Am Freitag auf dem Petersberg Malgorzata Gersdorf erhält den Internationalen Demokratiepreis Bonn

Bonn · Malgorzata Gersdorf sollte als Polens oberste Richterin entlassen werden, weil sie der rechtskonservativen Regierung ein Dorn im Auge ist. Doch der Gleichschaltung der Justiz widersetzte sie sich - mit Hinweis auf die Verfassung.

 Hat sich nicht einschüchtern lassen: Malgorzata Gersdorf, polnische oberste Richterin, wehrte sich erfolgreich gegen ihre Absetzung.

Hat sich nicht einschüchtern lassen: Malgorzata Gersdorf, polnische oberste Richterin, wehrte sich erfolgreich gegen ihre Absetzung.

Foto: picture alliance/dpa/Christoph Schmidt

Lech Walesa stieg im Sommer 1980 auf das Führerhaus eines Kleinlasters, um die Arbeiter auf der Danziger Leninwerft zu Widerstand und Solidarität aufzurufen. Es war die Geburtsstunde der Freiheitsbewegung Solidarnosc, die 1989 das Ende des Kommunismus in Polen erkämpfte.

Malgorzata Gersdorf tritt leiser auf als Walesa, aber nicht weniger bestimmt. Statt auf einen Laster zu klettern, erschien die Erste Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs in Warschau am 4. Juli 2018 einfach zur Arbeit, in ihre Robe gehüllt und mit zwei weißen Rosen in der Hand. Für Lärm sorgten damals vor allem Tausende Demonstranten, die sie umringten. „Freie Gerichte“, forderten sie und skandierten: „Verfassung, Verfassung!“

Die Szene machte Gersdorf nicht nur zu einer Ikone der Opposition in Polen, sondern weit über die Grenzen des Landes hinaus bekannt. Denn die eher kleine Frau mit den kurzen blonden Haaren widersetzte sich an jenem Mittwoch im Juli, als sie ihrer Arbeit nachging, nicht nur einem umstrittenen Gesetz zur Zwangspensionierung von Richtern, das in offenem Widerspruch zur Verfassung stand. Vielmehr „verteidigte sie Demokratie und Rechtstaatlichkeit im sechstgrößten Land der EU“. So lautet die Begründung dafür, dass die 66-Jährige an diesem  Freitag auf dem Petersberg den Internationalen Demokratiepreis Bonn erhält.

 Ort der Festveranstaltung: der Petersberg.

Ort der Festveranstaltung: der Petersberg.

Foto: picture alliance / dpa/Oliver Berg

Gersdorf in einer Reihe mit Friedensnobelpreisträgerinnen

Gersdorf steht damit künftig in einer Reihe mit den Friedensnobelpreisträgerinnen Shirin Ebadi und Leymah Roberta Gbowee, die für ihren Kampf um Demokratie und Menschenrechte im Iran und in Liberia ebenfalls schon mit dem Bonner Preis ausgezeichnet wurden. So wie auch Vaclav Havel, der Anführer der Samtenen Revolution in der ehemaligen Tschechoslowakei. Mit solchen „Giganten“ wolle sie sich nicht messen, sagt Gersdorf und wehrt auch alle Vergleiche mit dem Freiheitskampf der Solidarnosc ab, für die sich die promovierte Arbeitsrechtlerin in den 80er Jahren  engagierte. Aber wer die Vorgeschichte des 4. Juli 2018 in den Blick nimmt, kann durchaus zu einem anderen Schluss kommen und in Gersdorf doch eine Persönlichkeit sehen, die auf Augenhöhe mit den bisherigen Preisträgern steht.

Alles begann 2015 mit dem Sieg der nationalkonservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) bei den Parlamentswahlen. Kaum im Amt, brachte die PiS-Regierung mit politischer Brachialgewalt zentrale Pfeiler der Demokratie ins Wanken. Mithilfe ihrer absoluten Parlamentsmehrheit unterwarf sie das Verfassungsgericht und die Staatsmedien ihrer Kontrolle. Zugleich startete sie eine Justizreform, als deren wichtigstes Ziel sie die „Dekommunisierung der Richterschaft“ ausgab. Angeblich saßen 25 Jahre nach dem Ende der Diktatur noch immer Ex-Kommunisten an den Schalthebeln der polnischen Justiz und verhinderten einen echten Wandel im Land.

Gersdorf, die 2014 den Vorsitz am Obersten Gericht übernommen hatte, hielt das von Anfang an für ein Märchen. In ihrem Haus gebe es „keine Reste von Kommunismus“, erklärte die ehemalige Solidarnosc-Beraterin. Das wahre Ziel der PiS sei, missliebige Amtsinhaber loszuwerden und die Gerichte nach neu installierten Berufungsregeln mit parteitreuen Juristen zu besetzen. So sah es auch die EU-Kommission, die keine zwei Monate nach Regierungsübernahme der PiS ein Rechtsstaatsverfahren gegen Polen einleitete. Später erklärte der Europäische Gerichtshof (EuGH) zentrale Teile der umstrittenen Justizreformen für „mit EU-Recht nicht vereinbar“.

Demokratie an der Spitze des obersten Gerichts

Das galt vor allem für die Regeln zur vorzeitigen Pensionierung, gegen die Gersdorf am 4. Juli 2018 rebelliert hatte. Die folgenden Monate bis zur ersten EuGH-Entscheidung im Oktober beschrieb sie später als permanenten Kampf. Mehrfach habe sie im Büro ihre Sachen packen müssen. Sie kam aber immer wieder. Die Überzeugung, dass es ohne Gewaltenteilung keine Demokratie und keine Freiheit geben kann, trieb sie an. Am Ende knickten ihre Widersacher in der Regierung unter dem Druck der Luxemburger Richter ein. Nach dem jüngsten Wahlsieg der PiS, die ihre absolute Mehrheit im Sejm verteidigte, fürchten Beobachter allerdings eine zweite Welle antidemokratischer Systemreformen in Polen. Die ehemaligen Präsidenten Lech Walesa, Alexander Kwasniewski und Bronislaw Komorowski warnten bereits vor einem „Abgleiten in eine autoritäre Diktatur“.

Gersdorf wird eine mögliche nächste Runde im Kampf um die Demokratie kaum noch aus dem Amt heraus führen können. Im kommenden April geht die Mutter eines Sohnes, der längst selbst als Anwalt arbeitet, mit dann 67 Jahren in den Ruhestand. Allerdings regulär, wie sie betont: „Das resultiert aus der Frist, die in der Verfassung festgeschrieben ist.“ Nach sechs Jahren an der Spitze des Obersten Gerichts ist demnach Schluss.

Aber Gersdorf, die weiter als Professorin an der Uni Warschau tätig sein wird, sieht ihrer Pensionierung gelassen und der Zukunft optimistisch entgegen. Soziologische Studien zeigten, dass in Polen „jene Kräfte an Zuspruch verlieren, die Demokratie und Rechtsstaat in Frage stellen“. Sie sei deshalb guten Mutes, dass diese Geschichte ein Happyend haben wird.

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