Der Komponist im (halb-fiktiven) Interview Das würde Ludwig van Beethoven zum rheinischen Karneval sagen

Bonn · In seinen Werken blitzt der Spielwitz auf. Dass Beethoven auch dem Alltag mit rheinischem Humor begegnete, beleuchtet Kabarettist Konrad Beikircher. Ein Interview - mit Beethoven selbst.

Ludwig van Beethoven alias Konrad Beikircher.

Ludwig van Beethoven alias Konrad Beikircher.

Foto: Beikircher/Sonja Hoffmann

Karneval steht alles Kopf. Wider besseren Wissens geschehen Dinge aus Spaß an der Freud‘. Deswegen ist es auch möglich, mit dem 250-jährigen Ludwig van Beethoven ins Gespräch zu kommen. Zumal das Fantasieren auch zu seinen Stärken gehörte. Bei dem Interview zwischen Himmel und Erde „assistierte“ – gewissermaßen als Alter Ego des Komponisten – der Bonner Kabarettist Konrad Beikircher, der dem berühmten Sohn der Stadt ein eigenes Programm gewidmet hat. Ergebnis ist eine amüsante Geisterbeschwörung, die jedenfalls dem rheinischen Konjunktiv vor den historischen Fakten den Vorzug gibt. Die Fragen stellte Jutta Specht.

Verehrter Meister, heute, an Rosenmontag, sind alle Jecken auf der Straße. Wollten Sie auch dabei gewesen sein?

Ludwig van Beethoven: Ich wor nie so ne richtije Karnevalsjeck. Aber die Bratsche ist ja auch kein Instrument für den Karneval. Viel zu leise. Sie ist ken Trööt und ken dicke Trumm. Nee, Karneval dat war nix für mich. Und bin ich Schumann? Der ist beim Rosenmontagszug in Düsseldorf in den Rhein gesprungen. Nachdem er auch noch gegen seinen Willen herausgefischt wurde, hat er sich in die Anstalt für Behandlung und Pflege von Gemütskranken und Irren in Endenich eingewiesen. Die arme Socke. Komponisten haben es schwer. Du hast Musik im Körper, im Herzen und im Kopf, und sie muss raus aufs Papier.

Standen Sie nicht ebenso unter einem Wahnsinnsstress? Biografen behaupten, Ihr Vater sei furchtbar streng gewesen und hätte Sie verprügelt.

Beethoven: Alles Quatsch. Er war normal. Ich hatte eine schöne Kindheit. Als ich acht Jahre war, sind die Leute vorbeigekommen, um mich Klavier spielen zu hören. Freilich, wenn minge Vatter nachts nach dem Saufen Leute mit nach Hause brachte, hat er mich geweckt. Ich sollte Musik machen. Für mich war es Übung. Immerhin wurde ich mit 14 Jahren zweiter Organist in St. Remigius. Da war ich in Bonn ein kleiner Star und vielleicht sogar in Beuel bekannt.

Aber mit der rheinischen Lebensart und der fünften Jahreszeit konnten Sie schon etwas anfangen?

Beethoven: In Bonn war ich Mitglied der Karnevalsgesellschaft „Freunde schöner Götterfunken“. Für die habe ich das eine oder andere Lied komponiert, zum Beispiel: Hück wird eener drop gemaht, in Kölle op em Alder Maat. Die Melodie war so gut, dass ich sie später für Schillers Ode an die Freude recycelt habe.

Gab es überhaupt damals schon Karnevalsgesellschaften?

Beethoven: Wenn ich mich richtig erinnere, hatten die Mures albae, heute heißen sie Wieße Müüs, Nächte füllende Sitzungen mit Büttenreden, dass die Leute nur so wieherten. Wie die den Kurfürsten durch den Kakao jetrocke han und auch den Belderbusch, den Drecksack. Das hätte ich gerne konserviert, das ging aber damals noch nicht.

Also hatte der bönnsche Jung‘ doch jeckes Blut in den Adern?

Beethoven: Das ist genau der Witz. Der Narr wird verkannt im eigenen Land. Mein Vermächtnis an die Bonner sind Spielwitz und versteckte Anspielungen. Nehmen Sie meine Frühlingssonate für Violine. Darin hatte ich einen Karnevalsschlager versteckt. Allerdings dauerte es 200 Jahre, bis ausgerechnet ein Kölner, der Willi Ostermann, das entdeckt hat und zu meiner Melodie dichtete: Einmal am Rhein und dann zu zweit alleine sein. Aber die Kölner können eben Karneval.

Kaum zu glauben. Da gibt es doch bestimmt noch andere Beispiele?

Beethoven: Rheinischer Singsang – das ist ein riesiger Fundus für einen Komponisten. Als ich einmal auf dem Heimweg in die Bonngasse war, hörte ich zwei Weiber. Die eine regte sich auf, dass die Tochter der anderen anstandslos auf der Straße Pipi machte. Die eine: Darf dat dat? Die Mutter: Jajo dat, warum dann net? Die eine wieder: Dat dat dat darf! Jetzt raten Sie mal, in welcher Sinfonie ich diesen wunderbaren Rhythmus verbraten habe.

Darf ich Sie an eine Komposition für eine Karnevalsveranstaltung des Grafen Ferdinand von Waldstein in der Redoute erinnern?

Beethoven: Sie meinen das Ritterballett? Lieber nicht. Davon will ich eigentlich nichts in der Zeitung lesen. Thema sollten die Hauptneigungen unserer Urväter zu Krieg, Jagd, Liebe und Zechen sein. In meinem jugendlichen Leichtsinn stellte ich mir ein Männerballett vor, die fidele Butze aus Ramersdorf. Schön mit Schnäutzer oben und Tütü unten. Waldstein fand das nicht lustig und er war der Geldgeber. Ich war sauer auf ihn. Bilden Sie sich bloß nichts ein. Sie sind zwar adelig, aber das teilen Sie mit Tausenden anderen Menschen. Ich bin einzig. Das ist der Unterschied.

Es war quasi Ihre Abschiedsvorstellung in Bonn. Warum sind Sie trotz des Erfolgs mit 21 Jahren nach Wien umgezogen?

Beethoven: Die Stadt war ir­jentzwie das New York meiner Zeit oder besser noch, das Silicon Valley der Musiker. Alle waren sie in Wien, jeder, der einen Notenstiel gerade malen konnte. Ich spürte, dass Potenzial in mir steckt. Bei Haydn wollte ich Unterricht haben.

Aber in der kurfürstlichen Residenzstadt Bonn war doch auch viel los.

Beethoven: (brummelt) Auf die Frage, warum ich aus Bonn weggegangen bin, kann ich nur eine Antwort geben: Warum dann net?

Dann geben Sie zu, dass es der Ehrgeiz war?

Beethoven: In jungen Jahren weiß man doch noch nicht, was aus einem wird. Als ich das Stipendium in Wien bekam, gab es kein Halten mehr. Rasch habe ich mich bei Haydn zum Unterricht angemeldet. Mein Motto, lieber der Erste in der Provinz als Zweiter in Rom, das ich bei Caesar geklaut hatte, ließ ich ebenfalls hinter mir. Zwar wollten mich die Bonner zum Bleiben überreden. Aber was sollte für mich als Nummer eins in Bonn noch kommen? Das weiß keiner. Außerdem spürte ich, dass ich in Wien nicht die Nummer zwei wäre.

Und offenbar wollten Sie möglichst schnell weg?

Beethoven: Es war nicht absehbar, wann der Franzose vor den Toren steht. Dann hätte ich unter Umständen ins Rechtsrheinische fliehen müssen – zum Beispiel nach Limperich. Da kam der Franzose nicht hin. Aber watt machste da? Später bot mir Bonaparte an, dass ich nach Kassel gehen soll zum König von Westphalen. Ich dachte, der hat sie ja nicht mehr alle. Der Rheinländer soll zum König von Westfalen. Aber vielleicht, im Nachhinein… Da hätte ich allein das Sagen gehabt.

Was wäre gewesen, wenn es in Wien nicht geklappt hätte?

Beethoven: Hätte ich kein Stipendium vom Fürsten bekommen, hätte ich jemand anders angebaggert. Den Waldstein zum Beispiel. Startkapital brauchte ich, um Fuß zu fassen. Du musst dich in der Weltstadt ja auch anders kleiden. Seidenstümpfe, Notenpapier, ein Flügel.

Was haben Sie sich von Wien versprochen?

Beethoven: Ich war Bratschist und Pianist - eine seltene Kombination. Die Bonner meinten, ich spiele sie gut. Klavier sowieso. Aber ich wollte nach Wien. Da war mehr los; ich hatte mehr Möglichkeiten. Ich wollte einfach mal andere Sachen komponieren. Sonaten und Opern. Aber keinesfalls ein Musical. Neenee. Zu amerikanisch.

Haben Sie Mozart überhaupt kennengelernt?

Beethoven: Die einen sagen so, die anderen so. Mit 17 Jahren wurde ich zum Mozart nach Wien geschickt. Der hatte schon von mir gehört. Ich weiß nicht, von wem, vielleicht vom Bach oder Brahms. Leider musste ich kurzfristig zurück nach Bonn. Meine arme Mama lag im Sterben.

Als Sie 1792 nach Wien gingen, war Mozart kurz vorher gestorben. War er ein Vorbild?

Beethoven: Die ersten Mozart-Opern habe ich mit der Bratsche gesägt. Da gibt es schöne Bratschen-Stellen. Da hast du nur die leere Saite und dann wird sowas von gesägt. Ich hätte gern ein paar Sonaten geschrieben wie Mozart. Das klingt so leicht. Aber die Zeit war vorbei. So wie Mozart komponieren, das machen ja viele. Sogar mein Lehrer Christian Gottlob Neefe hat von ihm abgekupfert. Nein, Mozart hatte seine Zeit, dann kam meine. Ich wollte persönlicher sein, mit der Musik mehr bei de Minsche.

An was in Bonn erinnern Sie sich auch nach 250 Jahren noch gern?

Beethoven: An die Redoute in Godesberg. Da habe ich den Haydn getroffen. Die Redoute war ein anrüchiger Ort, ein Spielcasino mit Paarshippen in den Büschen. Da wurde Roulette gespielt, und weil die Quote höher war als im eigenen Casino, kamen sogar die Neuenahrer. Der Haydn hat gezockt wie Hölle. Ich habe dazu gespielt, zum Beispiel den Entertainer. Ich glaube, die Melodie hatte ich irgendwo geklaut.

Die Bonner sind auf der Suche nach weiteren Kompositionen, etwa der 11. Sinfonie. Was würden Sie jetzt noch gerne schreiben?

Beethoven: Mir schwebt eine sridhanesische Oper vor. Ich nenne sie Tatsch Mahall. Der Plot handelt von jemandem, der aus Indien nach Bonn kommt, eine Familie gründet und Oberbürgermeister wird.

Gibt es eine Auftragsarbeit, die Sie im Nachhinein bereuen?

Beethoven: Ich bin stinkwütend auf die Briten. Wie Sie wissen, ist die 9. Sinfonie im Auftrag der Londoner Philharmonic Society entstanden und wurde dort 1825 aufgeführt. Die haben mir viel Kohle rübergeschoben. Der letzte Satz wurde sogar in einer Instrumentalfassung 1985 Europahymne als Zeichen der Einheit. Da machst du und schreibst – und was machen die? Treten aus Europa aus. Ist es denn die Möglichkeit?

Fühlen Sie sich von ihrer Geburtsstadt angemessen geehrt?

Beethoven: Als ich dann in Wien weltbekannt wurde, ist das bis ins Rheinland durchgedrungen. Ehrlich gesagt war ich neugierig, wie die Bonner damit umgehen würden. Immerhin, sie nennen mich den größten Sohn der Stadt und haben mir ein Denkmal gesetzt. Gewünscht hätte ich mir ein Marmortäfelchen an der Orgel in der Remigiuskirche: Hier saß LvB und hat ab seinem 13. Lebensjahr geörgelt. Eine goldene Bratsche auf dem Marktplatz wäre auch schön. Meine Jubiläumsparty hätte ich gern in der Beethovenhalle gefeiert. Aber die kleinere Varian­te in Muffendorf ist auch gut – für Streichquartette und Klavierabende. Als alter Mann mag man es einfach nicht mehr so groß und laut.

Sagen Sie ehrlich, wer ist noch besser als Sie?

Beethoven: Ich bitte Sie, ich gehöre zu den meistgespielten Komponisten der Welt. Und als Klaviervirtuose … was soll ich sagen? Da muss der Lang Lang die Finger lang machen, außerdem kommt der aus dem Rechtsrheinischen. Alaaf allerseits und küss die Hand!

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