Bonner pflegen Familienbibel Erinnerung an den gefallenen Onkel

Bonn · Helga und Jost Andernach pflegen eine Familienbibel mit biografischen Einträgen, die bis ins 19. Jahrhundert reichen. Die Seiten sind vergilbt, und auch an dem braunen Ledereinband hat die Zeit ihre Spuren hinterlassen.

 Helga und Jost Andernach sitzen vor der Familienbibel aus dem Jahr 1889, in die sein Großvater Erinnerungen des Onkels niedergeschrieben hat. Am 1. Mai 1917 starb er im Krieg in der Schlacht von Verdun.

Helga und Jost Andernach sitzen vor der Familienbibel aus dem Jahr 1889, in die sein Großvater Erinnerungen des Onkels niedergeschrieben hat. Am 1. Mai 1917 starb er im Krieg in der Schlacht von Verdun.

Foto: Susanne Wächter

„Die heilige Schrift“ ist nur mit Anstrengung auf dem Buchrücken zu lesen. Das dicke Buch ist keine einfache Bibel. Es ist die Familienbibel der Familie Andernach aus Beuel. Auf den ersten Seiten hat Jost Andernachs Großvater eine Art Tagebuch geführt. „Das war wohl früher so üblich“, sagt Helga Andernach, „Seiten dort einzufügen“.

Das Buch ist ein Andenken und ein Stück Familiengeschichte. Sie stammt aus dem Jahr 1889. Lange Zeit ließen Helga und Jost Andernach das Erbstück, ohne ihm viel Beachtung zu schenken, im Bücherregal des Arbeitszimmers stehen. Vor einem halben Jahr etwa holten die beiden Rentner es hervor und versuchten, die Schrift zu entziffern. „Es ist alles in Sütterlin geschrieben“, erzählt Helga Andernach. „Ich musste mich da mühsam hineinlesen.“ Ihr Mann Jost konnte sie gar nicht entziffern und überließ diesen Part seiner Frau, die in Bayern aufgewachsen ist und die Schrift in der Schule noch gelernt hatte.

Die „Bibel“ wie Helga und ihr Mann Jost das Familienerbstück kurz nennen, zeichnet einen Teil des kurzen Lebens von Werner Andernach auf, dem Onkel von Jost und ein Spross des Firmengründers der A. W. Andernach KG, einer Traditionsfirma, die von Bonn aus Dachbaustoffe in die ganze Welt lieferte.

Vor genau 100 Jahren, am 1. Mai 1917, fiel er im Alter von nur 23 Jahren in der Schlacht von Verdun. Auf drei DIN A 4 Seiten hat das Beueler Ehepaar die Niederschrift des Großvaters aus der Familienbibel zusammengefasst. „Ich habe gelesen und mein Mann den Text in den Computer eingegeben.“ Nachdem der Onkel, Werner Andernach, Ostern 1912 das „Abiturienten Examen“ bestand, zog er nach Zürich, um dort Rechtswissenschaften zu studieren, im Herbst 1913 wechselte er zur Universität München, ein Jahr später zur Uni nach Bonn. Im selben Jahr meldete er sich im August freiwillig, um im Ersten Weltkrieg zu kämpfen. Zwei Monate später rückte er an die Westfront aus, wurde bereits im März 1915 Reserveleutnant und trat im Herbst 1915 freiwillig den Fliegern bei.

„Eine Woche nach unserer silbernen Hochzeit im März 1916 kam er wieder an die Westfront zu der Fliegerabteilung 44 Lb und zwar hauptsächlich in der Gegend von Verdun“, schreibt Jost Andernachs Großvater in die Bibel voller Trauer um den so jung verstorbenen Sohn. Werner Andernach kam am 1. Mai 1917 während eines Angriffs der französischen Schützenlinien ums Leben. „Er wurde von einer feindlichen Kugel getroffen, die ihm die Brust von vorn nach hinten durchbohrte. Unser heiß geliebter, hoffnungsvoller, liebenswerter, kraftstrotzender Sohn Werner hatte sein kostbares junges Leben für sein Vaterland dahingegeben“, schreibt Jost Andernachs Großvater.

Durch die Familienbibel bleibt die Geschichte der Familie Andernach lebendig. Bis in das 13. Jahrhundert kann Jost Andernach seine Familiengeschichte nachvollziehen. Er holt ein Album aus dem Regal im Esszimmer. Kleine schwarz-weiße Fotografien zeigen Männer und Frauen in verschiedenen Posen, auf der Rückseite haben seine Eltern und Großeltern die Bilder beschriftet. „So weiß jeder aus der Familie auch nach vielen Jahrzehnten noch, wer die abgebildeten Menschen sind“, sagt Andernach.

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