Chancen von Jugendlichen Franz Meurer diskutiert mit Vertretern der Arbeitswelt

BONN · Er kam, sah und mischte die Podiumsdiskussion in St. Winfried zu Füßen des Post Towers gehörig auf. "Was? Zehn Minuten habe ich?", schaute Pfarrer Franz Meurer auf die Uhr. Und schon legte der Priester, der wegen seiner unkonventionellen Basisarbeit in Kölns Problemvierteln Vingst und Höhenberg Getto-Pfarrer genannt wird, los.

 Die Suche nach Lösungen ist schwer: Das merkte auch die Diskussionsrunde mit Johannes Sabel (von links), Walter Scheurle und Pfarrer Franz Meurer.

Die Suche nach Lösungen ist schwer: Das merkte auch die Diskussionsrunde mit Johannes Sabel (von links), Walter Scheurle und Pfarrer Franz Meurer.

Foto: Emanuel Schneider-Barthold

Zum Thema "Moderne Arbeitswelt und christliches Lebensbild" hatten die Don Bosco Mission, die Gemeinde St. Winfried und das katholische Bildungswerk Bonn eingeladen.

Und der vormalige Personalvorstand der Deutschen Post DHL, Walter Scheurle, und Thomas Speck, Chef des größten Unternehmens für fairen Handel in Europa (Gepa), berichteten von familienfreundlichen, flexiblen Arbeitszeiten, vom Leitbild des respektvollen Miteinanders, von ökologischer und sozialer Nachhaltigkeit.

Den Getto-Pfarrer, der schon kräftig mit den Hufen gescharrt hatte, ließ das kalt. "Um 82 Prozent unserer Jugendlichen brauchen wir uns keine Sorgen zu machen, aber 18 Prozent sind aus allem ausgeschlossen, unerwünscht, überflüssig", kam Franz Meurer sofort auf den Punkt: zu den für ihn am meisten drängenden Soforthilfen für chancenlose Jugendliche.

In seinen Stadtvierteln lebten 76 Prozent Kinder mit Migrationshintergrund. 34 Prozent der Menschen seien arbeitslos. Das Gros der Kinder durchlaufe Förderschulen. "Und wenn sie die abgeschlossen haben, bekommen nur 1,6 Prozent eine Lehrstelle", sagte Meurer.

Es könne doch nicht sein, dass diese jungen Leute weiter ins Nirwana abgeschoben würden. "Wir wundern uns, dass sich unsere Gesellschaft verändert. Dabei züchten wir uns unsere Verbrecher selbst", sprach der Pfarrer Klartext.

Es sei "grober Unfug", dass im Pflegebereich billige Kräfte aus Osteuropa geholt würden, aber von den hiesigen Aspiranten die Mittlere Reife erwartet werde. "Einen Gummistrumpf drüberziehen kann auch ein Förderschüler, wenn man ihm nur die Chance gibt", betonte Meurer. Und hatte Mappen mit guten Bewerbungsunterlagen Jugendlicher mitgebracht, die hungrig darauf seien, endlich einen Ausbildungsplatz zu erhalten.

Armut habe mit Geld nichts zu tun, sondern nur damit, ob in einer Gesellschaft Respekt vor dem Mitmenschen gelte. Auch der junge Migrant mit Förderschulabschluss wolle dazugehören. "Warum bekommen wir Christen das in unserer Gesellschaft nicht hin? Das Problem sitzt also genau hier: Wir sind das Problem." Wer dann auch für seine Reinigungsarbeiten zu Hause keine Versicherung zahle, setze das fort, prangerte Meurer an.

"Wenn Sie also Ihre Putzfrau schwarz arbeiten lassen, dann warne ich Sie: Das sieht Petrus." Da hatten die Mitdiskutanten Mühe, atmosphärisch Schritt zu halten. Wichtig sei aktuell die sozialstaatliche Rahmensetzung, denn die Konkurrenz der Deutschen Post sei offensichtlich nur noch darauf ausgerichtet, billig zu produzieren, forderte Scheurle für die Deutsche Post. "Hier muss die Politik endlich einen sozialstaatlichen Konsens herstellen."

Gepa-Chef Speck beschrieb die Rolle seines Non-Profit-Unternehmens als "Eisbrecher, der den Weg ebnet, damit die großen Tanker der Konzerne hinterherfahren können". Wenn Unternehmen wie Lidl auch kleine Segmente mit fair gehandelten Produkten eingerichtet hätten, heiße das nicht, dass sie jetzt nachhaltig wirtschafteten. "Wir sehen das als kleinen Schritt in die richtige Richtung an, als nicht mehr."

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