Zu Silvester auf Tour Fenster zu und durch

BONN · Für Taxifahrer wie Abdulkerim Koc ist die Silvesternacht eine der umsatzstärksten.

 Abdulkerim Koc steht vor seinem Mercedes-Taxi am Bertha-von-Suttner-Platz. Der Qualm des Feuerwerks umhüllt den gesamten Taxistand. Alle 30 Sekunden werden Taxis herangewinkt.

Abdulkerim Koc steht vor seinem Mercedes-Taxi am Bertha-von-Suttner-Platz. Der Qualm des Feuerwerks umhüllt den gesamten Taxistand. Alle 30 Sekunden werden Taxis herangewinkt.

Foto: Fotos: Nicolas Ottersbach

"Fenster zu und durch" ist Abdulkerim Kocs Grundsatz in der Silvesternacht. Der 54-jährige Taxifahrer sitzt fünf Minuten vor zwölf Uhr in seiner Mercedes E-Klasse. Schon jetzt fliegt von allen Seiten Feuerwerk auf die Straße. Auf der Rückbank hat er ein junges Pärchen, das gerne vom Bertha-von-Suttner-Platz nach Tannenbusch gefahren werden möchte. "Ich beeile mich, aber pünktlich schaffen wir das nicht", sagt Koc gelassen.

Mohammed, der als Fahrgast auf der Rückbank sitzt, antwortet knapp: "Nicht schlimm, Silvester ist wie jede andere Partynacht, nur mit Raketen und Böllern." Koc nickt. Und fährt schnell durch das nächste Feuerwerk, das er ohnehin für Geldverschwendung hält.

Bilder einer Nacht Abdulkerim Koc hat noch einen zweiten Grundsatz. "Angst ist tödlich." Warum das so ist und nicht nur für die Fahrt durch Feuerwerk gilt, erklärt er gerne. Auch dem Pärchen auf der Rückbank. "Wir Taxifahrer werden oft überfallen, man darf nicht verwundbar wirken." In den vergangenen Monaten habe es zwei Bonner Fahrer erwischt. Deshalb kann seine Gelassenheit schnell umschlagen, wenn ihm jemand krumm kommt.

Wie der jüngere Kollege am Taxistand, der ihn anschnauzt, weil er einen Kunden einsteigen lässt, obwohl er nicht an der ersten Stelle in der Taxilinie steht. Beide fluchen laut auf Türkisch, der Jüngere zieht ab. "Der Kunde sucht sich aus, mit wem er fährt", sagt Koc. Ansonsten gelte immer: Wer sich zuerst am Taxistand frei meldet, darf auch als erster die Fahrt annehmen.

Wie bei den drei jungen Leuten, die er nach Hangelar Ost zur Party eines Freundes fährt. Stattdessen würde er lieber zu Hause bei seiner Frau und seinen drei Kindern sein. "Aber das ist meine Schicht, ich fahre immer von Mittwoch bis Sonntag. So ist das, wenn man fest angestellt ist." Viel verdient er nicht, hat aber einen sicheren Arbeitsplatz.

Seit 1983 lebt er in Bonn, seit 1993 fährt er Taxi in der Bundesstadt und zählt somit zu den "Urgesteinen". "Ich habe auch immer wieder versucht, woanders zu arbeiten, das hat aber nicht geklappt." So kehrte er stets ins Taxi zurück und wird dort, wie er vermutet, noch lange bleiben.

"Wer will denn einen Mann in meinem Alter noch anstellen?", fragt er. Selbst wenn es ihm nur ums Geldverdienen geht, gibt es Momente, die ihn aufblühen lassen. Wie letztens an Karneval, als er ein betrunkenes und hilfloses Mädchen vom Beueler Krankenhaus nach Hause fuhr und bis in die Wohnung brachte.

"Manchmal fühle ich mich wie ein Vater, der seine Kinder beschützt", sagt er. Es gibt aber auch die Kehrseite: Kunden, die sich im Auto übergeben, ihm drohen oder nicht genug Geld dabeihaben und feilschen wollen. Da zeigt er wieder seine zwei Gesichter und wird sehr bestimmt.

Noch mehr Gesichter haben die vier Mitarbeiter der Taxizentrale, die in der Silvesternacht ihren Dienst tun - zwischen Freundlichkeit, Mitgefühl und Spürsinn.

Drei von ihnen sitzen im großen Büro und nehmen ein Telefonat nach dem anderen an. Zwischendurch unterhalten sie sich, tauschen sich aus. "Da hat gerade einer nach einem Wassertaxi gefragt", sagt Maria Münch. Scherze lockern die angespannte Situation auf, von 20 bis 1 Uhr herrscht Hochbetrieb, danach machen sie etwa alle 20 Minuten die Leitungen dicht.

"Wenn mehr als hundert Anfragen im System stehen, müssen sie erstmal abgearbeitet werden", erklärt Inge Schiffer. Das dauert mitunter eine Stunde, weil die meisten der mehr als 300 Taxifahrer in der Innenstadt unterwegs sind und sich heranwinken lassen, anstatt Fahrten der Zentrale anzunehmen. Das ist aber nur an wenigen Tagen so: zu Karneval natürlich - und zu Silvester.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort