Zeitzeugen Genoveva Blanke: "Ich sehe immer noch die vielen Toten"

BONN · An der Hofgartenweise geht Genoveva Blanke bis heute nicht gerne vorbei. "Ich sehe da noch immer die vielen Toten und Verletzten, die sie nach dem Bombenangriff am 18. Oktober 1944 ins Gras gelegt hatten", sagt die 86-Jährige und schluckt.

18. Oktober 1944: Blick auf das brennende Bonn von Alfter aus gesehen.

18. Oktober 1944: Blick auf das brennende Bonn von Alfter aus gesehen.

Foto: GA-Archiv

Die Altstadt brannte nach den Treffern der britischen Flieger lichterloh. Die Überlebenden retteten sich aus den Bunkern und Kellern. "Auf der Hofgartenwiese war halt Platz. Irgendwo mussten die Opfer ja hin."

Genoveva Blanke sammelt sich wieder. Und dann erzählt sie, was sie als damals 16-jähriger Lehrling der Firma Leffers erlebte, als am Morgen dieses schwarzen Mittwochs die Sirenen heulten. "Es war so etwa 10 Uhr, da war ich in der Firma am jetzigen Remigiusplatz, mitten in der Stadt", erinnert sie sich. Am Fenster habe sie plötzlich auch schon die Flieger kommen sehen. "Zuerst haben sie ja die Brandbomben geworfen, obwohl helllichter Tag war. Ich sah also einen ganzen Schwarm, so fünf sechs Stück, außerhalb herunterkommen."

Da sei ihr natürlich durch den Kopf geschossen: "Es wird Zeit, dass ich in den Keller gehe." Sie habe aber dann gesehen, dass die ersten Bomben auch schon in den Ausstellungsraum der Firma flogen. Und da habe sie geschrien: "Wir müssen doch löschen." Mit dem Chef und dem Hausmeister habe sie die Schläuche herangezogen. Dann ging es hinab in den Keller, wo sie sich fürs Feuerlöschen einen Anzug überstreifte und einen Helm aufstülpte. "Und da sah ich: Die anderen saßen alle da auf den Knien und waren am Beten."

Die Kollegen hätten also nicht mit angepackt. Das Feuer habe dann trotz aller Bemühungen nicht mehr gelöscht werden können: Das Haus brannte vollständig ab. Die Kollegen hätten inzwischen über einen Durchbruch Zuflucht im Nachbarhaus und dann in der Firma Blömer gefunden. "Aber die hat später auch durch Funkenflug noch Feuer gefangen." Genoveva Blanke steht alles noch vor Augen, als wäre dieser 18. Oktober gestern gewesen.

Während die Brandherde weiter wüteten, sei sie von einer Dame in der Nachbarschaft der Firma angesprochen worden, sie möge ihr doch aus dem Keller ihres ebenfalls brennenden Hauses ihre Koffer herausholen. "Man hatte ja im Krieg alles schon fertig gepackt", erklärt Blanke. Mit Unterstützung zweier Männer sei ihr das auch gelungen. Doch als sie nochmals hinuntergeschickt wurde, fiel ihr plötzlich von oben etwas ins Kreuz. Sie stürzte die Treppe hinunter und verletzte sich am Fuß. "Trotzdem haben wir der Dame noch ihre Koffer bis in die Münsterkirche gebracht", berichtet die 86-Jährige. Es habe in der Altstadt geheißen: "Alle in die Münsterkirche, da hat es nicht gebrannt." Sie hätten die Frau mit ihren Habseligkeiten also dort abgegeben, wo sie mit Kaffee und Brötchen versorgt worden sei. "Und ich bin weitergegangen", sagt Genoveva Blanke nachdenklich.

Sie sei dann sogar noch dorthin gelaufen, wo sie ihre Tasche abgelegt hatte. "Ist ja bekloppt, was?", fügt sie nun lächelnd hinzu. Als sie dann den schmerzenden Fuß aus dem Schuh gezogen habe, habe der nur noch heruntergehangen und sie habe ihn sich selbst wieder ins Gelenk zurückkugeln müssen. "Aber Hauptsache, ich hatte überlebt."

Und dann fällt ihr ein, dass sie genau am Münsterplatz Monate später bei einem weiteren Angriff erneut fast zu Tode kam. Blanke spricht von der Katastrophe des 28. Dezember 1944. "Ich hatte den dortigen Bunker gerade verlassen, als er hochging. Heldenbunker hatten wir den genannt." Jetzt schweigt Genoveva Blanke. Die Erinnerungen an die letzten furchtbaren Monate des Kriegs wird sie nie loswerden. "Ich habe alle Bombenangriffe mitgemacht."

Nach dem Krieg hat Blanke geheiratet, war Hausfrau und Mutter. Sie ist seit Kurzem Witwe, hat zwei Töchter und zwei Enkel. Nach dem Tod der Eltern kehrte sie ins Elternhaus nach Ippendorf zurück.

Dem Bombenangriff vor 70 Jahren widmet der General-Anzeiger eine Artikelreihe, die Augenzeugen zu Wort kommen lässt und die Langzeitfolgen der Zerstörungen für die städtebauliche Entwicklung der Stadt beleuchtet.

Info

Am Mittwoch folgt: Wie Hedwig Schmidt-Leidig den Angriff in einer Beueler Schule überlebte.

Wenn Sie Fotos aus dieser Zeit besitzen oder Ihre Erlebnisse schildern möchten, senden Sie uns eine E-Mail an bonn@ga.de oder schreiben Sie einen Brief an General-Anzeiger 53100 Bonn. Stichwort: "Zeitzeugen"

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