Alarmierende Zahlen Jeder fünfte Minderjährige in Bonn lebt in Armut

Bonn · 11.605 Kinder und Jugendliche sind mit ihren Familien in Bonn derzeit auf Hartz IV angewiesen. Die Zahl ist damit im Vergleich zum Vorjahr noch einmal gestiegen.

Die Kinderarmut in Bonn ist weiter alarmierend. Laut Statistik des Jobcenters war 2017 von 11.605 Kindern unter 18 Jahren in „Bedarfsgemeinschaften“, also Familien mit Transferleistungsbezug, auszugehen, antwortet Jugendamtsleiter Udo Stein auf GA-Anfrage.

Im Vergleich zu 2016 bedeute das einen Anstieg an armen unter 18-Jährigen von vier Prozent. Im Zeitraum von 2007 bis 2017 sei die Zahl armer Kinder sogar um 1725 gestiegen, erklärt Stein im Rückblick – ein Phänomen einer „reichen“ Gesellschaft, das man bisher trotz des Einsatzes erheblicher Ressourcen nicht nachhaltig habe beseitigen können, bedauert er.

Nach EU-Definition gelte eine Person als armutsgefährdet, wenn ihr weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens der Bevölkerung zur Verfügung stehe. „Laut den Ergebnissen des Mikrozensus lag die Armutsgefährdungsschwelle für eine vierköpfige Familie 2017 in NRW bei monatlich 1987 Euro“, verdeutlicht Stein.

Das heiße, dass aktuell über ein Fünftel Minderjährige in Bonn arm oder armutsgefährdet seien, klagen Jean Pierre Schneider und Ulrich Hamacher, die Geschäftsführer der Bonner Caritas und Diakonie. „Es sind von der Politik auf Bundes- und Landesebene keine wirksamen Maßnahmen getroffen worden, die geeignet wären, arme Familien und damit auch deren Kinder nachhaltig finanziell besser zu stellen oder Bildungsbenachteiligungen tatsächlich zu verringern.“

Der wirtschaftliche Aufschwung nütze den von Armut Betroffenen wenig. Die unteren Einkommen seien real nicht gestiegen. Kindergeld werde Hartz-IV-Beziehern wieder abgezogen, sodass auch Kindergelderhöhungen keine Wirkung zeigten, so Schneider und Hamacher. „Auch von weiteren familienbezogenen Leistungen und Steuererleichterungen profitieren diese Familien nicht oder nur minimal.“

Armut führt zu sozialer Ausgrenzung

Dabei hätten Kinder von Alleinerziehenden oder aus kinderreichen Familien wohl das größte Armutsrisiko, berichtet der Jugendamtsleiter. Und genau sie treffe die Wohnungsnot in Bonn besonders, da sie vielfach mit liquideren Familien um die gleichen Wohnungen konkurrieren müssten und natürlich verlören, meinen Schneider und Hamacher. Die beiden sprechen von vererbter Armut. „Kinder, die schon in eine Armutssituation geboren werden, haben meist keine Chance, aus dieser Situation herauszukommen.“

Die Gesundheitsvorsorge für sie könne oftmals nicht über die vorgeschriebenen Vorsorgeuntersuchungen hinausgehen. „Arme Kinder haben weniger soziale Kontakte, weil sie oft nicht mithalten können: Wer geht schon zu einem Kindergeburtstag, wenn er kein Geschenk mitbringen kann oder selbst nicht einlädt?“ Armut führe also zu sozialer Ausgrenzung, sind der Caritas- und der Diakonie-Chef überzeugt. „Armut gefährdet den eigenen Bildungserfolg und somit die Chancen auf dem Arbeitsmarkt.“

Gute Zukunftschancen ermöglichen

Das wichtigste Ziel, dem Politik, Verwaltung und auch die vielen Institutionen, Organisationen und Einrichtungen in der Stadt Bonn verpflichtet seien, sei, allen Kindern, unabhängig von ihrer Herkunft und sozialen Situation, gute Zukunftschancen zu ermöglichen, formuliert deshalb Jugendamtschef Stein. Die Möglichkeiten der Stadt lägen hier in erster Linie in der Bereitstellung von Bildungsangeboten vom U3-Platz über Kindergarten, Schule, Offene Ganztagsschule (OGS) bis zur Volkshochschule.

Der runde Tisch gegen Kinder- und Familienarmut in Bonn habe ein Forderungspapier aufgestellt, in dem wirksame Maßnahmen auf Bundes-, Landes- und kommunaler Ebene vorgeschlagen werden, erläutern Schneider und Hamacher. „Dazu gehören die Einführung einer Kindergrundsicherung von 500 Euro pro Monat, die bessere Ausstattung von Kindertagesstätten, Schulen und Jugendarbeit mit Personal sowie die gezielte Förderung benachteiligter Kinder.“

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