Fasten in Bonn Gedankenanstöße der Kirchen zur Fastenzeit

Bonn · Noch zweieinhalb Wochen dauert es bis zum Ende der Fastenzeit. Die Kirchen wollen zum Nachdenken anregen.

 In der Duisdorfer Rochuskirche wird Küster Helmut Fischer am fünften Fastensonntag das Altarkreuz bis Ostern verhüllen.

In der Duisdorfer Rochuskirche wird Küster Helmut Fischer am fünften Fastensonntag das Altarkreuz bis Ostern verhüllen.

Foto: Stefan Hermes

Erst regt er an, dann betäubt und enthemmt er: 96,4 Prozent der Bevölkerung im Alter zwischen 18 und 64 Jahren trinkt Alkohol. Dass ein Großteil der Bevölkerung ihn als Sucht begreift, der man nicht verfallen sein möchte, könnte einer der Gründe sein, warum Alkoholverzicht immer noch der Spitzenreiter in der Fastenzeit zu sein scheint.

So sieht das zumindest eine gerade veröffentlichte Studie der Deutsche Angestellten-Krankenkasse (DAK). Fasten läge im Trend, heißt es dort: „Immer mehr Deutsche halten es für gesundheitlich sinnvoll.“ Der Ursprung des Fastens wird dabei ausgeklammert.

„Wenn ihr fastet, macht kein finsteres Gesicht wie die Heuchler“, mahnte Jesus in seiner Bergpredigt. Das christliche Fasten beruht auf einer jüdischen Tradition und erinnert an die 40 Tage, die Christus fastend und betend in der Wüste verbrachte. Das Fasten war dabei überwiegend mit dem Verzicht auf bestimmte Nahrungsmittel tierischen Ursprungs verbunden. Es bedeutete keinesfalls den kompletten Nahrungsverzicht.

Fastelovend oder Fasteleer im Rheinischen, wie auch die vornehmlich im Süden gebräuchliche Bezeichnung Fastnacht, markieren mit dem Aschermittwoch den Beginn der 40-tägigen Fastenzeit, die für Christen als Vorbereitung auf die Auferstehung Jesu dienen soll, die mit dem Osterfest gefeiert wird.

Rund 2000 Jahre später wird heute mit dem Verzicht auf Plastik gefastet oder der Versuch unternommen, einmal sieben Wochen lang die Nutzung von sozialen Medien oder generell den Gebrauch des allgegenwärtigen Handys einzuschränken.

Es gibt inzwischen unzählige Varianten des Nahrungsverzichts, denen allesamt der Lifestyleaspekt gemein ist, die Fastenzeit zur Verschönerung der eigenen Körperkonturen oder einer verbesserten körperlichen Fitness zu dienen: keine Kohlenhydrate mehr, vegetarisch oder vegan leben und damit 40 Tage lang das Klima schützen, nur noch Bioprodukte und Waren aus fairem Handel kaufen oder ausschließlich Wasser und Tee statt Limonaden zu trinken.

Sieben Wochen ohne Lügen

„Die Fastenzeit ist keine Brigitte-Diät“, wetterte dagegen der „katholisch.de“-Journalist Björn Odendahl und kommt zu dem Fazit, dass die vorösterliche Fastenzeit mittlerweile absurde Blüten in unserer Gesellschaft treibe.

Aus Sicht der Kirchen eine nachvollziehbare Ansicht. Denn die katholische stellt bei ihrer Misereor-Fastenaktion mit „Mensch, wo bist du?“ eine eher existenzielle Frage. Das von Uwe Appold gestaltete Hungertuch verhüllt in der Fastenzeit in den Kirchen die bildliche Darstellung Jesu und soll zum Nachdenken auffordern.

Die Frage nach dem „Wo bist du“ soll an das Überdenken des eigenen Standpunktes appellieren. Die Welt verändere sich tiefgreifend: Staatenverbände begännen zu zerfallen, die Wahrheit verkomme zu „Fake News“, und der Ton des Miteinanders verschärfe sich. Unsere Gesellschaft drifte auseinander. Eine Neuausrichtung sei notwendig.

Abseits von Missbrauchs- und Finanzskandalen stellen die beiden christlichen Kirchen überfällige Fragen und erinnern an die Verantwortung des Einzelnen: „Mal ehrlich! Sieben Wochen ohne Lügen“, lautet das Fastenmotto der evangelischen Kirche. Auch sie fordert damit von ihren Gläubigen eine Standortbestimmung.

Lässt sich ohne die kleinen (Not-) Lügen des Alltags leben? Könne man wahrhaftig sein, und wie viel Ehrlichkeit vertrage man überhaupt selbst und im Umgang miteinander? Wie sehr müsse man seinem eigenem Ideal hinterherrennen? Was würde passieren, wenn man das Ideal über Bord werfe und zu seinen Schwächen stehe? Das alles setze Vertrauen voraus, wird als Erkenntnis vermittelt. Wahrheit bedürfe einer liebevollen Einbettung.

Erst wenn man sich sicher und liebevoll aufgehoben fühle, könne man schwach und ehrlich zu sich selbst sein. So dringend notwendig die Gedankenanstöße der Kirchen sind, so schwer scheinen sie in der Praxis umsetzbar zu sein. Warum sonst ist immer noch Alkoholverzicht der Spitzenreiter unter den Fastenden?

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