Kitastreiks in Bonn Gesucht: Ein Ersatzbetreuer

BONN · Wenn ab Montag auch in Bonn die Mitarbeiter der städtischen Kitas streiken, stehen viele berufstätige Eltern auf dem Schlauch. Sie müssen eine Ersatzbetreuung organisieren - und das ist für die, die keine Angehörigen in der Nähe haben, manchmal äußerst schwierig.

Viele Unternehmen bieten ihren Mitarbeitern allerdings Unterstützung an. Der Streik trifft vor allem Alleinerziehende. Wie die 24-jährige Veronika (Name geändert), für die der Spagat zwischen ihrer Arbeit als Krankenschwester und der Kita-Betreuung ihrer vierjährigen Tochter nun noch anstrengender wird. Schon jetzt sind jeder Tag minuziös durchgeplant. "Ich habe ja Verständnis für die Streikenden, aber zwei Wochen finde ich übertrieben", sagt sie. Es hilft nichts: Zuerst hat Veronika versucht, Urlaub einzureichen, Überstunden abzufeiern und Dienste zu tauschen. "Aber vier Dienste kriege ich nicht weg."

Dass Urlaubstage für die Streikzeit draufgehen, wird noch zum Problem werden. Und zwar im Sommer, wenn die Kitas geschlossen haben. "Dann reichen meine Urlaubstage nicht aus, um mein Kind die Ferien über zu betreuen." Ein paar Mal werden wohl Schwestern und Eltern einspringen, vielleicht auch Nachbarinnen. Da ist die große Unsicherheit, ob und wann der Kindergarten öffnet, ob es Notgruppen gibt oder länger gestreikt wird. Dass bei den "unangekündigten Streiks" nun zumindest gesagt wurde, an welchen Tagen welche Kindergärten geschlossen sind, empfindet sie schon als Hilfe. Aber selbst wenn ihr Kindergarten Notgruppen einrichtet, muss das nicht viel heißen: "Bei früheren Streiks war es so, dass nur die ersten 30 Kinder angenommen wurden, die anderen mussten wieder nach Hause."

Ein anderes Beispiel ist Eveline Ariza, die bei den Stadtwerken als Teilzeitkraft arbeitet. Sie hat ihre Sprösslinge in der Kita im Stadthaus untergebracht. Und Glück. Die Oma hat in den Streikwochen Urlaub. Zudem übernimmt eine Patentante die Kinder an einem Vormittag. "So kriege ich das hoffentlich ganz gut geregelt", sagt Ariza. Zumal sie ihr Arbeitszeitkonto nutzen will. Dass die Erzieherinnen streiken, kann sie nachvollziehen. "Sie haben eine bessere Bezahlung verdient. Davon profitieren Kinder und Eltern." Schließlich hätten die Kitas einen Bildungsauftrag.

In der Stadthaus-Kita würden viele Migrantenkinder betreut. Die Sprachförderung sei deshalb ein wichtiges Thema. Ihr Vorschlag, dass die Stadt die während des Streiks eingesparten Personalkosten für Neuanschaffungen in den Kitas verwendet, wird sich wohl nicht umsetzen lassen. "Das Geld wird für den Personalaufwand benötigt", sagte Vize-Stadtsprecher Marc Hoffmann. Und der wird mit der voraussichtlichen Tarifsteigerung noch mal steigen.

Auch Josef Hopfenzitz ist froh, dass seine Mutter um die Ecke wohnt und Felix (5) an den Streiktagen übernehmen kann. Der alleinerziehende Vater arbeitet in Teilzeit als Kurierfahrer und hat keine Möglichkeit, sein Kind, das die Kita an der Flemingstraße besucht, mit zur Arbeit zu nehmen. "Ich könnte mir frei nehmen, aber Felix kommt bald in die Schule und da werde ich die freien Tage dringend brauchen", meint er.

Was Eltern jetzt wissen müssenWann müssen Eltern ihrem Chef Bescheid geben?

Am besten so schnell wie möglich. Zeichnet sich ab, dass keine Oma, Nachbarin oder Freunde auf das Kind aufpassen können, sollten Arbeitnehmer ihren Vorgesetzten anrufen und erklären, warum sie nicht kommen können. Darauf weist der Arbeitsrechtler Andreas von Medem aus Stuttgart hin. In diesem Fall dürfen sie bei der Arbeit fehlen.

Kann das arbeitsrechtliche Konsequenzen haben?

Können Eltern wegen streikender Erzieher nicht am Arbeitsplatz erscheinen, müssen sie nicht mit einer Kündigung oder Abmahnung rechnen. Vor allem bei kleinen Kindern ist es nicht realistisch, dass diese für einen ganzen Tag alleine zu Hause bleiben können.

Was passiert mit dem Gehalt?

Eltern haben Anspruch auf Lohnfortzahlung für den Fehltag - vorausgesetzt, der Streik wird kurzfristig angekündigt. So steht es im Paragraf 616 des Bürgerlichen Gesetzbuches. Er besagt, dass Arbeitnehmer diesen Anspruch behalten, wenn sie ohne eigenes Verschulden durch ein unvorhergesehenes Ereignis verhindert sind.

Kurzfristig wäre ein Streik beispielsweise, wenn an einem Freitag ein Streik für Dienstag angekündigt wird. Ziehen sich die Streiks aber über einen längeren Zeitraum hin, greift die Begründung "kurzfristig" laut von Medem nicht mehr. Verdi hatte außerdem angekündigt, Eltern frühzeitig über die Schließung zu informieren.

Darf ich mein Kind mit zur Arbeit nehmen?

Das kommt auf den jeweiligen Betrieb an. Einfach mit dem Nachwuchs morgens am Schreibtisch aufzutauchen, ist keine gute Idee. In jedem Fall müssen Beschäftigte so etwas vorher mit ihrem Chef absprechen, rät Ulrich Kanders, Geschäftsführer und Arbeitsrechtler beim Essener Unternehmensverband (EUV). Eine Chance haben Angestellte in der Regel nur, wenn es einen Betriebskindergarten gibt, der im Notfall zusätzliche Plätze anbietet - oder der Chef besonders kulant ist.

Welche anderen Optionen gibt es?

Ausloten können Arbeitnehmer, ob sie sich für den Zeitraum des Streiks unbezahlt freistellen lassen können. Auch Home-Office oder der Abbau von Überstunden sind möglich. Anspruch auf eine Sonderbehandlung haben Arbeitnehmer dabei aber nicht. Es liegt laut dem EUV im Ermessen des Arbeitgebers, ob er dem zustimmt oder nicht.

Kann ich Kita-Gebühren zurückverlangen?

"Zumindest haben Eltern keinen Rechtsanspruch darauf", sagt Ronald Richter, Rechtsanwalt in Hamburg. Allenfalls könnten Eltern auf die Kulanz ihrer Kommune hoffen. Im Zweifel sollten Mutter und Vater in die Gebührensatzung ihrer Kommune schauen. Fast immer lässt sie sich im Internet einsehen. "Dort kann drinstehen, wie viele Tage die Kita im Jahr schließen darf, beispielsweise wegen Ferien."

Wird die Zahl wegen eines langen Streiks überschritten, könnten Eltern theoretisch Ansprüche geltend machen. "Wenn die Kita zwei, drei Tage zu hat, sehe ich da aber wenig Chancen", erklärt Richter, der Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Sozialrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV) ist. Anders könnte es aussehen, wenn sich der Streik über Wochen hinzieht.

Wer auf die Kulanz seiner Kommune setzt, dem empfiehlt Richter, einen Brief an die Kita-Leitung mit Kopie an den Bürgermeister oder Amtsleiter des Jugendamts zu schreiben - oder noch besser: direkt anzurufen. "Wenn man dann relativ unaufgeregt schildert, welche Konsequenzen der Ausstand für einen hatte, all die Organisiererei, hat man vielleicht Chancen." Trotz allem dürfen Eltern nicht die Verhältnismäßigkeit aus den Augen verlieren: Am Ende kriegen sie für ein paar Streiktage einige Euros zurück.

Gewerkschaften fordern zehn Prozent mehr Gehalt

Bereits am Freitag legten rund 20.000 Beschäftigte nach Gewerkschaftsangaben die Arbeit in zahlreichen Bundesländern nieder. Am Montag soll der Ausstand auch auf NRW ausgeweitet werden. Neben Erzieherinnen und Erziehern in Kitas, Horten und Ganztagsschulen sind unter anderem auch Sozialarbeiter in Jugendzentren, Erzieher in Heimen sowie Beschäftigte in der Behindertenhilfe zum Streik aufgerufen.

Die Gewerkschaften fordern für die Beschäftigten neue Eingruppierungsregeln und Tätigkeitsmerkmale, was letztlich zu zehn Prozent mehr Gehalt führen soll. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) kritisierte die Gewerkschaften erneut scharf. Bundesfamilienministerin Manuela Schwesig (SPD) forderte eine angemessene Bezahlung und hob die Bedeutung der Arbeit von Erzieherinnen und Erziehern hervor.

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