Der NRW-Integrationsminister im GA-Interview Joachim Stamp: „Wir müssen konsequenter zurückführen“

Bonn · Zum Abschluss der GA-Serie "Neue Nachbarn" plädiert Joachim Stamp (FDP) dafür, die Themen Kriegsflüchtlinge, Einwanderer und Wirtschaftsmigration klar voneinander zu trennen. Wer ein Bleiberecht habe, solle indes auch eine Perspektive erhalten und gefördert werden.

 Flüchtlinge gehen im September 2016 in die Ermekeilkaserne, um in der Bamf-Außenstelle ihre Asylanträge abzugeben.

Flüchtlinge gehen im September 2016 in die Ermekeilkaserne, um in der Bamf-Außenstelle ihre Asylanträge abzugeben.

Foto: Axel Vogel

Bei den Sondierungsgesprächen über eine mögliche Jamaika-Koalition im Bund war der Bonner FDP-Politiker Joachim Stamp in den vergangenen Tagen besonders gefordert, denn er verhandelte für seine Partei bei den Themen Migration und Einwanderung. Über sein Amt als NRW-Integrationsminister sprach Rüdiger Franz mit ihm.

Herr Stamp, wie waren die ersten Wochen im Ministeramt?

Joachim Stamp: Ich bin im Haus sehr gut aufgenommen worden, die Mitarbeiter ziehen großartig mit. Meine Tagesabläufe und mein Terminkalender sehen natürlich ganz anders aus als vorher. Das ist eine neue Herausforderung und große Gestaltungschance.

Ihr Ressort ist völlig neu zugeschnitten worden. Hat sich das bereits bewährt?

Stamp: Neben den Bereichen Kinder und Familien sind jetzt auch Integration und Ausländerrecht unter einem Dach. Das ermöglicht eine Politik aus einem Guss. Wir verstehen uns als Chancenministerium. Wir wollen möglichst gute Chancen von Anfang an unabhängig von der Herkunft.

Wo lagen die ersten politischen Schwerpunkte?

Stamp: Ich freue mich, dass es uns gelungen ist, eine halbe Milliarde Euro für die Rettung der Kita-Träger auf den Weg zu bringen. Damit konnten wir die Unterfinanzierung der Kindergärten soweit beheben, dass in den kommenden zwei Jahren kein Kindergarten schließen muss. Im Bereich des Ausländerrechts und der Integration arbeiten wir daran, denjenigen, die sich hier gut integriert haben, bessere Bleibeperspektiven zu geben. Zugleich wollen wir Integrationsverweigerer, besonders Kriminelle und Gefährder, deutlich schneller und konsequenter abschieben.

In der öffentlichen Debatte verschwimmen oft die Themenfelder Migrationskrise und Integrationspolitik. Die Rückkehr der Bürgerkriegsflüchtlinge in ihre Heimatländer wird dabei vergleichsweise wenig diskutiert. Darauf weist ja auch Ihr Parteivorsitzender Christian Lindner hin, wenn er an den Wiederaufbau der Kriegsregionen erinnert. Wie stehen Sie dazu?

Stamp: Christian Lindner und ich haben vor der Bundestagswahl dazu ein gemeinsames Eckpunktepapier vorgelegt und sind da auf einer Linie. Wir wollen das System neu ordnen. Dafür brauchen wir ein Einwanderungsgesetz, das zwischen individuell Verfolgten, Kriegsflüchtlingen und Arbeitsmigranten unterscheidet. Deutschland soll weiter Schutz vor Verfolgung bieten. Dauerhafte Einwanderer wollen wir uns wie jedes andere Land der Welt selbst aussuchen.

Also ein eigener Status für Kriegsflüchtlinge?

Stamp: Ja. Und zwar mit Identitätsfeststellung und Sicherheitsüberprüfung. Anstatt das reguläre Asylverfahren durchlaufen zu müssen, sollten sie einen vorläufigen humanitären Schutzstatus für die Dauer des Krieges genießen und im Anschluss in der Regel in die Heimatländer zurückkehren.

Wie kann man sich die Auswahl der Arbeitsmigranten vorstellen?

Stamp: Wir wollen bei der bestehenden Blue Card, also der Einreise mit Arbeitsvertrag, die Mindestgehaltsschwelle auf das Niveau normaler Qualifikationen absenken. Darüber hinaus wollen wir einem festen Kontingent besonders gut Qualifizierter ermöglichen, nach einem Punktesystem mit Parametern wie Alter, Qualifikation, Sprache sich auf dem hiesigen Arbeitsmarkt zu bewerben.

Tut die Politik genug für die Rückkehr von Personen ohne Bleiberecht?

Stamp: Wir müssen konsequenter zurückführen. Idealerweise finden die Verfahren komplett in Landeseinrichtungen statt, von wo aus diejenigen mit Aufenthaltsgenehmigung in die Kommunen verwiesen werden und alle anderen in die Heimatländer direkt zurückreisen. Wenn wir das als System hinbekommen, brauchen wir auch keine Scheindebatten über Obergrenzen zu führen. Dann funktioniert das System.

Wie sehen Sie die Lage auf dem sozialen Wohnungsmarkt? Dort ist der Markt mit der Migrationswelle erkennbar enger geworden….

Stamp: Es muss insgesamt mehr in den Wohnungsmarkt investiert werden. Die Mietpreisbremse hat auf Seiten der Investoren eher zu Zurückhaltung geführt hat. Da hat man etwas Gutes gewollt, aber das Gegenteil erreicht. Zugleich müssen wir bürokratische Hemmnisse bei der Bauordnung abbauen, damit es mehr Investitionen gibt. Ebenfalls sollten Kommunen bei Neubaugebieten darauf achten, dass ein bestimmter Prozentsatz für sozial Schwächere vorgehalten wird.

Ist denn die Segregation in Stadtteilen überhaupt korrigierbar?

Stamp: Es ist auch Aufgabe lokaler Planungspolitik, solchen Entwicklungen entgegenzusteuern. Beispielsweise in Dransdorf ist das mit einem funktionierenden Quartiersmanagement und der gezielten Ansiedlung studentischen Wohnens schon gut gelungen. Diese Herausforderung stellt sich auch in anderen Stadtteilen. Für Bad Godesberg hat die FDP ja den Vorschlag eines Hochschulcampus eingebracht, um durch möglichst viele Studenten vor Ort eine Frischzellenkur für den Stadtteil zu erreichen.

Stichwort Bad Godesberg: Welche Haltung nehmen Sie zum Medizintourismus aus arabischen Staaten ein?

Stamp: Wir müssen hier stärker gegensteuern, weil dies den Stadtteil zu einseitig in eine Richtung geprägt hat. Auflagen bei Visa wären ein probates Mittel.

Wie sehen Sie die Rolle Ihres Ministeriums bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität oder der Beschäftigung mit Intensivtätern?

Stamp: Das ist zunächst eine Aufgabe der Polizei und damit des Innenministeriums. Aber auf meine Initiative hin wollen wir eine Ombudsstelle für Jugendliche einsetzen, die sich nicht trauen, über ihre Rolle als Opfer oder als Zeuge zu sprechen, und die sich davor fürchten, dann erst recht in Bedrängnis zu geraten.

So wie mutmaßlich im Falle des in Bad Godesberg erschlagenen Niklas…

Stamp: Ja. Hier scheint es eine Reihe Jugendliche zu geben, die genau wissen, was tatsächlich passiert ist. Aber sie ziehen es vor, zu schweigen. Wenn ich an anderer Stelle von Jugendlichen höre, die ihre Eltern aus Angst darum bitten, wegzuziehen, dann läuft da etwas grundlegend schief. Das müssen wir konsequent angehen.

Wie eng arbeiten Sie bei diesen Themen mit dem Justizminister zusammen?

Stamp: Gerichte, Staatsanwaltschaften, Polizei und Jugendämter müssen besser zusammenarbeiten. Dazu bin ich im engen Austausch mit meinen Kollegen aus dem Innen- und dem Justizressort. Gerade im Bereich der Jugendkriminalität müssen wir erreichen, dass die Strafe unmittelbar auf die Tat folgt. Wenn nach einer Straftat erst einmal ein Dreivierteljahr nichts passiert, weckt das bei den Delinquenten einen fatalen Eindruck. Kirsten Heisig, die verstorbene Berliner Jugendrichterin, hat dazu ein wichtiges Buch geschrieben.

Ein Thema rückt in NRW immer stärker ins Licht: Kriminelle ausländische Clans…

Stamp: Auch hier müssen wir Jugendliche aus diesen Strukturen herauslösen, indem wir ihnen zeigen, dass sich in unserer Gesellschaft eine positive Entwicklung auszahlt. Das will ich mit unserem Ansatz des Chancenministeriums vermitteln. Keiner darf wegen seiner Herkunft ausgegrenzt werden. Wenn Jugendliche den Eindruck haben, mich will hier keiner, ist die Anfälligkeit für Kriminalität oder religiösen Extremismus hoch.

Mit dem Salafismus sprechen Sie ein Phänomen an, mit dem die Stadt Bonn oft auf negative Weise in Verbindung gebracht wird. Haben die Verantwortlichen aus Ihrer Sicht hier das Nötige getan?

Stamp: Wir haben in verschiedenen Städten spezifische Probleme, die nicht einfach übertragbar sind. Ich weiß, dass in Bonn eine Menge gemacht wird. Aber das Problem kann eine Stadt auch nicht alleine lösen.

Prävention oder Repression? Was ist wichtiger?

Stamp: Die Mischung macht’s. Ich habe mich nicht ohne Grund vehement für ein Verbot der Koranverteilaktionen der Tarnorganisation „Lies“ stark gemacht. Im Ministerium habe ich darüber hinaus eine Task Force eingerichtet, die sämtliche Möglichkeiten untersucht, ausländische Gefährder möglichst schnell auszuweisen. Wir werden übrigens auch weiterhin Straftäter nach Afghanistan abschieben.

„Schnell“ ist ein dehnbarer Begriff, wie man im Falle Anis Amri gesehen hat.

Stamp: Anis Amri hätte inhaftiert werden können. Es nicht zu tun, war ein schwerer Fehler der letzten Regierung. Die Situation wird dadurch erschwert, dass Herkunftsländer die Aufnahme verweigern. Wir werden prüfen, inwiefern wir mit eigenen nordrhein-westfälischen Rückkehrprogrammen die Bereitschaft in diesen Ländern erhöhen können. Ich bin dazu auch mit dem Bundesinnenminister im Gespräch. Alles so schnell wie möglich, aber es geht nicht auf Knopfdruck.

Die Zahl der Salafisten steigt und steigt. Werden Sie in ihrer Amtszeit die Trendumkehr schaffen?

Welche konkreten Maßnahmen sind das?

Wie beurteilen Sie Präventionsprojekte wie "Wegweiser"?

Wie stehen Sie persönlich zum Thema Vollverschleierung?

Stamp: Die Vollverschleierung passt zu unserer Gesellschaft wie der FKK-Strand nach Saudi-Arabien. Nichtsdestotrotz muss man feststellen, dass ein generelles Verbot von Burka und Niquab in Deutschland rechtlich schwer durchsetzbar wäre. Ich halte das auch nicht für das drängendste Problem.

Also gibt es aus NRW keine entsprechende Gesetzesinitiative?

Stamp: In öffentlichen Institutionen wollen wir die Vollverschleierung untersagen.

Wie beurteilen Sie die Bildungsgerechtigkeit für deutsche Kinder, in deren Umfeld mehrheitlich die Sprachdefizite ausländischer Mitschüler aufgearbeitet werden?

Stamp: Wir müssen im frühkindlichen Bereich mehr tun. Deshalb wollen wir dafür sorgen, dass es bei der Sprachstandfeststellung eine andere Verbindlichkeit gibt, damit die Förderung entsprechend erfolgen kann. Das heutige Modell der „alltagsintegrierten Sprachförderung“ funktioniert in vielen Kitas hervorragend. Aber es gibt auch solche, in denen es praktisch keine Anwendung findet. Wir müssen effektiver sicherstellen, dass alle Kinder mit guten, altersgemäßen Deutschkenntnissen in die Schule kommen.

Und in den Schulen?

Stamp: Dort wollen wir zunächst die Sprachenvermittlung in der Auffangklasse sicherstellen. Außerdem arbeiten wir an einem Konzept, die Schulpflicht für Flüchtlinge bis zum 25. Lebensjahr auszudehnen. Ansonsten ist die Gefahr groß, dass 19- oder 20-Jährige ohne Qualifikation der Verlockung des schnellen Geldes in irgendwelchen Hilfstätigkeiten erliegen und in Wirklichkeit keine Perspektive haben.

Was sagen Sie zur These, dass eine der wesentlichen Fluchtursachen die hier lockenden Transferleistungen sind?

Stamp: Das ist bei einigen so. Deshalb liegt eine Lösung darin, die Asylverfahren in den Landeseinrichtungen durchzuführen und nur das gesetzlich definierte Taschengeld auszuzahlen, darüber hinaus ausschließlich Sachleistungen. Das würde die Zahl der Antragsteller deutlich senken. Ohnehin gilt: Wenn wir ein funktionierendes Abschieberegime hätten, könnten wir auch großzügiger gegenüber Menschen sein, die sich für einen temporären Aufenthalt interessieren.

Es gibt zuweilen Debatten über Schweinefleisch in Mensen oder den Umgang mit christlichen Bräuchen in Schulen. Wo sollten angesichts mehrheitlich muslimischer Einwanderer die Grenzen der Toleranz verlaufen?

Stamp: Ich warne davor, die deutsche Kultur übers Schweinefleisch zu definieren. Klar ist: Es gibt hier eine gewachsene Kultur und die Notwendigkeit, dass sich Einwanderer an dieser Kultur orientieren. Es ist weltweit ganz normal, sich an die Gepflogenheiten des Landes anzupassen, in dem ich lebe. Zugleich erfordert Integration gegenseitige Rücksichtnahme und Respekt. Nach meiner Beobachtung kommt das Infragestellen christlicher Bräuche eher aus anti-religiösen Kreisen, weniger von Muslimen.

Was sagt denn der Integrationsminister dazu, wenn der Sachbearbeiterin im Flüchtlingsamt der Handschlag verweigert wird?

Stamp: Dann rät er, freundlich, aber sehr bestimmt darauf hinzuweisen, dass dies in Deutschland so üblich ist. Solche Vorkommnisse gibt es, sind aber nicht die Regel. Medial und besonders im Internet wird mittlerweile auch übertrieben. Im konkreten Fall sollten wir derart patriarchale Verhaltensweisen allerdings nicht einfach hinnehmen.

Stichwort doppelte Staatsbürgerschaft: Wie ist Ihre Haltung?

Stamp: Ich werbe für einen pragmatischen Kompromiss: Wie in anderen modernen Einwanderungsländern sollten wir die Möglichkeit der doppelten Staatsbürgerschaft einräumen. Aber sie sollte nicht über die Enkelgeneration hinaus vererbt werden.

Und zum kommunalen Wahlrecht für Nicht-EU-Ausländer?

Stamp: Das halte ich für überflüssig, wenn wir die skizzierten Regelungen beim Staatsbürgerschaftsrecht haben. Unser Ministerium plant stattdessen eine Einbürgerungskampagne auf der Grundlage, dass die Menschen sich aus vollem Herzen zu unserem Land, seinem Grundgesetz und seiner Kultur bekennen und dann auch deutsche Staatsbürger werden.

Die saudische König-Fahad-Akademie in Bad Godesberg wurde inzwischen geschlossen. Wie haben Sie diese Nachricht aufgenommen?

Stamp: Ich habe das mit großer Erleichterung aufgenommen und würde mich freuen, wenn man die Liegenschaft künftig zur interreligiösen Begegnung nutzen könnte statt zur wahhabitischen Abschottung.

Wie wollen Sie mit Ditib umgehen?

Stamp: Der Weg mit Ditib wird ein schwieriger und langer werden. Wir erleben, dass der Verband gerade im seelsorgerischen Bereich vor Ort zum Teil eine ganz hervorragende Arbeit macht. Wir wissen aber auch, dass es massive und teilweise erfolgreiche Versuche aus Ankara gibt, über einzelne Funktionäre auf die Ausrichtung von Ditib Einfluss zu nehmen. Insofern ist es für uns nicht akzeptabel, wenn Ditib sich als politischer Arm von Erdogan in Deutschland begreift. Wir wissen von Reformern bei Ditib, die das ebenso sehen. Sie verdienen Unterstützung.

Herr Stamp, schaffen wir das?

Stamp: Wenn wir systematisch vorgehen, ja. Aber wenn es so läuft wie 2015, dann nein.

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