Tag der Archive in Bonn Es droht Amnesie durch Schimmel und Datenverlust

Bonn · Hunderte Besucher lassen sich durchs Bonner Stadtarchiv führen und nutzten den Tag zum Stöbern und Staunen. Es werden aber auch die Auswirkungen der Feuchtigkeitsschäden offenbar.

 Beim Tag der Archive herrschte großer Andrang im Bonner Stadtarchiv. Hier stöbern Besucher in alten Postkarten mit Bonner Motiven.

Beim Tag der Archive herrschte großer Andrang im Bonner Stadtarchiv. Hier stöbern Besucher in alten Postkarten mit Bonner Motiven.

Foto: Martin Wein

Von wegen staubige Akten. Wie aufschlussreich ein Besuch im Gedächtnis der Stadt Bonn sein kann, erleben am Samstag Hunderte Besucher beim Tag der Archive im Stadtarchiv. Gleich am Morgen nimmt Archivar Udo Müller Kinder und Eltern mit in die Katakomben des Stadthauses, wo die Kommune auf 16 Kilometern Regalböden lagert, was frühere und heutige Generationen seit 1689 für bemerkenswert hielten.

Die älteste Urkunde, die Müller den Gästen im Neonlicht der Kellerräume gleich als erstes zeigt, datiert von 1256. Daneben sind nicht nur Ratsprotokolle, Urkunden, exemplarische Behördenvorgänge vom Grundstücksvertrag bis zur Kfz-Anmeldung und 155.000 Bücher mit Bezug zu Bonn überliefert.

Das Archiv mit seinen gut 30 Mitarbeitern verwahrt auch einen Schatz von 4000 Grafiken, Tonbändern und 6,5 Millionen Fotografien. Allein sechs Fotoalben mit historischen Aufnahmen der alten Rheinbrücke wurden etwa zur Eröffnung der Kennedy-Brücke angelegt. In einer sorgsam gestalteten Fotoausstellung ist am Samstag eine Auswahl zum Thema „Mobilität im Wandel“ mit Bonner Aufnahmen von Autos, Bussen, Bahnen, Booten und dem Heißluftballon „Bad Godesberg“ zu sehen.

Historische Aufnahmen aus dem Stadtarchiv Bonn
6 Bilder

Historische Aufnahmen aus dem Stadtarchiv Bonn

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Aufwendige Restaurierung

Im Magazinkeller 4 können die Besucher bei der Führung allerdings auch sehen, welche Auswirkungen die Feuchtigkeitsschäden seit Jahren in drei Räumen anrichten. Etliche der dringend benötigten Rollregale müssen leer bleiben, weil nach Starkregen von der Decke Wasser eindringt. Die teuren Lagersysteme sind inzwischen selbst angerostet und schwergängig. Wichtige Unterlagen müssen in Plastikfolien und Kartons notdürftig geschützt werden.

„Wir schaffen es auch nicht, hier ein gleichbleibendes Klima zu halten“, berichtet Müller. Da die Luftfeuchte oft zu hoch sei, drohe Schimmelbildung. An einem Aktenband zeigt er, was das für Folgen hat. Oft genug ist eine mühsame Restaurierung von Hand notwendig. Für einen einzigen Band können dafür leicht 3000 Euro fällig werden. Bei losen Akten können Maschinen die Restaurierung übernehmen. Dafür gibt es Geld aus einem Förderprogramm des Landes .

Viele Dienststellen führen Unterlagen fast nur noch elektronisch

Die Frage von Besuchern, ob das Geld in einer Digitalisierung nicht besser ausgegeben wäre, beantwortet Müller eindeutig: „Wir wollen zuerst das Original.“ Es sei schließlich etwas ganz anderes, eine Quelle – natürlich mit Handschuhen – in Händen zu halten. Viele Details gingen beim Scan verloren. Und dem Stadtarchiv fehle ohnehin die EDV für eine schnelle Verarbeitung und Anzeige digitaler Dokumente. Deshalb werde vorrangig bei zerfallenden Fotoabzügen oder Negativen digitalisiert.

Mit dem Blick auf Unterlagen der Paul-Gerhardt-Schule in Beuel konfrontiert Müller die Gäste noch mit einem ganz anderen Problem, das angesichts digitaler Massenspeicher auf den ersten Blick unverständlich wirkt. Viele Dienststellen führen ihre Unterlagen fast nur noch elektronisch. Die Stadt Bonn habe aber noch keine verbindliche Richtlinie zur elektronischen Aktenführung.

Die Folge: Kaum jemand sei heute noch in der Lage zur korrekten Aktenführung, ob analog oder digital. „Es wird für spätere Generationen damit sehr schwer werden, an Informationen aus unserer Zeit zu kommen“, glaubt Müller. Beispielsweise seien nicht einmal Bestände wie die Sammlung zum Jungen Theater mit Plakaten und Programmheften vollständig, weil sie nur durch Zufall und engagierte Mitarbeiter ihren Weg ins Archiv finden.

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