Opfer räumt Übertreibung ein Gericht spricht vermeintlichen Entführer aus Bonn frei

Bonn · Beim Menschenraub-Prozess gab es am zweiten Verhandlungstag eine überraschende Wende. Ein Zeuge sagte vor Gericht aus, bei seiner Aussage übertrieben zu haben. Das Gericht sprach den vermeintlichen Entführer daraufhin frei.

 Der 25-jährige Zeuge sollte Opfer einer Entführung am Bonner Verteilerkreis gewesen sein.

Der 25-jährige Zeuge sollte Opfer einer Entführung am Bonner Verteilerkreis gewesen sein.

Foto: Benjamin (FM) Westhoff

Die Wende im Menschenraub-Prozess kam überraschend am zweiten Verhandlungstag: Gehört werden sollte der 25-jährige Zeuge, der Opfer einer Entführung am Bonner Verteilerkreis, stundenlanger Misshandlung und Erpressung gewesen sein soll. Nachdem er verwaschen seinen Namen gemurmelt hatte und sich an die erlittene Freiheitsberaubung im Sommer 2018 in einem blauen Auto erinnern sollte, erklärte er dem Gericht kleinlaut: „Ich habe bei der Polizei wohl übertrieben.“

Der Zeuge schwieg

Auf Nachfragen wich er aus. Schließlich wies ihn der Vorsitzende der 10. Großen Strafkammer, Marc Eumann, darauf hin, dass er, um sich nicht selbst zu belasten, schweigen könne. Diesen Strohhalm ergriff der 25-Jährige sofort. Von da an schwieg er und sagte kein einziges Wort mehr.

Dem Gericht blieb nur noch der Freispruch aus Mangel an Beweisen. „Wir können nicht ausschließen, dass da etwas passiert ist. Aber wir können es nicht feststellen“, hieß es im Urteil. Denn außer ein paar Handynachrichten, die dem 30-jährigen Angeklagten nicht sicher zuzuordnen seien, gab es keine weiteren Beweise. Die gesamte Anklage wegen erpresserischen Menschenraubes, besonders schwerer räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung sowie Freiheitsberaubung fußte ausschließlich auf der Aussage des 25-Jährigen, der Mitte September 2018 voller Angst bei der Polizei erschienen war, weil der angebliche Erpresser sich erneut bei ihm gemeldet und weitere 2000 Euro gefordert habe.

Nicht auszuschließen, dass der Zeuge bedroht wurde

Damals erzählte er auch, dass er drei Wochen zuvor vom Angeklagten in einen blauen Combi gestoßen worden sein soll und während der mehrstündigen Fahrt – wobei ein unbekannter Chauffeur das Auto steuerte – solange mit Fäusten und einem Schraubendreher traktiert und auch an den Haaren gezogen worden sein soll, bis er sich bereit erklärt habe, das Geld zu zahlen.

Bereits damals wollte der Zeuge nicht sagen, in welcher „Geschäftsbeziehung“ er zum vielfach, auch einschlägig vorbestraften Angeklagten stand und warum er ursprünglich tatsächlich mal 2000 Euro Schulden bei ihm hatte. Auch hatte er die Ermittler zunächst belogen und behauptet, das erpresste Geld habe er von der Bank abgehoben: Als er jedoch keinen Beleg vorweisen konnte, musste er einräumen, dass er die Summe bar zu Hause gebunkert hatte.

Nicht auszuschließen, dass der Zeuge bedroht wurde oder ihm eine Belohnung versprochen wurde, wenn er seine Aussage zurückzieht, hieß es im Urteil. Aber all das sei Spekulation. Für den 25-Jährigen wird die Geschichte damit noch kein Ende haben: Ihn erwartet jetzt ein Verfahren wegen falscher Verdächtigung und Vortäuschens einer Straftat.

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