Tag der Trinkhalle Ein Dorfplatz in der Großstadt

Das Ruhrgebiet feiert am Samstag den Tag der Trinkhallen. In Bonn gibt es 41 Kioske. Jeder hat durch Besitzer und Lage einen eigenen Charakter. Die Büdchen, wie sie liebevoll genannt werden, sind auch Treffpunkte für die Bürger. Der GA stellt eines aus jedem Stadtbezirk vor.

Kiosk am Bonner Kaiserplatz

Nach Zigarillos steht Männern – auch den Gelegenheitsrauchern – offenbar der Sinn, wenn sich ein schönes Wochenende ankündigt. Wer das behauptet? Martin Torunsky. Er betreibt mit seiner Frau Elke den Kiosk am Bonner Kaiserplatz. In den 20 Jahren haben sie viele Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt. Ist das Wetter am Wochenende eher schlecht, verhalten sich Männer und Frauen relativ gleich. „Sie kommen schnell hereingehuscht, greifen einige Illustrierte und sind wieder weg.“

Der Kiosk ist in einem bestimmten Rhythmus getaktet, der ungefähr so klingt: morgens Tageszeitung, den Tag über Zeitschriften – häufig auch mit Beratungsbedarf: „Was können Sie mir empfehlen?“ Mittwochs und samstags kommen Lottospieler auf den letzten Drücker. Samstags ist Retourentag für die Pakete der Onlineshops. Rauchwaren haben immer Konjunktur. Und auffällig ist, wie viele Menschen – auch junge – Briefmarken kaufen. Hauptsächlich im Sommer suchen die Touristen nach hübschen Bonn-Souvenirs.

Wann jedoch genau der Kundenansturm so groß ist, dass sich in dem schmalen, langgezogenen Kiosk eine Schlange bildet, lässt sich den Torunskys zufolge nie genau vorhersehen. Aber egal wie heftig der Ansturm ausfällt – die Auslagen sind immer ordentlich in Reih und Glied sortiert. Diese Ordnung scheint einen positiven Einfluss auf die Kunden zu haben, sie üben sich in Geduld, wenn es mal etwas länger dauert, bis sie an die Reihe kommen.

Was den Kioskkunden kennzeichnet, ist nämlich, dass er eigentlich nicht lange warten will. Weil aber die Torunskys über 70 Prozent Stammkundschaft haben, gehört ein Gespräch dazu. „Wie geht es den Kindern, wie war der Urlaub, was gibt es Neues?“ Als eine junge Familie mit dem fünfjährigen Sohn den Kiosk betritt, weiß Elke Torunsky genau, was passieren wird: Der Knirps steuert das Regal mit den Comics an, greift zielgerichtet einen heraus und drückt ihn, als hätte er einen Schatz erbeutet, fest an die Brust. „Seinen Vater kennen wir schon, als er so klein war, und er hat es genauso gemacht“, sagt sie.

250 bis 500 Kunden bedient das Ehepaar jeden Tag – flott, freundlich, konzentriert. „Wir haben die Funktion eines Tante-Emma-Ladens übernommen, den es im weiteren Umkreis nicht mehr gibt .“ So kommt eine Kundin nur kurz herein, um Bescheid zu sagen, dass der Geburtstagsbrief an den Opa in Berlin rechtzeitig angekommen ist.

Dass es in den zurückliegenden Jahren im Kiosk zu wirklich unschönen Szenen gekommen sei, sei nicht der Rede wert, sagt Martin Torunsky. Ein Diebstahl habe sich ereignet. Der Täter wurde noch im Geschäft gefasst. Und außergewöhnliche Momente? „Wenn Lottospieler Millionen gewinnen. Davon hatten wir nicht wenige. Und die meisten haben weitergespielt, weil sie es noch einmal wissen wollten. Mancher hatte sogar ein zweites Mal Glück.“

Nach 20 Jahren im Geschäft können die Torunskys schnell auf den Punkt bringen, welche Eigenschaften ein Kioskbesitzer haben muss: „Er sollte nicht leicht aus der Ruhe zu bringen, kommunikativ, und immer über tagesaktuelle Themen informiert sein. Außerdem fangen wir vieles ab, was der jeweiligen Person draußen in der bösen Welt Stress macht – Familienstreit, Ärger im Job.“ (Jutta Specht)

Kiosk am Duisdorfer Bahnhof

Morje Chef.“ Gut gelaunt kommt Lorenz Schmidt mit Sohn Emilio zum Kiosk von Mohammed Azizi am Duisdorfer Bahnhof. „Mähs do me ´ne Kaffee?“ Emilio tippelt derweil aufgeregt von einem Bein auf das andere und zupft an Vaters Hosenbein. „Ich hab's nicht vergessen“, beruhigt er den Vierjährigen. „Und noch ein Päckchen Ninjago-Karten, bitte.“

Mohammed Azizi ist für Lorenz Schmidt so etwas wie ein Familienmitglied. „Jeden Tag treffe ich mich hier mit Freunden nach der Arbeit zum Feierabendbierchen.“ Diesmal gibt es jedoch nichts Obergäriges. „Ich hab' Urlaub und bin mit dem Kleinen da, deshalb gibt es nur einen Kaffee.“Lorenz Schmidt begutachtet die neuen Karten für das Sammelheft des Juniors. Azizi freut sich über das vertraute Gesicht. „Es ist immer schön, wenn jemand kommt, den ich kenne. Die meisten Kunden wollen ja nur schnell weg, um ihren Bus oder die Bahn zu erreichen.“

Mohammed Azizi betreibt seit 2009 den Kiosk am Bahnhof in Duisdorf. Auf neun Quadratmetern bietet der gebürtige Afghane fast alles für den täglichen Bedarf. Auch Zigaretten. „Niemand will die Packungen mit den Schockbildern haben“, sagt er. Daran entzünde sich immer eine Diskussion.

Die Arbeitstage im Kiosk sind lang. Bereits morgens um 5.30 Uhr gibt es Kaffee und frisch geschmierte Brötchen. „Ich hatte bisher nicht einen Tag geschlossen“, betont er. In den Mittagsstunden übernimmt seine Frau Anisa für ein paar Stunden das Geschäft. Dann kann sich der 63-Jährige ausruhen, bevor er die letzten Stunden wieder hinter der Theke steht. Früher liefen die Geschäfte allerdings besser. „Nachdem in der Umgebung neue Haltestellen gebaut worden sind, bleiben mir die Kunden weg“, berichtet er. „Aber ich bin zufrieden. Das ist eine gute Arbeit für einen Mann in meinem Alter.“ Selbst im Zeitalter von Ninjago bringt Azizi Kinderaugen noch mit Bonbons zum Leuchten. Colafläschchen für 10 Cent, Colakracher für 15, Kaugummi für 20 Cent. „Die verkaufe ich natürlich einzeln. Jeder bekommt so viel, wie er will“, erklärt er und zeigt auf die gefüllten Bonbonnieren. Die Kinder der nahen Realschule gehören deshalb zu seinen Stammkunden. „Nach Schulschluss kommen sie in Scharen.“ Azizi erkennt gleich, wie der Tag gelaufen ist. „Man sieht, ob sie zufrieden sind oder nicht. Manchmal habe ich wirklich Mitleid.“

An den Winter mag er jetzt noch nicht denken. „Dann ist es sehr kalt in der Bude und zieht an allen Ecken. Selbst mit dem kleinen Elektroöfchen wird es nicht richtig warm“, sagt er und schiebt die kleine Glasscheibe zu. So bleibt wenigstens der kalte Wind an diesem Tag draußen. (Gabriele Immenkeppel)

Kiosk im Süden Beuels

Doch noch ist Sommer. Und schon morgens ist an der Ecke Elsa-Brändström-/Ernst-Moritz-Arndt-Straße mächtig etwas los. Einige Männer haben es sich im Schatten mit Kaffee bequem gemacht. Eine Seniorin holt ihre Wochenzeitschrift, Handwerker springen kurz rein, um Zigaretten zu kaufen. Und ein kleiner Junge deckt sich für den Tagesausflug mit Papa mit weißen Schaumzucker-Mäusen ein. Radwan Kanjo hat alle Hände voll zu tun in seinem Büdchen im Süden Beuels. Vor zwei Jahren hat er den Kult-Kiosk übernommen. Das Büdchen ist seit mehr als 60 Jahren eine Institution an der Kreuzung. Gebaut und geführt hatte ihn Georg Andretzki. Sein Sohn Peter betrieb ihn knapp 40 Jahre weiter, bis er 2011 plötzlich verstarb.

Die Anfangszeit war für den Syrer nicht leicht; er und die Kunden mussten sich aneinander gewöhnen. „Jetzt ist er der Freund aller Leute. Seine Hilfsbereitschaft ist sagenhaft und er hat eine echte Lücke in der Nahversorgung gefüllt“, sagt Stammkunde Monza. „Besonders für die alten Leutchen war es wichtig, dass der Kiosk wieder öffnet“, sagt der Beueler. „Neben den Artikeln, die ich verkaufe, biete ich gerade für die älteren Kunden viel Service. Mal bringe ich dem einen Briefmarken von der Post mit, mal trage ich dem anderen die Wasserflaschen in die Wohnung“, sagt Kanjo. „Ich bin ein neugieriger, lustiger Junge, der immer weiß, was seinen Kunden fehlt“, sagt der Geschäftsmann.

„Ich bin mit dem Kiosk groß geworden und komme bei Bedarf her, um ein paar Dinge einzukaufen“, sagt Lukas Rick. Insgesamt würden die Kioske an Bedeutung verlieren, meint der Beueler. „Aber für eine kleine Gruppe sind sie heute auch noch sehr wichtig“, so Rick. Denn natürlich ist das Büdchen von Radwan Kanjo auch Treffpunkt und Nachrichtenbörse. „Hier kommt man gerne her. Die Nachbarn müssen nicht einsam vor der Glotze sitzen, hier haben sie Kaffee und Unterhaltung“, sagt Monza.

Sieben Tage die Woche hat Kanjo geöffnet, und er legt Wert auf eine familiäre Atmosphäre. „Es kommt immer mal vor, dass jemand seine Geldbörse zu Hause vergessen hat, macht nichts, dann soll er beim nächsten Mal bezahlen“, sagt Kanjo. Missbraucht wurde sein Vertrauen noch nie. „Im Gegenteil, meistens bekomme ich zusätzlich noch ein Trinkgeld.“ (Anke Vehmeier)

Kiosk an der Mehlemer Straße

Einen schöneren Arbeitsplatz kann sich Mahmoud Moraa nicht vorstellen. An der Mehlemer Straße schneidet der rheinisch-arabische Büdchenbesitzer eine Bratwurst und kocht Kaffee mit Ausblick auf den Petersberg. „Es ist so schön hier am Wasser, das hat eben nicht jeder“, sagt er. Sein auffälligstes Markenzeichen sind seine weißen Haare, die seine Stammkunden schon von Weitem erblicken und dann freudig herüber grüßen. An warmen Tagen wie an diesem Donnerstag sind besonders Eis und kalte Getränke gefragt. Sieben Tage die Woche steht Moraa an seiner Bude. Viele Radfahrer kaufen sich hier die ein oder andere Erfrischung oder Stärkung für die Weiterfahrt. „Vor allem Getränke sind für mich bei so einem Wetter wichtig“, sagt Moraa. Seine Kunden kommen aus Wesseling, dem Vorgebirge, Andernach und Bornheim mit dem Fahrrad.

„Guten Morgen, mein Lieber, schwitzt du schon?“, fragt der gebürtige Libanese seinen Gast Holger Wilhelmi schon von Weitem. Der Tonfall ist, wie mit vielen anderen Gästen auch, freundschaftlich familiär. Schnell kommen die beiden Männer ins Gespräch über die Zeit, als Bonn noch Bundeshauptstadt war und Moraa als angestellter Verkäufer am Langen Eugen arbeitete. „Da hat sich früher ja alles und jeder getroffen“, sagt Wilhelmi. Nach dem Umzug nach Berlin sei es dann spürbar ruhiger geworden.

Hier in Mehlem sei er vor allem vom Wetter abhängig, sagt Moraa. Von März bis Anfang Dezember öffnet er sein Geschäft von 9.30 bis 20.30 Uhr, sieben Tage die Woche. Ein Fulltime-Job: Im vergangenen Winter nahm sich der freundliche Budenbesitzer die Zeit, um in die alte Heimat zu fahren, sein erster Urlaub seit zehn Jahren. Dafür schätzen ihn seine Kunden. „Wenn Sie im Supermarkt einkaufen gehen, unterhalten Sie sich nicht mit dem Verkäufer“, sagt Moraa, während wenige Meter entfernt eine Fähre anlegt und zwei Möwen sich kreischend um etwas Essbares streiten. „Hier bei mir ist alles persönlich.“ Der 74-jährige Wolfgang Fischer aus Plittersdorf kommt fast jeden Tag auf einen Kaffee vorbei. „Ich frage mich, warum die Leute in Urlaub fahren, ist doch viel schöner hier“, sagt er. „Hier trifft man sich und erfährt dabei das Neueste.“ (Andreas Dyck)

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