Interview mit Bonner Karnevalist Willi Baukhage: „Karneval muss von Herzen kommen“

Bonn · Der ehemalige Prinz Willi Baukhage war 14 Jahre lang Schultheiß der Bonner Stadtsoldaten. Jetzt zieht er sich nach und nach aus dem Karneval zurück.

 Willi Baukhage in seinem Revier: Das Ordenszimmer in seinem Karnevals-Hobbykeller.

Willi Baukhage in seinem Revier: Das Ordenszimmer in seinem Karnevals-Hobbykeller.

Foto: Benjamin Westhoff

In Bonn gibt es keine Bühne, auf der er noch nicht gestanden hat. Als Moderator, Sänger, Vereinsfunktionär und vor allem als Sitzungspräsident im bönnschen Fastelovend ist Willi Baukhage ein Markenzeichen. Was ihn ausmacht ist Mutterwitz, rheinische Fröhlichkeit und Zuverlässigkeit. Vor allem in einer Rolle vereint er seine Talente: Alljährlich im Bonner Rosenmontagszug überrascht er die Narren als Formationsspitze der Vereinigung Bonner Karnevalisten (VBK) mit außergewöhnlichen selbstgemachten Kostümen und Dekorationen. In diesem Jahr hat sein etappenweiser Rückzug aus dem vielschichtigen Engagement im Karneval begonnen. Er hat die Chefmütze im Elferrat der Bonner Stadtsoldaten an seinen Nachfolger Dirk Vögeli übergeben. Mit dem ehemaligen Schultheiß des Traditionscorps sprach Holger Willcke.

Warum ziehen Sie sich zurück?

Willi Baukhage: Da gibt es mehrere Gründe. Für mich stand immer fest: Ich höre lieber zwei Jahre früher auf, als ein Jahr zu spät. Der Zeitpunkt für einen Wechsel an der Spitze des Elferrats war günstig, weil es einen potenziellen Nachfolger gab. Ich war insgesamt 14 Jahre Sitzungspräsident und Literat im Corps der Bonner Stadtsoldaten. Dirk Vögeli wünsche ich die Freude und den Erfolg, den ich erfahren durfte.

Was zeichnet einen Schultheiß aus?

Baukhage: Er muss Menschen einfangen und begeistern können. Seine Fröhlichkeit muss ansteckend sein. Ein Sitzungspräsident ist Bindeglied zwischen Publikum, Elferrat und Künstlern. Und man muss über eine Dauer von mindestens sechs Stunden hoch konzentriert sein und auf jede Entwicklung im Saal spontan reagieren können. Und wenn man dann noch unsere bönnsche Mundart sprechen kann, hat man die besten Voraussetzungen für einen Schultheiß im rheinischen Karneval.

In der Regel bekleiden Männer diese Position. Woran liegt das?

Baukhage: Das ist historisch bedingt, weil Elferräte in Traditionsgesellschaften ausschließlich aus Männern bestehen. Aber es gibt auch hervorragende Sitzungspräsidentinnen. Ich denke da an Obermöhn Ina Harder in Beuel oder an Biggi Wanninger in der Kölner Stunksitzung.

Warum waren Sie Literat und Schultheiß in einer Person?

Baukhage: Zum einen ist das Tradition bei den Stadtsoldaten. Andererseits kam mir die Doppelrolle entgegen, weil ich so mehr auf das Sitzungsprogramm einwirken konnte, was ich später auf der Bühne vertreten musste. Als Literat bekommt man auch einen ganz anderen Kontakt zu den Künstlern, was auf der Bühne während der Sitzung hilfreich sein kann.

at man denn heutzutage noch großen Einfluss auf die Programmgestaltung?

Baukhage: Die Agentur schlägt ein Programm vor. Aber als Literat kann man auch Wünsche anmelden und entsprechend verhandeln. Letztlich hängt die Zusammensetzung auch vom zur Verfügung stehenden Geld der Gesellschaft ab. Ein gutes Sitzungsprogramm mit Spitzenkräften kostet 25 000 Euro aufwärts. Mit Technik und Kapelle kommt man da schnell auf 40.000 Euro.

Gab und gibt es Veränderungen im Sitzungskarneval?

Baukhage: In jüngster Zeit bewegt sich viel. Wegen des großen Erfolgs der jungen Nachwuchsbands entwickelt sich Karneval zu einem Ganzjahresangebot. Veranstaltungen wie „Jeck em Sunnesching“ bieten vor allem jungen Menschen Karnevalsstimmung im Sommer. Diese Gewinn orientierte Entwicklung tut etablierten Karnevalsgesellschaften weh, weil ihre Veranstaltungen den Exklusivstatus verlieren. Einige kleinere Gesellschaften bieten schon gar keine Sitzungen mehr an. Das Ehrenamt kann mit der gewerblichen Konkurrenz nur schwer mithalten. Zwei Zahlen als Beispiel: Die VBK hat noch vor wenigen Jahren 900 Gesellschaften zum Vorstellabend eingeladen, aktuell sind es noch 600 Vereine.

Im Gegensatz zu Köln gibt es in Bonn nur vier Traditionscorps - zwei in Alt-Bonn, eines in Beuel und eines in Bad Godesberg. Wie ist das Verhältnis untereinander?

Baukhage: Natürlich existiert eine gesunde Konkurrenz. Aber auf der Aktiven-Ebene kommen wir gut miteinander aus, weil es allen um den Karneval geht.

Was bedeutet für Sie Karneval?

Baukhage: Ich habe fast mein ganzes Leben auf den Karneval ausgerichtet. Ohne unser Brauchtum wäre ich nicht der Mensch geworden, der ich bin. Karneval ist ein Gefühl, prägt die Seelenlage und vereint Menschen aller Nationen, aller Glaubensrichtungen und aller Schichten. Karneval besitzt die Fähigkeit, auch traurigen und armen Menschen für einen kurzen Moment Freude und Ablenkung zu bescheren.

Woher stammt ihre Begeisterung für den Fastelovend?

Baukhage: Von meiner Mutter Christine. Weil mein Vater viel zu früh gestorben ist, musste meine Mutter die Familie auf allen Ebenen durchbringen. Sie nutzte den Karneval für gute Stimmung in der Familie. Das hat mich beeindruckt und geprägt. Im Alter von acht Jahren stand ich schon in der Volksschule in der Bütt. Mit 16 Jahren habe ich meine erste Sitzung in Tannenbusch geleitet.

Welcher Moment war für Sie besonders wichtig?

Baukhage: Da fallen mir mehrere ein. Meine Zeit als Bonner Prinz in der Session 1997/98 hat mir viele schöne Momente geschenkt. Das war eine große Ehre für mich und meine Bonna Nicole Röttgen. Was einen beschenkt sind aber auch die Dankbarkeit und die Gesten der Menschen, denen man zum Beispiel während einer Seniorensitzung eine Freude bereitet. Karneval ist etwas für das Herz, wenn er von Herzen kommt. Wer im Karneval Verantwortung übernimmt, muss bereit sein, einen Spagat zwischen Fröhlichkeit und Ernsthaftigkeit zu zeigen.

Haben Sie die Karnevalsgene an ihre Kinder weiter gegeben?

Baukhage: Nur bedingt. Zwei Kinder habe ich mit meiner Begeisterung nicht anstecken können. Unsere Tochter Eva aber dafür umso mehr. Sie ist Präsidentin der Karnevalsgesellschaft „Die Flüssigen“. Sie macht dort einen wirklich guten Job, was mich persönlich sehr freut.

Bereiten Sie sich auf eine Session vor?

Baukhage: Gedanklich, aber auch körperlich. Ab Weihnachten esse ich deutlich mehr, weil ich in der Hochphase der Session bis zu zehn Kilogramm abnehme. Obwohl ich schon so viele Jahre im Karneval unterwegs bin, bin ich dann immer noch so angespannt, dass ich kaum etwas essen kann.

Ist ihr Partykeller ein kleines Karnevalsmuseum?

Baukhage: Für mich ja, weil jedes Teil in mir Erinnerungen weckt. Hier hängen mehr als 1500 Orden an der Wand. Hier hin ziehe ich mich zurück, wenn ich in die Vergangenheit reisen und mich für die Zukunft vorbereiten will.

Und wie sieht die Zukunft aus?

Baukhage: Ich werde noch ein letztes Mal die Seniorensitzung der Stadtsoldaten leiten, weil mir diese Aufgabe all die Jahre besonders am Herzen gelegen hat. Im April wurde ich noch einmal für drei Jahre zum VBK-Vorsitzenden gewählt. Das ist definitiv meine letzte Amtszeit. Nach wie vor bin ich Präsident der Großen Dransdorfer und für einige kleiner Gesellschaften und Seniorenheime aktiv. Ich werde ab März 2020 wieder als Koch im Theaterstück das „Kölsche Hotel“ mitspielen, werde weiter Führungen in Mundart anbieten, werde als Sänger unterwegs sein und mehr Zeit in meinem Atelier verbringen und dort Figuren aus Wertstoffen und Verpackungsmüll bauen.

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