Wahl 2013 - Das Streitgespräch Linken-Kandidat Paul Schäfer: "Der Mindestlohn bringt mehr Kaufkraft"

Bonn · Beim Thema Mindestlohn sind Paul Schäfer und Dirk Müller nah beieinander. Beim Thema Steuererhöhungen kommen sie nicht zusammen.

 Diskutieren übers Geld: Bundestagsabgeordneter Paul Schäfer und Unternehmer Dirk Müller.

Diskutieren übers Geld: Bundestagsabgeordneter Paul Schäfer und Unternehmer Dirk Müller.

Foto: Horst Müller

Wenn es um Lohngerechtigkeit geht, wird oft die Gebäudereinigung als Negativbeispiel herangezogen. Warum?
Dirk Müller: Unsere Auftraggeber wissen, was sie an uns haben und schätzen unsere Branche sehr. Die mangelnde Wertschätzung in der Öffentlichkeit hängt sicher mit den schwarzen Schafen zusammen, die es aber nicht nur bei uns, sondern in allen Branchen gibt. Diesen Vorwurf muss ich mal den Medien machen: Immer wenn es um Billiglöhne geht, wird ein Foto mit Gebäudereinigern gezeigt. Dabei waren wir die erste Dienstleistungsbranche mit Mindestlohn. Und liegen damit deutlich über dem, was die SPD fordert.

Die SPD fordert 8,50 Euro. Sie zahlen 9,31 in West- und 7,96 in Ostdeutschland brutto. Für Geringverdiener ist das netto. Herr Schäfer, reicht das zum Leben?


Paul Schäfer: Wir finden das zu wenig. Wir fordern mindestens zehn Euro. Man muss ein Einkommen erzielen können, das über dem liegt, was jemand an Transferleistungen erhält. Und man muss eine auskömmliche Altersvorsorge treffen können. Trotzdem finde ich, dass die Gebäudereinigung auf einem guten Weg ist. Viel schlechter wird leider in der Pflege oder bei den Wachdiensten gezahlt. Oder denken Sie an die aktuelle Diskussion über die Schlachthöfe. Die Arbeitnehmer dort erhalten einen lausigen Lohn.

Herr Müller, warum zahlen Sie Ihren Leuten nicht zehn Euro?


Müller: Das wird Sie sicher wundern, wir sind eine Branche, die sagt, wir wollen einen gesetzlichen, flächendeckenden Mindestlohn...
Schäfer: Es gibt ja auch vernünftige Unternehmer (lacht).
Müller: Aber über die Höhe sollten nicht die Politiker reden. Gerade in Wahlkampfzeiten artet das schnell in Populismus aus und sie überbieten sich gegenseitig. Wenn wir dann über eine Grenze kommen, die am Markt nicht mehr durchsetzbar ist, führt das am Ende dazu, dass Stellen gestrichen werden. Die Kunden haben für die Reinigung halt nur ein gewisses Budget. Ich bin für eine Kommission, die die Stundenlöhne festsetzt.
Schäfer: Das deckt sich mit unseren Vorstellungen. Ausgangspunkt muss aber sein, dass die Höhe so festgesetzt wird, dass jemand ein auskömmliches Leben führen kann. Bei dem gesetzlichen Mindestlohn darf man aber nicht nur das einzelne Unternehmen sehen. Man muss bedenken, dass der Mindestlohn erheblich mehr Kaufkraft bringt. Das Prognos-Institut hat eine Studie erstellt, nach der die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns schon von 8,50 Euro zu einem Einkommenszuwachs von 14,5 Milliarden pro Jahr bei den Erwerbstätigen führen würde. Das würde vor allem dem Einzelhandel nützen.
Müller: Lohnsteigerung kann nur mit Produktivitätssteigerung einhergehen. Höhere Löhne kann der Unternehmer nicht immer aus seinen Erlösen finanzieren, er muss sie am Markt umsetzen. Oder die Arbeit weiter verdichten. Das müssen wir ohnehin schon, weil der Wettbewerb härter wird.

Es gab aus Ihrer Branche in Bonn Klagen über die Arbeitsverdichtung, die zu unbezahlten Überstunden geführt habe...


Müller: Dann müssen sich die Mitarbeiter an die Innung oder den Zoll wenden. Dafür haben wir ja das Entsendegesetz, das dauerhafte kostenlose Mehrarbeit verhindern soll. Das wird vom Zoll auch stichprobenartig überprüft.
Schäfer: Das ist gut. Das zeigt aber, dass wir ein öffentliches Kontrollwesen brauchen. Wenn ich mir eine Grundsatzbemerkung erlauben darf: Ich sehe uns als Linke nicht so unternehmerfeindlich, wie wir manchmal in der Öffentlichkeit dargestellt werden.

Mit Ihrer Forderung nach höheren Steuern machen Sie sich aber gerade bei den Unternehmen, vor allem beim Mittelstand keine Freunde.


Schäfer: Uns geht es um die zunehmende Verarmung der öffentlichen Hand, vor allem der Kommunen. Das muss ein Ende haben. Unsere Forderung nach einer Erhöhung des Spitzensteuersatzes auf 53 Prozent ist eine Stellschraube. Außerdem wollen wir die Gewerbesteuer zur Gemeindewirtschaftssteuer weiterentwickeln, die jede selbstständige Betätigung, also auch die der freien Berufe, einbezieht. Klar, aus unternehmerischen Kreisen hört man oft, das alles sei Gift für die Wirtschaft. Aber die Vermögensverteilung hat in den letzten 20 Jahren eine sehr ungesunde Entwicklung genommen. Die Großvermögen sind erheblich angewachsen, die kleinen Unternehmen wollen wir ja nicht zusätzlich belasten.
Müller: Grundsätzlich ist der Mittelstand immer von Steuererhöhungen betroffen.
Schäfer: Die Gewerbesteuer ist aber für eine Kommune leider nahezu die einzige Möglichkeit, auf der Einnahmenseite etwas mehr Spielraum zu erhalten. Aber wir haben ja auch die Vermögenssteuer im Angebot.
Müller: Das, was Arbeit schafft, muss entlastet werden. Mir stößt besonders Ihr Plakat auf, auf dem Sie die Millionärssteuer fordern.
Schäfer: Teilen macht Spaß. Das gilt auch für Millionäre.
Müller: Einer, der sein Leben lang gearbeitet und ein Haus abbezahlt hat, könnte nach der Papierform aber auch schon fast als Millionär gelten. Die mit den ganz großen Einkommen kriegen Sie doch gar nicht. Die suchen sich weltweit einen anderen Finanzplatz. Mit Ihrer Steuerpolitik treffen Sie die Falschen. Jemand, der ein Haus besitzt, vielleicht noch eine Mietwohnung, ist doch nicht reich.
Schäfer: Aber er kann etwas mehr zahlen als andere. Warum soll das nicht machbar sein?
Müller: Weil Sie damit Menschen bestrafen, die hart gearbeitet und sich etwas angeschafft haben. Wenn der Staat mir immer mehr von meinem Einkommen wegnimmt, bleibt die Leistungsmotivation auf der Strecke. Schaffen Sie besser alle Steuersonderabschreibungen ab.
Schäfer: Mir leuchtet nicht ein, dass die Leistungsmotivation sinkt, wenn man mehr Steuern zahlen muss. Jeder Bürger profitiert davon, wenn der Staat mehr Geld hat, zum Beispiel für den Ausbau der Infrastruktur. Die hohen Einkommen, die heute an Führungskräfte in der freien Wirtschaft gezahlt werden, sind doch nicht verhältnismäßig, wenn man bedenkt, was ein Busfahrer oder eine Krankenschwester verdienen.
Müller: Wenn man ein sehr erfolgreiches Unternehmen führt wie VW, das hier Steuern zahlt und viele Arbeitsplätze schafft, kann man aus meiner Sicht soviel verdienen, was die Aktionäre einem zugestehen.
Schäfer: Mir geht es vor allem um die Moral. Ich finde in Anbetracht dessen, dass viele Menschen ganz wenig haben, solche Einkommen unsittlich. Dem muss Einhalt geboten werden.
Müller: Ich kenne jedenfalls nur Unternehmer, die vernünftig leben, die sich vielleicht auch etwas leisten können, die sich in ihrer Stadt engagieren und sich um die Ausbildung kümmern, die in Deutschland nur so gut funktioniert, weil sich die Unternehmer einsetzen. Wenn die Politik den Bogen überspannt, dann habe ich große Sorgen um unsere gute Unternehmenskultur.
Schäfer: Diese Gefahr sehe ich nicht. Allerdings wollen wir das Bankgewerbe, die Energienetze unter staatliche Regie bringen; die Öffentliche Daseinsvorsorge - also vor allem Bildung, Gesundheit, Rente - soll öffentlich bleiben und nicht am privaten Gewinn ausgerichtet sein. Per Gesetz wollen wir ansonsten soziale und ökologische Standards durchsetzen, wie eben den Mindestlohn. Das ist doch nicht zu viel verlangt.

Politische Forderungen

  • Soziale Gerechtigkeit: Menschen müssen von ihrer Arbeit leben und für das Alter vorsorgen können. Vollzeit zu arbeiten, um dann noch aufstocken zu müssen, verstößt gegen die Würde des Menschen.
  • Volksentscheide: Mehr direkte Mitbestimmung der Bürger.
  • Konsequente Friedenspolitik: Frieden kann nur durch weltweite Abrüstung entstehen. Rüstungsexporte müssen eingestellt werden.
  • Energie muss sauber werden und für alle bezahlbar sein.

Zur Person

Paul Schäfer wurde 1947 in Mainz geboren. Er studierte in Marburg Soziologie und Politologie und lebt mit seiner Lebensgefährtin in Köln. Von 1993 bis 1999 war er SPD-Mitglied. 2000 trat er in die PDS ein, der Vorgängerin der Linkspartei. Seit 2005 sitzt er im Bundestag.

Dirk Müller wurde 1968 in Koblenz, geboren. Er ist Obermeister der Gebäudereiniger-Innung Bonn/Rhein-Sieg und gehört unter anderem dem Bundesinnungsverband an. 2011 gründete er die Dirk Müller Gebäudedienste GmbH. Er lebt mit seiner Familie in Bonn.

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