Traditioneller Neujahrskranz Hefeteig, Hagelzucker und Hektik

BONN · Stephan Krüger räumt Kardamom, Sternanis, Zimt und Spekulatiusgewürz ins Regal und holt dafür die große Tüte mit weißem Hagelzucker hervor. Die Weihnachtsbäckerei ist für dieses Jahr abgeschlossen. Die vielen Bestellungen für die Festtage haben ihre Spuren hinterlassen.

 Ein Prachtstück: Hell und süß muss er sein, der optimale Neujahrskranz, den Anne Moll (links) und Michaela Krüger in der Endenicher Bäckerei Gruhn präsentieren.

Ein Prachtstück: Hell und süß muss er sein, der optimale Neujahrskranz, den Anne Moll (links) und Michaela Krüger in der Endenicher Bäckerei Gruhn präsentieren.

Foto: Volker Lannert

Trotzdem: Von Ruhe keine Spur. Im Gegenteil, kaum sind die letzten Plätzchen unter dem Tannenbaum gegessen, wird es in seiner Backstube in Endenich schon wieder hektisch. Backöfen fahren hoch, Rührmaschinen kneten, was das Zeug hält. "Die Nacht vor Silvester ist die schlimmste", weiß Stephan Krüger, der seit 2000 Chef in der Bäckerei und Konditorei Gruhn in Endenich ist.

Und: "Diese Nacht mache ich durch." Allerdings wartet auf ihn kein geselliges Abendprogramm oder ein gemütliches Treffen mit Freunden. Mit Hefeteig versüßt er sich die Nacht, in der andere ausschlafen, damit sie fit für die kommende Silvesterparty sind. Denn wenn morgens um 6 Uhr die Bäckerei öffnet, müssen 300 Neujahrskränze und Neujahrsbrezeln herrlich duftend in der Auslage liegen.

Schon seit Tagen werden in dem von Feinschmeckermagazinen mehrfach ausgezeichneten Handwerksbetrieb die Bestellungen für das traditionelle Gebäck entgegengenommen. "Gegen Mitternacht beginne ich damit, den Vorteig anzusetzen", erzählt er. Was genau hineinkommt, ist natürlich sein Berufsgeheimnis. Sobald der Vorteig aus Weizenmehl, Hefe, Salz und Milch "aufgesprungen" - so der Fachbegriff - ist, kommen die übrigen Zutaten wie Butter, Eier, Zucker und Vanille hinzu. Dann heißt es wieder rühren, rühren, rühren - und bloß nicht einschlafen!

Mittlerweile ist Krüger auch nicht mehr allein in seiner Backstube. Gegen vier Uhr kommen fünf Mitarbeiter und steigen mit ein. Jetzt müssen alle Augenmaß und Fingerspitzengefühl beweisen. Aus dem riesigen Teigkloß teilen sie die passende Portion für Kranz und Brezel (600 Gramm oder ein Kilo) ab, rollen drei gleiche Stränge aus und beginnen mit dem Flechten. In Windeseile geht's von außen nach innen, von links zur Mitte nach rechts. Dick mit Hagelzucker bestreuen und nach einer kurze Ruhepausen hinein in die heißen Öfen. Jetzt gönnen sich auch die Bäcker eine erste Ruhepause bei einem Kaffee.

Doch gewöhnt sich ein Konditor- und Bäckermeister jemals an das frühe Aufstehen? "Ich nicht", schüttelt Stephan Krüger den Kopf. "Mir fällt es jede Nacht schwer. Für mich ist das schon hin und wieder eine Qual", gesteht er ehrlich. Regelmäßig kontrolliert er das Gebäck im Ofen, denn "für mich müssen Neujahrskränze hell sein und dürfen nicht zu lange gebacken werden", so der Fachmann. Gegen 6 Uhr morgens sind sie fertig.

Vorne öffnet die Ladentür, und die ersten Kunden kommen schon vorbei, um ihre Bestellung abzuholen. Bis 13 Uhr ist es hektisch. Kränze, Brötchen, Kuchen und Baguettes für das Fest am Abend gehen über die Theke. Dann schließt Krüger die Tür ab, in der Backstube wird Klarschiff gemacht. Von Partystimmung ist er allerdings meilenweit entfernt. "Nach der Hektik steht mir der Sinn nicht mehr nach Feiern. Ich lege mich erst einmal hin. Dann sehen wir weiter."

Doch bevor er das macht, testet der Fachmann noch seinen Neujahrskranz 2014. Und wie mag er ihn am liebsten? "Mit sehr viel Butter und dick Erdbeermarmelade drauf. Sonst nichts", freut er sich auf den ersten Biss.

Glücksbringer für Mensch und Tier

Neujahrsgebäck in Form von Kränzen oder Brezeln soll der Legende nach vor Krankheit, Unglück und Hunger schützen sowie Glück und Gesundheit im neuen Jahr bescheren. Ein Teil der Brote wurde zudem an die Tiere verfüttert, um auch sie vor Unheil zu bewahren.

Gleichzeitig war es guter Brauch, die Reste zu trocknen, zu zerkleinern und auf den Feldern zu verteilen, damit im neuen Jahr eine gute Ernte eingefahren werden kann. An der Ahr und in der Region Bonn war es bis in die 1960er Jahre üblich, dass junge Männer am Silvesterabend bis in die frühen Morgenstunden hinein in Wirtshäusern um das Neujahrsgebäck Karten spielten. Zudem veranstalten auch heute noch einige Schützenbruderschaften traditionell ein "Neujahrsbrezelschießen".

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