Interview mit Bonns Sozialdezernentin "Es gibt auch arme Kinder aus Wohlstandsfamilien"

Bonn · Im Interview mit dem General-Anzeiger zieht Bonns neue Dezernentin für Soziales, Bildung und Gesundheit, Carolin Krause, ein erstes Resümee. Ihren Arbeitsplatz hat sie vom Alten Rathaus nach Beuel verlegt.

Gut 100 Tage ist Carolin Krause als Dezernentin für Soziales, Bildung und Gesundheit im Amt. Über ihre Eindrücke und Erfahrungen sprach sie mit Lisa Inhoffen.

Können Sie schon sagen, wo in Bonn in ihrem Zuständigkeitsbereich am meisten der Schuh drückt?

Carolin Krause: Klar. Das betrifft auf jeden Fall das Thema Wohnen. Wir benötigen dringend preisgünstige Wohnungen, deshalb bin ich froh, dass der Rat jetzt die Quote für den geförderten Wohnungsbau beschlossen hat. Für mich persönlich ist auch die Frage der Integrationsassistenz an Schulen ein wichtiges Thema. Ich gehe davon aus, dass der Rat im Mai beschließen wird, dass die Schulen ab übernächstem Jahr mit einer Pool-Lösung an den Start gehen können, weil das für mich eine echte Qualitätsverbesserung des Angebots im Sinne der Kinder darstellt. Und trotzdem werden Eltern weiterhin die Wahlmöglichkeit haben, eine Einzelassistenz für ihr Kind zu bekommen.

Angenommen, Sie wären bereits seit Jahren im Amt in Bonn. Was hätten Sie längst erledigt?

Krause: Das Anmeldeverfahren für die Kitas bedarf einer Anpassung. Eltern müssen die Möglichkeit haben, auf einen Blick zu erkennen, wo noch Plätze frei sind und sie eine Chance haben, einen Platz für ihr Kind zu erhalten. Das jetzige Informationssystem Kigan entspricht nicht meinen Vorstellungen von wirklicher Transparenz. Aber wir haben jetzt die ersten Schritte zur Änderung des Verfahrens eingeleitet.

Viele Eltern fordern, dass die Stadt Bonn auch bei den freien Kita-Trägern das Belegungsrecht erhält. Wie ist ihre Position?

Krause: Ich bin gegen ein alleiniges Belegungsrecht der Stadt. Die freien Träger zahlen einen Eigenanteil für den Betrieb ihrer Kitas. Die Kirchen liegen sogar bei zwölf Prozent und betreiben obendrein die Kitas oftmals in eigenen Räumen, die sie auf eigene Kosten instand halten. Die Träger sollen deshalb auch das Recht behalten zu entscheiden, welche Kinder aufgenommen werden. Ich wünsche mir aber mehr Transparenz bei der Verfügbarkeit der Plätze und der Auswahlkriterien.

Aktuell beklagen sich wieder Eltern, deren Kinder keinen Platz in der wohnortnahen katholischen Grundschule erhalten haben, weil sie nicht katholisch getauft wurden. Wie sehen Sie das?

Krause: Insgesamt werden zum kommenden Schuljahr 3050 Erstklässler eingeschult. Dem Schulamt sind sieben Fälle bekannt geworden, in denen katholische Kinder Vorrang vor wohnsitznahen Kindern hatten. Nach aktueller Rechtsprechung haben wohnsitzferne katholische Kinder im Falle eines Anmeldeüberhangs bei der Aufnahmeentscheidung Vorrang vor wohnsitznahen Kindern, die nicht dem Bekenntnis angehören. Allerdings sehe ich bei den Grundschulen einen Unterschied zu den Kitas, weil Schulen bis zu 100 Prozent staatlich finanziert werden und wir die Schulpflicht haben. Hier sollte - wo immer möglich - das Prinzip gelten: kurze Beine, kurze Wege.

Trotzdem ist die von Eltern beantragte Umwandlung der Katholischen Grundschule in Buschdorf ein drittes Mal am Quorum gescheitert. Was kann die Stadt tun, um den Eltern der abgewiesenen Kinder trotzdem einen wohnortnahen Schulplatz zu bieten?

Krause: Die Möglichkeit einer solchen Umwandlung ist durch das Schulgesetz Nordrhein-Westfalens geregelt. Im Ergebnis entscheiden immer die Eltern der Kinder, die an der Schule sind. Mindestens die Hälfte der Eltern muss für die Umwandlung sein. Für Buschdorf ist vorgesehen, dass zum kommenden Schuljahr die Paulusschule am geplanten Teilstandort an der Schlesienstraße den Betrieb aufnimmt. Damit stehen wohnortnahe Plätze zur Verfügung.

In Bonn ist seit Jahren in vielen Gremien das Thema Kinderarmut auf der Agenda. Trotz aller Bemühungen steigt die Kinderarmut weiter an. Wie erklären Sie sich das?

Krause: In Bonn wächst die Zahl der Kinder und damit auch die der armen Kinder. Ich habe aber grundsätzlich ein Problem mit dem Begriff Kinderarmut, weil er lediglich den finanziellen Rahmen definiert, der den Kindern beziehungsweise den Familien zur Verfügung steht. Für mich gibt es aber auch arme Kinder aus sogenannten Wohlstandsfamilien, weil sie zum Beispiel vernachlässigt werden. Ich rede lieber von Chancengerechtigkeit und Teilhabemöglichkeit. Allerdings wird dafür in Bonn schon sehr viel getan. So bieten die Kitas und Grundschulen mit ihrem wachsenden Ganztagsangebot die entsprechenden Voraussetzungen für eine gute Entwicklung der Kinder.

Stichwort Flüchtlinge. Das hat in 2015 und 2016 in Ihrem Dezernat viele Kräfte gebunden. Inwieweit ist das heute ein Thema für Sie?

Krause: Die Unterbringung steht nicht mehr im Vordergrund, wir sind im Regelbetrieb angekommen. Auch er fordert viel Engagement und bindet Kräfte, aber wir können gezielt vorgehen, etwa mit Sozialbetreuern, die Aufgaben zwischen Sozialarbeitern und Hausmeistern übernehmen.

Ihr Dezernat ist nach dem Weggang ihrer Vorgängerin Angelika Maria Wahrheit ein Jahr lang von ihren Beigeordneten-Kollegen kommissarisch, also quasi nebenher geführt worden. Hat sich das für Sie bemerkbar gemacht?

Krause: Die Dezernatsstruktur musste neu aufgebaut werden, weil die damaligen Sekretärinnen und Referenten in andere Abteilungen gewechselt sind. Aber ich habe vier fachlich versierte Amtsleitungen, die mir den Einstieg leicht gemacht haben.

Werden Sie alle städtischen Kitas, Schulen und die anderen Einrichtungen, für die sie zuständig sind, persönlich besuchen?

Krause (lacht): Ich bin natürlich zurzeit viel unterwegs, um alles nach und nach kennenzulernen. Aber alle Schulen und Kitas? Das werde ich in meinen acht Wahljahren wohl kaum schaffen. Aber ich werde mich sehr bemühen, mir einen guten Überblick zu verschaffen.

Als Dezernentin für Soziales, Bildung und Gesundheit haben Sie ein breites Aufgabenfeld. Was hat für Sie Priorität?

Krause: Am nächsten ist mir aufgrund meines beruflichen Werdegangs der Kita- und Jugendbereich. Am entferntesten ist für mich das Thema Gesundheit, das bisher nicht zu meinem Aufgabenbereich gehörte und bei dem ich mich wohl am meisten fortbilden werde.

Warum haben Sie Ihren Dezernatssitz vom Alten Rathaus ins Beueler Rathaus verlegt?

Krause: Ich halte es mit der Philosophie des Oberbürgermeisters, der sein Büro vom Rathaus ins Stadthaus verlegt hat, weil dort die meisten städtischen Mitarbeiter tätig sind. Drei meiner vier Ämter sind in Beuel angesiedelt. Von daher lag es für mich auf der Hand, nach Beuel zu ziehen. Das Gesundheitsamt liegt auf dem Weg, wenn ich ins Alte Rathaus oder ins Stadthaus fahre, was beinahe täglich vorkommt.

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