965 Fälle in 2018 Immer mehr Fälle häuslicher Gewalt in Bonn

BONN · 2018 gab es zehn Prozent mehr Gewalt gegen Frauen durch ihre Partner als 2017. Die Polizei hat in solchen Fällen zwar einige Möglichkeiten einzugreifen, das neue Polizeigesetz gibt ihnen aber mehr Handhabe.

Es hätte niemand für möglich gehalten, nicht die Familie, nicht die Freunde. Das Ehepaar lebte mit seinen Kindern in einer Eigentumswohnung, beide hatten gute Jobs in derselben Firma. Alles schien in Ordnung. Bis zu dem Tag, an dem der Mann in der Öffentlichkeit die Kontrolle verlor. Er schlug zu, und zwar vor den gemeinsamen Freunden. „Am nächsten Tag rief die Frau bei uns an“, erinnert sich Ulrike Große-Kreul, die sich im Frauenhaus und in der Beratungsstelle des Vereins „Frauen helfen Frauen“ engagiert. Dabei habe sich herausgestellt, „dass er sie seit Jahren misshandelt und sie es verheimlicht hat“. Aus Scham und weil die knapp 60-Jährige für die Kinder die Beziehung aufrechterhalten wollte.

Dabei gebe es nicht „den einen Fall“ häuslicher Gewalt, so Große-Kreul. Sie ziehe sich durch alle Altersgruppen und alle Schichten hindurch. Doch eines sei klar, sagt Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa: „Es sind vor allem Frauen, die zum Opfer werden“, die von ihrem gewalttätigen Partner (häufig mehrfach und über einen längeren Zeitraum) geschlagen, misshandelt und gedemütigt werden. Und es werden stetig mehr. 965 Fälle registrierte die Bonner Polizei im vergangenen Jahr, 2017 waren es 870. Der Anteil der männlichen Täter liegt bei mehr als 80 Prozent.

Elektronische Fußfessel

Ist Gefahr im Verzug, handeln die Beamten sofort – und zwar egal, ob das Opfer Anzeige erstattet oder nicht. Mit dem neuen Polizeigesetz, das im Dezember 2018 vom Landtag verabschiedet worden ist, „haben wir mehr Möglichkeiten bekommen, den Schlägern beizukommen“, so Brohl-Sowa. Grundlage sei allerdings stets ein richterlicher Beschluss, betont die Polizeipräsidentin. Eine elektronische Fußfessel, deren Einsatz derzeit geprüft wird, sei eine Option, das sogenannte Unterbringungsgewahrsam eine andere. „Dann können die Täter bis zu zehn Tage in Polizeigewahrsam genommen werden“, so Brohl-Sowa.

Erfahrungen gibt es bereits: In zwei Fällen, in denen Frauen massiv bedroht und misshandelt wurden, wanderte ein Täter in U-Haft, der andere in das Unterbringungsgewahrsam. Allerdings in Mönchengladbach. Derzeit wird geschaut, ob es in Bonn genug Platz gibt, um die Maßnahme auch vor Ort durchzusetzen.

Näherungsverbote oder Führerscheinentzug

Wovon die Beamten bisher schon rege Gebrauch gemacht haben, ist, den Täter zehn Tage der Wohnung zu verweisen, so Brohl-Sowa. So soll dem Opfer die Möglichkeit gegeben werden, sich beraten zu lassen. Sind Kinder im Spiel, wird – falls nötig – das Jugendamt eingeschaltet.

Je nach Schwere der Tat kann der Täter per Gerichtsbeschluss auch längerfristig von den eigenen Wänden ferngehalten werden, sogar Näherungsverbote oder Führerscheinentzug seien möglich. Verstößt der Täter gegen die Auflagen, wird ein Zwangsgeld fällig. Im ersten Schritt liegt dieses bei 500 Euro, „wir können aber auch auf 1000 Euro oder mehr gehen“, so Brohl-Sowa. 2018 war dies übrigens 18 Mal der Fall.

Oft Wiederholungstäter

Vielfach sind die Protagonisten bereits bekannt. Denn häusliche Gewalt gilt als Wiederholungstat. Dennoch fällt es vielen Opfern schwer, sich zu lösen, häufig besteht eine Abhängigkeit – psychisch und finanziell, so Polizeisprecher Robert Scholten. Unter anderem spielten auch die Angst vor der eigenen Zukunft und die der Kinder eine Rolle. Damit die Opfer wissen, wohin sie sich wenden können, halten die Beamten Infomaterial bereit, unter anderem vom Verein „Frauen helfen Frauen“.

Der hält Lösungen parat, vermittelt Kontakte ins Frauenhaus und berät und unterstützt die Opfer. „Gut ist, wenn Frauen schon nach der ersten Gewalterfahrung klare Grenzen ziehen“, so Große-Kreul. Denn geschehe nichts, akzeptiere man die Entschuldigung und ziehe daraus keine Konsequenzen, „ist die Gefahr einer erneuten, schlimmeren Eskalation groß“. Generell aber sei es egal, wann man sich Hilfe hole – nur, dass man es tut. „Auch wenn man bereits mehrfach Gewalt erfahren hat: Dieser Schritt lohnt sich immer“, ist die Beraterin überzeugt.

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