Bonner Psychiater und Freiburger Neurochirurg Eine Hoffnung für Schwerstdepressive

BONN · Ihre Lage scheint aussichtslos: Sie haben bereits mehr als 40 unterschiedliche Therapien über sich ergehen lassen müssen, darunter auch die sehr wirksame Elektronenkrampftherapie. Doch weder Therapien noch Medikamente haben geholfen. Die schwerstdepressiven Patienten, die sich komplett aufgeben und meist suizidale Gedanken haben, gelten als austherapiert.

 Professor Thomas E. Schläpfer zeigt an einem Modell auf die Hirnregion, in der die Operation ausgeführt wird.

Professor Thomas E. Schläpfer zeigt an einem Modell auf die Hirnregion, in der die Operation ausgeführt wird.

Foto: Maximilian Mühlens

Professor Thomas E. Schläpfer von der Bonner Uniklinik für Psychiatrie und Psychotherapie hat mit dem Freiburger Neurochirurgen Volker Coenen eine Therapie entwickelt, die den Schwerstdepressiven jetzt Hoffnung gibt. Dabei handelt es sich um eine neue Variante der Tiefen Hirnstimulation (THS), die schon seit einigen Jahren erfolgreich bei Parkinson angewendet wird. Bei der Operation werden dem Patienten in das mediale Vorderhirnbündel Elektroden gepflanzt, die leichte Stromstöße abgeben und so die Funktion des Belohnungssystems wiederherstellen. Ein Impulsgeber wird im Bereich des Oberbauches operativ eingesetzt und sendet Stromstöße von höchstens drei Volt aus. Bei der THS spricht man auch von einem Hirnschrittmacher, da sie ähnlich wie ein Herzschrittmacher arbeitet.

"Wenn wir beispielsweise etwas Gutes essen, fühlen wir uns gut", erklärt Schläpfer. Depressive würden nichts spüren. Als Beispiel nennt der Bonner Psychiater auch Versuche mit Geldgewinnen: Während sich gesunde Menschen über einen Geldgewinn freuen, zeigen Depressive keine Reaktionen.

In einer ersten Studie, bei der acht Patienten Elektroden implantiert wurden, stellte sich schon nach kurzer Zeit eine deutliche Besserung ein - nur eine Patientin reagierte nicht auf die Therapie. "Es ist sehr erstaunlich, dass wir eine Therapie in der Psychiatrie haben, auf die alle Patienten ansprechen. Im Falle der Patientin, die nicht auf die THS ansprach, haben wir bei der OP wahrscheinlich eine kleine Blutung verursacht, weshalb die Therapie nicht wirkt", so Thomas E. Schläpfer - was insofern tragisch für die Patientin ist, weil die Behandlung erfolglos war. Die Blutung sei relativ folgenlos; die Wahrscheinlichkeit einer Blutung liege ohnehin nur bei 0,5 Prozent. "Nebenwirkungen gibt es keine. Das größte Risiko liegt eben darin, dass die Patienten nicht auf die Therapie ansprechen", sagt der 54-jährige Psychiater.

Die hohen OP-Kosten von 39.000 Euro (30.000 Euro für Elektroden und Impulsgeber, 9000 Euro für die OP) werden im Rahmen der Studie finanziert. "Es hört sich nach sehr viel Geld an, wenn man es aber einem langwierigen Klinikaufenthalt gegenüberstellt, relativieren sich die Kosten", erläutert Schläpfer.

Die positive Auswirkung der OP ist lang anhaltend - auch über die 18 Monate der ersten Studie hinaus, während die Patienten immer wieder untersucht wurden. "Fast schon gespenstisch" findet Professor Schläpfer die schnelle Wirkung der THS. Da die Elektrodenimplantation während einer Lokalanästhesie erfolgt und der Patient ansprechbar ist, kann das OP-Team sich mit dem Patienten unterhalten und Testfragen stellen. Schläpfer berichtet, dass sich die Patienten schon während der OP, nach Aktivierung des Belohnungssystems, positiv verändern. "Sie interessieren sich für ihr Umfeld und sprechen sogar mit den Ärzten", freut sich Thomas E. Schläpfer. Ganz genau kann sich der Psychiater noch an seine erste Patientin, die er mit der THS behandelte, erinnern.

Einen Tag nach der OP besuchte er sie. "Sie lag in ihrem Bett und ihr war langweilig - das war ihr einziges Problem. Sie freute sich, dass sie endlich wieder lesen konnte und hielt ein dickes Buch in der Hand. Ich habe sie nach ihren Suizidvorstellungen gefragt - sie sagte nur: 'Habe ich nicht'." Dass eine Therapie so schnell wirken würde, sei erstaunlich, normalerweise würden Therapien erst nach Monaten erste Erfolge zeigen. Operiert werden die Patienten in der Bonner Uniklinik, für die OP kommt Neurochirurg Coenen extra aus Freiburg.

Wer nun aber denkt, dass die THS einen ewigen Glückszustand der Patienten garantiert, irrt. "Es handelt sich bei der Operation nicht um Glück in elektrischer Form, wir verändern die Persönlichkeit der Patienten nicht. Wir stellen die Normalfunktion des Belohnungssystems wieder her", erklärt Schläpfer.

Was für die Patienten allerdings schwer sei, sei die Rückkehr in die Normalität. "Wer 20 Jahre depressiv war und auf einmal wieder normal leben kann, sieht sich mit hohen Erwartungen konfrontiert", erklärt Schläpfer. Hohe Erwartungen, die sich die Patienten selber stellen und die von außen kommen. Vor allem sei es schwierig, wieder zu arbeiten, wenn man zehn Jahre erwerbsunfähig war.

Aktuell findet die zweite Studie an der Uni Bonn statt. "Wird währenddessen die Wirkung erneut belegt, wird die THS sehr bald eine therapeutische Option werden", ist sich Schläpfer sicher. Erste Ergebnisse erwartet er Ende nächsten Jahres.

Zur Person

Professor Dr. med. Thomas E. Schläpfer wurde 1959 im schweizerischen Bern geboren. An der dortigen Universität studierte er Medizin sowie Öffentliches Gesundheitsrecht und Journalismus und absolvierte eine psychiatrische Facharztausbildung. Er ist stellvertretender Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie. Seit 2006 ist er Prodekan für Lehre und Studium der medizinischen Fakultät.

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