GA-Zeitzeugengespräch Marga Werker erinnert sich an den 18. Oktober 1944

BONN · "Ach, fragen Sie mich. Wie soll ich Ihnen sonst alles erzählen, was ich erlebt habe?", bittet Marga Werker. Es geht um den 18. Oktober 1944, den die heute 89-Jährige noch vor Augen hat, als wäre er gestern gewesen. Den Tag, als der von Hitler-Deutschland entfesselte Weltkrieg auch die Stadt Bonn mit unglaublicher Wucht traf.

 Marga Werker im GA-Zeitzeugengespräch.

Marga Werker im GA-Zeitzeugengespräch.

Foto: pka

Dem Bombenangriff vor 70 Jahren widmet der General-Anzeiger in dieser Woche eine Artikelreihe, die Augenzeugen zu Wort kommen lässt und die Langzeitfolgen der Zerstörungen für die städtebauliche Entwicklung der Stadt beleuchtet.

Wo war Marga Werker, die damals 19-Jährige, an diesem Morgen, als plötzlich die Sirenen im noch weitgehend unversehrten Bonn wegen Bombengefahr heulten? Im Elternhaus an der Hatschiergasse, in dessen stadtbekannter Kneipe "Im Kabass" sie ja mitarbeitete, antwortet die alte Dame.

Und dann breitet sie in plastischen Worten den ganzen Horror dieses Bombenmorgens aus, der sich in ihr Gedächtnis eingefräst hat. Der Vater lag damals krank im Johannesspital. Sie war mit ihrer Mutter, einer Tante und dem 15-jährigen Bruder allein, als sie plötzlich am Himmel die britischen Flugzeuge, die zuvor Richtung Rheinland-Pfalz gedonnert waren, umkehren sah.

"Ich war immer furchtsam. An dem Morgen bin ich also sofort in unseren Keller geflüchtet und habe gerufen: Sie kommen, sie kommen", erzählt Marga Werker. Schließlich sei auch der Bruder, der "der starke Mann" im Haushalt war, im Keller untergeschlüpft, der durch ein Tonnengewölbe geschützt war. "Der kam immer nur, wenn es gar nicht mehr anders ging." Sie hörten in den bebenden Gemäuern eine Bombe nach der anderen detonieren. Die Wände wackelten. Überall rieselte Schutt herunter. "Deshalb konnten wir vor lauter Staub nichts mehr sehen."

Gott sei Dank hatte die Tante ein Eimerchen mit Kartoffeln in den Keller mitgenommen, die sie noch fürs Mittagessen schälen wollte. "Nur dadurch hatten wir etwas Wasser da unten und konnten nasse Taschentücher vors Gesicht halten, damit wir atmen konnten. Es war einfach furchtbar", stöhnt Marga Werker, gefangen in der Erinnerung. Sie wisse gar nicht, wie lange sie da voller Angst inmitten des Infernos ausgeharrt hätten. Ach, die Bombenangriffe sollen nur zehn Minuten gedauert haben? Die alte Dame ist verblüfft. "In so einer Lage werden Minuten zu Stunden", sagt sie kopfnickend.

Als sie sich endlich wieder heraustrauten, sahen sie oben die Katastrophe: Überall waren die Fenster zerborsten. In der nahen Engeltalstraße, erinnert sich Marga Werker, hätten die Sprengbomben die Häuser allesamt "abrasiert"; die Dächer waren weg. "Aber wir lebten noch. Und unser Haus stand. Das war für uns natürlich das Wichtigste." Und dann druckst Marga Werker etwas herum. "Ich muss mich eigentlich immer noch schämen. Ich bin nämlich dann abgehauen und habe meine Mutter und meinen Bruder allein gelassen."

Sie sei in den überfüllten nahen Bunker an der Theaterstraße gerannt. "Ich konnte nicht mehr. Ich war fix und fertig." Die Mutter habe dann ohne sie, aber mit einem Paar, das Hilfe anbot, das Haus nach Schäden abgesucht. "Auf dem Dachboden haben sie auch Brandbomben entdeckt. Sie wollten natürlich löschen, aber es gab doch kein Wasser mehr." Was tun? Die tatkräftige Mutter habe Rat gewusst. "Sie löschten die Brände mit Bier, wir hatten doch die Bierkräne in der Wirtschaft", erzählt Werker.

"Aber jetzt kommt es", fügt sie hinzu. Es habe überall noch kleine Flammen gegeben, so dass durch die furchtbare Hitze der Explosionen am Spätnachmittag noch die Lehmwand der Kneipe einstürzte. Sie habe selbst gesehen, wie die Balkendecke, die holzverkleideten Wände der Kneipe und dann das ganze Haus Feuer fingen. Niemand sei mehr zum Löschen gekommen. Es gab keine Feuerwehr.

"Unser Haus ist also am 18. Oktober auch noch von unten her ausgebrannt. Es blieb nichts mehr übrig als das bisschen Garderobe, das wir im Keller hatten." Die Möbel waren verbrannt, der Wein für die Kneipe in den Flaschen verkocht. Die Gläser waren zu einem einzigen Klumpen geschmolzen. Nur etwas habe überlebt: die Mutter Gottes aus dem Flur. "Die haben mein Vater und mein Bruder nachher im Schutt gefunden.

Die war heil geblieben." Marga Werker schaut eine Zeit lang ins Leere. Der jüngste Bruder habe diese Maria später in seiner Arztpraxis aufgestellt. "Das war doch wie ein Wunder, nicht wahr?" Das Leben ging also weiter für die Familie? "Das sowieso", antwortet Marga Werker.

Zeitzeugen gesucht

Wenn Sie Fotos aus dieser Zeit besitzen oder Ihre Erlebnisse schildern möchten, senden Sie uns eine E-Mail an bonn@ga.de oder schreiben Sie einen Brief an General-Anzeiger 53100 Bonn. Stichwort: "Zeitzeugen"

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