Ministerien in Bonn Experte: Mehrere Tausend Arbeitsplätze in Gefahr

Bonn · "Wir können nicht auf die Ministerien verzichten", appellierte der Wirtschaftsförderer des Rhein-Sieg-Kreises, Hermann Tengler, angesichts der Diskussion über einen Komplettumzug. Denn bei einer Verlagerung gehe es nicht allein um die Arbeitsplätze in den Behörden.

"Wenn wir auch nur ein Glied aus der Kette brechen, dann ist die ganze Konstruktion nicht mehr stabil", ergänzte er. Unter dem Titel "Bonn/Berlin-Beschluss quo vadis? Regionalwirtschaftliche Bedeutung der Bonner Ministerien" referierte er beim Städtebauseminar.

Wie verwoben das Geflecht von Arbeitsplätzen, Kaufkraft und regionalen Strukturen ist, zeigte er anhand einiger Zahlen. Bereits jetzt seien rund 11.200 Arbeitsplätze vom Rhein an die Spree abgewandert. In den Bonner Dienstsitzen gebe es aktuell nur noch 6855.

"Doch auch diese Zahl darf man nicht isoliert betrachten", so der Volkswirt. Denn die hier ansässigen Regierungsstellen würden eine Vielzahl weiterer Stellen im direkten Umfeld schaffen und in Bonn binden. Das sind neben Behörden mit rund 13.550 Arbeitsplätzen auch Verbände mit 8550 . Gleichzeitig gibt es noch einmal 31.850 Posten, die sich im direkten Umfeld der Regierungsstellen angesiedelt haben.

"Unterm Strich würden bei einem Komplettumzug nicht nur 6855 Menschen die Region verlassen, sondern insgesamt 27.000 Arbeitsplätze verloren gehen", so Tengler. Damit nicht genug. "Wenn alles nach Berlin zieht, dann verlieren wir rund 19.500 Einwohnern." Das bedeute einen Kaufkraftverlust von rund 275 Millionen Euro im Jahr. Etwa 470.000 Quadratmeter Bürofläche würden auf einen Schlag leer stehen.

Wie dramatisch diese Entwicklung ist, belegte er an einem potenziellen "Umzugskandidaten". "Wenn das Ministerium für Forschung und Bildung wegziehen würde, dann wäre das ein Verlust von nur 670 Arbeitsplätzen." Doch eine komplette Rechnung würde die Tragweite allein für diese vergleichsweise "kleine" Dienstelle erkennen lassen.

Denn rund 1500 Arbeitsplätze sind in Bonn in den vergangenen Jahren von wissenschaftlichen Organisationen geschaffen worden, die sich bewusst im Umkreis der Behörde angesiedelt haben. Zusätzlich würden nach Tenglers Rechnung im indirekten Umfeld noch einmal 2390 Stellen wegfallen. "Dann werden aus den 670 Stellen schnell 4560. Der Bund ist direkt und indirekt nach wie vor der größte Arbeitgeber in der Region."

Dabei sei die Region für die Zukunft gut aufgestellt. Die Kaufkraft liege deutlich über dem Bundesdurchschnitt, die überregionale Verkehrsanbindung sei gut. Doch demografischer Wandel, fehlender Wohnraum und mangelnde Gewerbeflächen würden sich zunehmend als Problem erweisen. Eines der größten sei die Nahverkehrsinfrastruktur.

"Die Politik hat es 25 Jahren lange versäumt, das regionale Verkehrsangebot auszubauen. Diese Fehler kann man jetzt nicht schnell beheben. Dieses Versagen wird die Region noch Arbeitsplätze kosten." Schon heute sei man von Siegburg aus schneller am Frankfurter Flughafen als in der Bonner Innenstadt.

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