modelltechniken. Die Meditation ist komplett identisch mit dem sportlichen Aikido-Stil, nur langsamer. "Das fällt denen leichter, die sich nicht so sportlich fühlen", sagt Barandun. In die Gruppen kämen oft Leute, die sich stärken wollten, vielleicht sogar durch ein Erlebnis traumatisiert seien. Wer Aikido macht, versucht, "sich klug zu schützen, ohne selbst Gewalt anzuwenden", sagt die Trainerin.

Weitere Informationen gibt es auf www.barandun.de

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