Wie weiter nach der Grundschule? Erziehungswissenschaftler Volker Ladenthin gibt Empfehlungen

Bonn · Die weiterführenden Schulen in Bonn laden seit Wochen zu Tagen der offenen Tür. Professor Volker Ladenthin appelliert an die Eltern, gelassen zu bleiben. Der Bonner Erziehungswissenschaftler im Gespräch mit dem GA.

 Ist die Schulform richtig gewählt, behalten Kinder wie hier in der Burgschule den Spaß am Lernen, sagt Volker Ladenthin.

Ist die Schulform richtig gewählt, behalten Kinder wie hier in der Burgschule den Spaß am Lernen, sagt Volker Ladenthin.

Foto: Ronald Friese

Haben Sie Verständnis dafür, dass sich derzeit zahlreiche Familien von Viertklässlern in heller Aufregung befinden?
Volker Ladenthin: Natürlich. Aber ich würde Gelassenheit empfehlen. Die Schule ist wichtig - mehr aber noch der einzelne Lehrer. Auf den Unterricht kommt es an - nicht auf das Schulgebäude und die Ziele der Klassenfahrten und darauf, wer die Schule sponsert.

Welche Schulform ist denn die richtige für welche Kinder?
Ladenthin: Jene, die ein Kind herausfordert, aber nicht überfordert. Manchmal wollen wir Eltern, dass Kinder das nachholen, was wir selbst nicht erreicht haben. Wir wählen nicht die Schule, die passt, sondern jene, die unseren Ehrgeiz befriedigt. Und damit schaden wir unseren Kindern. Zudem gibt es viele Wege zum Ziel - es muss nicht immer das Abitur sein. Und nicht immer gleich das Gymnasium. Gerade Pubertierende fühlen sich außerhalb der Schule wohler, in einer beruflichen Ausbildung zum Beispiel - und holen dann mit 19 das Abi nach. Verpasst haben sie nichts, gewonnen aber viel: nämlich Lebenserfahrung.

Und was sagt der Notendurchschnitt aus?
Ladenthin: Der Notendurchschnitt aus der Grundschule ist für Eltern eine wertvolle Hilfe. Alle Forschungsergebnisse zeigen: Grundschullehrer sind sehr gut in ihrer Prognose. Man sollte dem Rat dieser Fachleute folgen. So wie man ja auch auf den Arzt hört.

Ab welchem Zeitpunkt sollte es denn in der Grundschule Noten geben?
Ladenthin: Jedes Kind ist stolz auf das, was es geschafft hat: "Das habe ich für Dich gemalt - gefällt es Dir?" Kinder wollen dann eine Rückmeldung. Und wenn diese ehrlich ist und mit Ermutigung verbunden, motiviert das Kinder sogar. Noten sind nichts anderes als diese Rückmeldung. Altersgemäß und pädagogisch formuliert, gibt es gegen Schulnoten keine Einwände.

Hat die vormals verbindliche Schulempfehlung heute noch einen Sinn?
Ladenthin: Wie anders sollte der Schulweg bestimmt werden als durch die Leistungsfähigkeit der Kinder? Schulempfehlungen sind Auskünfte über die Leistungsfähigkeit eines Kindes. Sie helfen, Über- oder Unterforderungen zu vermeiden. Sie sind unverzichtbar.

Worauf sollten Eltern und Kinder bei Schnupperterminen an weiterführenden Schulen achten?
Ladenthin: Findet eine Show statt? Wird alles schöngeredet? Gibt es nur schöne Phrasen oder sprechen die Vertreter der Schule von ihren persönlichen Erfahrungen? Wird der Eindruck erweckt, dass künftig alles lustig, einfach und toll wird? Oder sagen die Lehrer ehrlich, was auf die Kinder zukommt? Sprechen sie von den Anforderungen, den zukünftigen Aufgaben und Belastungen? Von dem, was sie dann wirklich als Leistung erwarten? Mir wäre die Glaubwürdigkeit am wichtigsten - weniger die Hochglanzbroschüre und die Chemiestunde, in der es knallt und blitzt. Das nämlich hat mit dem Schulalltag nichts zu tun. Ich würde mit den Schülern der Schule sprechen. Egal über was. Man erkennt ganz schnell, ob sie sich mit "ihrer" Schule identifizieren.

Wenn es mit der Wunschschule oder Wunschschulform dann doch nicht klappt: Was raten Sie den Familien?
Ladenthin: Gelassenheit! Noch sind alle Schulen bei uns im Grunde gleich gut. Es kommt auf den einzelnen Lehrer an - und gute Lehrer gibt es an allen Schulen. Zudem deuten alle Forschungen darauf hin, dass es noch mehr auf die Eltern ankommt. Das hat ja Pisa gezeigt: Der Schulerfolg hängt wesentlich vom Engagement der Eltern ab. Keine Schule kann das Elternhaus ersetzen - die Verantwortung für das Glück der eigenen Kinder kann man nicht an die Schule abgeben. Insofern kann man gelassen bleiben - und sich da um die Kinder kümmern, wo es die Schule nicht schafft.

Und wie sieht es dann mit der Durchlässigkeit der weiterführenden Schulformen aus?
Ladenthin: Eltern sollten den Mut haben, bei einer sichtbar falschen Schulentscheidung nach einer gewissen Gewöhnungszeit entschieden zu reagieren. Kaum etwas ist in der Jugend schlimmer, als sich durch fünf oder sechs Jahre Schule zu quälen - weil sie zu leicht oder weil sie zu schwer ist. Oft ist die langsamere Schulform die bessere: Kinder haben Zeit, sich zu entwickeln. Sie verlieren nicht den Spaß am Lernen.

Info

Weitere Informationen zu weiterführenden Bonner Schulen auf www.ga.de/schulen

Zur Person

Volker Ladenthin, 1953 in Münster geboren, studierte Germanistik, Geschichte und Philosophie. Nach der Habilitation in Allgemeiner Pädagogik 1994 berief ihn die Uni Bonn 1995 auf die Professur für Historische und systematische Erziehungswissenschaften. Der Buchautor ist seit 2003 Herausgeber der Monats-Zeitschrift "Schulleitung intern. Für Grund- und Hauptschulen".

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