Kunst!Rasen in Bonn Lou Reed eröffnete Musik-Saison in der Gronau

BONN · Glamour sieht anders aus. Lou Reed ist der Mann für die Farben Schwarz und Dunkelgrau. Am Freitagabend eröffnete der legendäre New Yorker die Kunst!Rasen-Saison in der Bonner Gronau.

Ein großer Mann für den Beginn einer neuen Ära. Nachdem der Museumsplatz als Open-Air-Standort ausgeschieden ist, spielt nun die Musik unter freiem Himmel in der Gronau. Das verdankt das Publikum zwei Männern: den Konzertveranstaltern Ernst-Ludwig Hartz und Martin Nötzel.

Das Debüt des neuen Platzes war ein Erfolg, unweit des Post Towers entfaltete sich klassische Open-Air-Stimmung. Es gibt kein Dach, das Publikum ist den Naturgewalten ausgesetzt, und das ist gut so.

Lou Reed und seine achtköpfige Band stiegen mit dem Song "Brandenburg Gate" vom Album "Lulu" (2011) ein, das Reed gemeinsam mit Metallica aufgenommen hat. Die ersten Worte "I would cut my legs and tits off" signalisierten bereits, wohin die Reise gehen würde. Der 70-jährige Wuschelkopf ließ mit Metallica seiner Vorliebe für gewalttätige Visionen und sadomasochistische Fantasien freien Lauf. Reeds großartig-groteske Sätze überzogen die Heroen von Metallica, und jetzt, weniger dramatisch, die Musiker auf dem Kunst!Rasen, mit Hardrock-Effekten. Vorher gab's röhrende Rückkoppelungen.

Der experimentierlustige Reed hat auch mit 70 noch eine musikalische Zukunft vor sich. Doch die Menschen waren am Freitag gekommen, um die glorreiche Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Und Lou Reed, im ärmellosem dunklen Shirt, lieferte: erst "Heroin", dann "I'm Waiting For The Man". In "Heroin" heißt es: "Heroin, it's my wife and it's my life": die Droge als Lebenspartner. Reed weiß, wovon er singt. "Heroin", mit exaltierter elektrisch verstärkter Geige dargeboten, vereinte auf gruselig-schöne Weise brüchige Zärtlichkeit und Agonie.

Dass die Sonne während des Songs herauskam, mochte man als bizarren Kontrast empfinden. Reed lächelte auch einmal kurz. Die elektrisierte Band vermittelte dem Publikum einen guten Eindruck davon, was Lou Reed seit den Zeiten von Velvet Underground alles auf die Beine gestellt hat. Hingerissen waren die Menschen natürlich vom Klassiker "Walk On The Wild Side", den Reed im federleichten Swing-Gewand auftreten ließ; das "Do Dodoo Do Dodoo" der Background-Sängerin wird wohl niemand so schnell vergessen. Genauso wenig wie Reeds gnadenlos schraddelnde Gitarre und die unsentimentale Leierstimme, die so viel Lebenserfahrung transportiert. Reeds nasale Nonchalance und seine konzentrierte Verbissenheit, mit der er seine Konzerte durchsteht, sind ohnehin unübertroffen. Meistens stand er da wie eine Statue, nahezu unbeweglich, aber permanent unter Strom.

Ihm verdanken wir Juwelen wie "Sweet Jane", "Sad Song" und "Beginning To See The Light". Sie im Konzert zu hören, war wie ein Geschenk. Für Nettigkeiten ist der Mann eigentlich nicht bekannt. Kann man einen wie ihn lieben? Der berühmte Pop-Journalist Lester Bangs (1982 mit 33 Jahren gestorben) hegte ambivalente Gefühle für den Musiker: "Lou Reed ist vor allem deswegen mein Held, weil er für alles Abgefuckte steht, was ich mir vorstellen kann. Was aber wahrscheinlich nur zeigt, wie eingeschränkt meine Vorstellungskraft ist."

So sieht der Kunstrasen vor den Konzerten aus:

Für Bangs war Reed auch ein "erbärmlicher Todeszwerg". Im Laufe seiner Karriere erzählte Reed von Strichern und Fixern, von Sadomasochismus, Nihilismus und Selbstmord. Danach vom schwierigen Beziehungsalltag, von individueller Desorientierung und der Liebe im Allgemeinen. Dabei ging es immer zur Sache. Faszinierend, dass unter all dem Psycho-Schutt, den Reed musikalisch auf der Bühne ablädt (zumal vom Album "Lulu"), dann doch immer wieder Augenblicke von seltener Schönheit, paradoxe Glückserlebnisse verborgen sind. Wenn er die im Konzert ans Publikum verschenkt, erscheint der existenzielle Grantler in einem ganz anderen Licht.

Sein Live-Album aus dem Jahr 1997 hat Reed "Perfect Day" genannt. Perfekt passt auch für 2012. Der Abend gestern auf dem Kunst!Rasen war komplex, aufregend, unvergesslich. So darf es auf dem neuen, sofort vom Publikum angenommenen Open-Air-Spielort weitergehen. Unter den rund 1500 Zuhörern: der Oberbürgermeister, der Generalintendant, der BAP-Chef, die Festspielhaus-Freunde.

Am Samstagabend übernimmt Jan Delay.

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