Interview mit Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa „Ich war in vielen Funktionen die erste Frau“

Bonn · Die scheidende Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa blickt zurück auf ihre Zeit in der Bonner Behörde. Im Interview spricht sie über ihren Führungsstil, prägende Erlebnisse ihrer Dienstzeit und die Schwerpunkte in den nächsten Jahren.

 Szene eines Interviews: Die scheidende Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa schaut nach vorne und zurück.

Szene eines Interviews: Die scheidende Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa schaut nach vorne und zurück.

Foto: Benjamin Westhoff

Fast neun Jahre lang leitete Ursula Brohl-Sowa als Polizeipräsidentin die Geschicke in der Bonner Behörde. Über die Zeit in der Bundesstadt, einschneidende Erlebnisse und die Zukunft sprach Ayla Jacob mit der 64-Jährigen.

Sie kamen aus dem Innenministerium, nicht aus dem Polizeidienst, als sie Polizeipräsidentin in Bonn geworden sind. Hindernis oder Chance?

Ursula Brohl-Sowa: Das hängt von der Führungspersönlichkeit ab. Mir wurde in der Anfangszeit oft vorgehalten, nicht Polizistin zu sein – auch mit negativem Unterton. Aber ich sage immer: Der Leiter einer Klinik kann auch nicht Urologe, Chirurg und Gynäkologe in einer Person sein. Wichtig ist, sich die Prozesse und Strukturen anzuschauen. Ich habe alle Organisationseinheiten angeschaut. Das waren über 100 Besuche in den ersten Monaten.

Haben Sie den Schritt jemals bereut?

Brohl-Sowa: Nein. Man muss sich nur darüber im Klaren sein, dass andere Fähigkeiten gefragt sind. Die Auswirkungen medialer Art waren mir in ihrer Komplexität nicht bewusst. Ebenso wenig war mir klar, wie wichtig eine Polizeipräsidentin für die Stadtgesellschaft ist. Themen wie Videobeobachtung im öffentlichen Raum oder jugendliche Intensivtäter oder Einbruch beschäftigen die Menschen. Darum muss man sich kümmern.

 Ursula  Brohl-Sowa.

Ursula Brohl-Sowa.

Foto: Benjamin Westhoff

Sie waren die erste Polizeipräsidentin in Bonn. Was schlägt einem als weibliche Chefin einer männlich geprägten Behörde entgegen?

Brohl-Sowa: Ich war immer, in vielen Funktionen, die erste Frau, habe das aber nicht in der Situation, sondern erst retrospektiv realisiert. Als ich hierhin kam, war das für mich völlig klar, dass ich die Funktion ausfüllen und die Behörde vernünftig führen muss. Das Thema Frau hat sich überhaupt nicht ergeben.

Spielt es denn mit Blick auf den Führungsstil eine Rolle?

Brohl-Sowa: Ich denke, Frauen pflegen eher einen kooperativen Führungsstil. Dennoch konnten nicht alle Kolleginnen und Kollegen mit meinen Entscheidungen leben. Das ist so, dafür bin ich Behördenleiterin. Aber ich versuche, viel zu kommunizieren und Erklärungen zu liefern. Und ich habe meine Tür stets geöffnet. Ich denke, gute Führung ist, strikt auf das Funktionieren der Behörde zu achten, aber die Belange der Kollegen nicht aus den Augen zu verlieren.

Früher war der Wach- und Wechseldienst das personelle Sorgenkind, heute ist es die Kripo, die überlastet ist. Können die strukturellen Probleme gelöst werden?

Brohl-Sowa: Die Bearbeitungszeit, der Aufwand pro Fall sind deutlich angestiegen. Was uns aber hilft, sind die rückläufigen Fallzahlen. Ich will allerdings nicht verhehlen, dass wir viele Fälle haben, die in der Statistik nicht erfasst sind. Dies ist beispielsweise der Fall, wenn sich die Täter außerhalb Deutschlands befinden. Ich denke, dass sich die Kriminalität künftig verändern und immer mehr Internet verlagern wird. Darauf sind wir vorbereitet, müssen aber personell, technisch und rechtlich aufstocken. Nicht alles, was wird können, dürfen wir. Schauen Sie sich die Vorratsdatenspeicherhung an.

Ist die Bonner Behörde unterbesetzt?

Brohl-Sowa: Wir brauchen perspektivisch mehr Polizeivollzugsbeamte. Wir haben das Problem, dass viele Kommissarsanwärter ihr Studium abbrechen. Das gab es vorher nicht. Auch Verstärkungen zum Beispiel der Einsatzhundertschaft führen dazu, dass weniger Kollegen für die einzelnen Behörden zur Verfügung stehen.

Wieso brechen so viele das Studium ab?

Brohl-Sowa: Dafür gibt es viele Gründe. Es gibt heute mehr Auswahl als früher. Wer eine Laufbahn eingeschlagen hat, entscheidet sich eventuell während der Ausbildung um. Andere schaffen die Prüfungen nicht, obwohl sie nicht schwerer geworden sind.

Wie bewerten Sie die Kriminalitätsentwicklung seit 2011?

Brohl-Sowa: Über Jahre lag der Schwerpunkt beim Einbruch, 2013 waren wir bundesweit die Hauptstadt der Einbrecher. Wir haben reagiert, einen Schwerpunkt gesetzt. Die Fallzahlen haben sich seitdem mehr als halbiert. Auch die Straßenkriminalität haben wir eindämmen können, zum Beispiel durch Präventions- und Interventionskonzepte für Tannenbusch, Innenstadt und Bad Godesberg. Demnächst wird es an ausgewählten Orten mobile Videobeobachtung geben.

Wo liegen in den nächsten Jahren die Schwerpunkte?

Brohl-Sowa: Ganz sicher bei den Betrügereien. Passwort- und PIN-Diebstahl zum Beispiel. Es kann aber auch etwas anderes sein, zum Beispiel Angriffe aus dem extremistischen Bereich, Angriffe auf kritische Infrastrukturen, zu denen auch die Polizei gehört.

Was war das schlimmste Erlebnis Ihrer Dienstzeit?

Brohl-Sowa: Der Schuss im Polizeipräsidium im Dezember 2018, als ein junger Kollege einen anderen jungen Kollegen erschossen hat. Das hat die gesamte Behörde und auch mich erschüttert. Der Gipfel der Emotionalität war die Beerdigung des jungen Mannes.

Wirkt das noch nach?

Brohl-Sowa: Ja. Manchmal blitzen die Bilder auf.

Was war das schönste Erlebnis?

Brohl-Sowa: Zum einen sind es die Gespräche mit den Kollegen. Aber am beeindruckendsten fand ich, wie perfekt organisiert die dreiwöchige Klimakonferenz war. Wenn so etwas ansteht, zieht die ganze Polizei an einem Strang. Auch die Zusammenarbeit mit den anderen, mit der Stadt oder den UN lief reibungslos.

Nicht so gut gelaufen ist es im Mai 2012 in Lannesdorf, als es im Zuge einer Pro-NRW-Demonstration zu Ausschreitungen kam.

Brohl-Sowa: Es sind Fehler bei der Planung passiert, die kann man nicht wegdiskutieren. Ich denke, dass nur eine lernende Verwaltung eine gute Verwaltung ist. So haben wir es immer gehalten, wir bereiten jeden Einsatz nach.

Wie erinnern Sie sich an die Situation in Lannesdorf?

Brohl-Sowa: Wir hatten keine Erkenntnisse, dass Extremisten sich vorbereitet, Steine zurechtgelegt und sich selbst verborgen gehalten haben. Aber: Aus Gründen der Ressourcenschonung hat man im Vorfeld nicht die erforderliche Aufklärung betrieben. Das hat sich gerächt und führte zu schweren Verletzungen bei zwei Kollegen. Wir haben schonungslos nachbereitet, der damalige Polizeiführer hat sich vor versammelter Mannschaft entschuldigt.

Was waren weitere prägende Erlebnisse?

Brohl-Sowa: Die Bombe im Hauptbahnhof. Es war ein riesiges Glück, dass sie nicht explodiert ist. Bei diesem Thema hat mich der Datenschutz umgetrieben. Die Videokameras am Bahnsteig waren nicht an, zur Ergreifung des Täters führte die Aufnahme einer Kamera von McDonald’s, die nur einen kleinen Teil des öffentlichen Raumes aufgenommen hat. Aber McDonald’s hat hinterher Probleme mit der Landesdatenschutzbeauftragten bekommen, die Kamera gibt es nicht mehr.

Behindert der Datenschutz die Strafverfolgung?

Brohl-Sowa: Natürlich muss man schauen, inwieweit Videobeobachtung im öffentlichen Raum zulässig ist. Ich bin auch Privatperson und möchte nicht überall aufgenommen werden. Aber es gibt Bereiche, wo viele Menschen aufeinandertreffen wie in Bahnhöfen, in denen aufgrund des Hausrechts videographiert werden kann. Weitere Möglichkeiten eröffnen die Bestimmungen des neuen Landespolizeigesetzes.

Hat Bonn nach wie vor ein Extremismusproblem?

Brohl-Sowa: Wir haben das Thema religiöser Extremismus. Aber unsere Erkenntnisse zeigen, dass die Szene in den vergangenen Jahren relativ statisch ist.

Wie viele Gefährder gibt es in Bonn?

Brohl-Sowa: Dazu werde ich mich nicht äußern.

Stichwort Niklas Pöhler. Wie haben sie die Geschehnisse wahrgenommen und stellen sie eine Zäsur dar?

Brohl-Sowa: Bei dem jungen Mann lag eine Vorerkrankung vor. Der Tritt gegen den Kopf, so schändlich er auch war, hätte unter anderen Umständen möglicherweise nicht zum Tode geführt. Der Fall hat mit Sicherheit eine solche Dimension erreicht, weil er in Bad Godesberg gespielt hat. Im Nachgang hat sich alles entladen, was sich hier aus Sicht der Bürger aufgestaut hatte. Der Fall hat auch dazu geführt, dass sich Polizei und Stadt dem Thema Jugendkriminalität weiter genähert haben.

Nimmt man die Arbeit, die Erlebnisse mit nach Hause?

Brohl-Sowa: Das hängt davon ab, worum es geht und wie stark man belastet ist. Ich persönlich habe Schwierigkeiten, mich abzugrenzen. Ich kann nicht gut mit Fällen häuslicher Gewalt umgehen, in denen sich die Opfer nach wie vor in einer Bedrohungssituation befinden. Auch Personalprobleme beschäftigen mich außerhalb der Dienstzeit. Respektloses Verhalten gegenüber Polizisten ist ebenfalls immer ein Thema für mich.

Gab es Anfeindungen?

Brohl-Sowa: Als Behördenleiterin bin ich natürlich Ziel von Hasstiraden, von Stalkern, von Reichsbürgern. Aber ich google mich nicht, ich gucke nicht, was in den sozialen Medien über mich steht. Grundsätzlich versuche ich, es abprallen zu lassen.

Was machen Sie ab dem 1. April?

Brohl-Sowa: Mein Mann und ich haben uns als Studenten der Universität Köln eingeschrieben. Wir warten jetzt auf unseren Studierendenausweis und werden dann als Gasthörer bei den Geisteswissenschaften dabei sein. So nehmen wir niemandem den Studienplatz weg. Darüber hinaus bin ich seit Nikolaus stolze Oma. Dann bin ich auch für den Lions Club Bonn-Liona aktiv und werde eventuell noch das ein oder andere Ehrenamt annehmen. Mal schauen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort