Die Millionenfalle, Teil XX Dubiose Baukosten-Explosion bis heute nicht aufgeklärt

BONN · Der Hirtenhund führt die Schafherde, um Gefahren von ihr abzuwenden - mal links, mal rechts herum. Vor allem hält er die Herde zusammen. Warum es mal mehr nach links, mal mehr nach rechts geht, weiß das Schaf nicht; es beugt sich, seinen Instinkten folgend, dem stärkeren Vierbeiner.

Modell und Wirklichkeit: Zurzeit wird die Heizung eingebaut, um den Bau gegen Minusgrade zu schützen.

Modell und Wirklichkeit: Zurzeit wird die Heizung eingebaut, um den Bau gegen Minusgrade zu schützen.

Foto: Volker Lannert

Eine ähnliche Herdenrolle scheint beim Bau des World Conference Center Bonn (WCCB) dem Rat der Stadt Bonn zugedacht. Zunächst beschlossen die gewählten Volksvertreter am 14. Dezember 2005 ein WCCB mit einem 352-Zimmer-Hotel für 139 Millionen Euro. Vier Jahre später, am 14. April 2009, wird ihnen von der Stadtverwaltung mitgeteilt, dass sie nur ein 185-Zimmer-Hotel für 139 Millionen bestellt hätten - auch deshalb würde das Projekt nun erheblich teurer.

Es gibt solche Fälle gründlicher Missverständnisse oder kollektiver Erinnerungsverluste. Aber eine Pressemitteilung der Stadt Bonn von Mitte Dezember 2005 steht bis heute im World Wide Web und stützt das Gedächtnis: 352 Zimmer für 139 Millionen. Gute Gründe, warum es nun anders sein soll, gibt es immer: erst links herum, jetzt rechts herum. Aber der Widerspruch ist so offenkundig, dass die Ratsherde bockte - in einer Mischung aus Verunsicherung und Aufstand. Gleichwohl haben Ratsfrauen und -herren bis heute den Nebel nicht lichten können.

Bleibt die Hoffnung Jürgen Nimptsch. Doch die angekündigte Transparenz-Offensive des neuen Oberbürgermeisters scheint eine zeitliche Schallmauer zu haben: Die Transparenz beginnt erst ab dem 21. Oktober 2009. Der Tag, an dem Nimptsch sein Amt antrat. Auch die fünfseitige öffentliche Mitteilungsvorlage 0912648 zum WCCB für die nächste Ratssitzung am 26. November enthält keinen Hinweis darauf, dass Rat und Bürger nun aufgeklärt würden.

Da es nicht um 3,50 Euro geht, sondern um eine Baukosten-Steigerung um 60, vielleicht letztlich um 100 Millionen Euro bis zum ersten Kongress im WCCB, bleibt offenbar nur der den 315.000 Bürgern verpflichtete Rat als Hoffnungsträger. Tatsache ist, dass - nach Aktenlage - die Hotelzimmer-Zahl die "Kostenexplosion" sogar gedämpft haben müsste, weil nach GA-Informationen nur 316 Zimmer gebaut worden sind.

Die Hotelzimmer-Nummer bildet mit 36,3 Millionen Euro aber das Herzstück der dubiosen 60 Mehr-Millionen. Die dazu recht mutige Beweisführung stammt vom Architekten Young-Ho Hong, dem die - inzwischen insolvente - Baufirma SMI Hyundai Europe GmbH (Berlin) gehört.

Es bleiben Fragen: Warum hat die Stadtverwaltung Hongs Begründung übernommen? Warum lässt sie den Rat mit seinen Fragen bis heute gegen eine Mauer des Schweigens laufen? Oder kompensiert die unlogische Begründung einen Leichtsinnsfehler im Projektvertrag zwischen Stadt und dem Bauherrn UN Congress Center Bonn GmbH (UNCC)?

Hinter dem dort Niedergeschriebenen könnte sich (der GA berichtete/Folge VIII) tatsächlich ein 185-Zimmer-Hotel verbergen. Dann würde im Projektvertrag etwas stehen, was der Rat nicht beschlossen hat. Eine weitere Variante: Waren die 139 Millionen Euro, davon 100 Millionen "reine Baukosten", ein politischer Preis, um das Projekt gleitfähiger auf seiner Reise durch die Gremien zu machen?

Dann ließe sich vermuten, dass es von Anfang an ein stilles Agreement zwischen den Beteiligten, den zahlenden und bauenden, gab. Indes verdichten sich nach GA-Informationen die Anzeichen, dass zumindest ein Teil der Baukostenexplosion von einer chaotischen Planung verursacht wurde.

Am Anfang ist der Boden. Also das Medium, auf dem unter anderem ein 17-stöckiges Hotel errichtet werden soll. Normalerweise liefern von Vater Rhein abgelagerte Kies und Kiessande einen sehr guten Baugrund für aufzunehmende Lasten. Davon profitierte auch das Fundament des Post-Towers, ebenso andere Bauten in Rheinnähe.

So vertraute auch UNCC-Geschäftsführer Man-Ki Kim, bei dem als Bauherr das Gründungsrisiko lag, bei seinem vom Bund überlassenen Grundstück auf Kies-Ablagerungen. Doch tatsächlich spielte er durch die Einsparung eines Bodengutachtens russisches Roulette. Eine geologische Verwerfungslinie führt exakt unter dem WCCB-Grundstück hindurch - und dazu, dass die Bauleute hier nur Treibsand fanden. Sie bohrten und buddelten immer tiefer und mit jedem Meter wuchs das Entsetzen: Erst in rund 140 Metern Tiefe fand sich tragfähiger Grund.

Hätte man es bei der kalkulierten 25 Zentimeter dicken Bodenplatte und ein paar Bohrpfählen belassen, hätte das spätere WCCB Naturgewalten fürchten müssen. Berechnungen kamen zu dem Ergebnis: Ein starkes Rhein-Hochwasser hätte zwar den Boden durchweicht, das Hotel aber nicht gefährdet. Erst wenn man das Hochwasser-Szenario mit einem schwachen Erdbeben der Stärke 3,3, wie es im Rheinland gelegentlich auftritt, kombiniert, würde das WCCB-Hotel umfallen - und womöglich mitten ins Kongresszentrum stürzen.

Folge: Zusätzliche Baukosten von rund einer Million Euro. Aus einer normalen Bodenplatte wurde ein Koloss mit einem Durchmesser zwischen zwei und vier Metern. Darin verschwand nach GA-Informationen das gesamte für 17 Stockwerke geplante Bewehrungsmaterial: Es brauchte rund 700 Tonnen mehr Eisen und Stahl, dazu etwa 3 500 Kubikmeter mehr Beton. Von diesem kostspieligen Malheur steht zum Beispiel kein Wort im Baukostenexplosions-Begründungspapier.

Wer unter den bisher am WCCB werkelnden Firmen nachfragt, erlebt Menschen, aus denen es im Kokon der Vertraulichkeit nur so sprudelt. Aber die Handwerker scheuen die Öffentlichkeit, weil sie hoffen, im Rahmen der WCCB-Fertigstellung doch noch einen Anschlussauftrag zu erhalten. Tenor: Hong hatte zuvor nie ein solch großes Projekt gestemmt und war überfordert. Es sei, so ein Informant, "mindestens ein Jahr zu früh losgebaut worden". Vielleicht auf politischen Druck? Weil der Landeszuschuss in Höhe von rund 36 Millionen Euro zurückgezahlt werden muss, sollte der Bau nicht Ende 2009 vollendet sein?

Offenbar wurde nicht nach einem fertigen Plan gebaut, sondern während des Bauens geplant. Ein Indiz dafür sind auch die Treppenläufe des Hoteltrakts. Bei einem solch symmetrischen Bau erwartet man zumindest in Teilen identische Beton-Fertigteile, doch bei den weit mehr als 100 Treppen handelt es sich nach GA-Informationen meistens um Unikate.

Zwischendurch fällt immer wieder der lange Name für ein eher alltägliches Bauteil: Gipskartonständerwerkwand. Die wurden erst einmal nur einseitig beplankt gesetzt, weil die Elektro-Planung fehlte. Leitungen und Steckdosen sollten später implantiert und erst dann die Gipswand geschlossen werden. Doch da der Bau noch offen war, drang Feuchtigkeit ein. Eine folgenschwere Kettenreaktion: Gips zieht Wasser, quillt auf, verliert seine Festigkeit. Konsequenz: Zahlreiche Gipskartonständerwerkwände mussten herausgerissen, teuer entsorgt und dann mit Elektro-Planung neu gesetzt werden. Auch dazu keine Zeile im Begründungspapier.

Zugleich begann Hong an anderen Stellen einzusparen. So sollen etwa Leerrohre fehlen, was gerade Insolvenzverwalter Christopher Seagon prüfen lässt. Durch sie werden in Gebäuden der Neuzeit normalerweise die EDV-, Telefon- und andere Leitungen gezogen. Stattdessen gibt es im WCCB preisgünstige Aufputztechnik. Wie in den 50er- und 60er-Jahren.

Oder die Hotel-Außenfassade: Sie sei, so ein Informant, "revolutionär vereinfacht" worden. Am Kongresszentrum selbst sei auf der Seite zur Dahlmannstraße die Außenwand mit Beton und der physikalisch nachteiligen Farbe Anthrazit errichtet worden. Verheerend: Die Sonne heizt dunkle Flächen mehr auf als helle. Dann wäre es mehr als unglücklich, wenn, wie Handwerker berichten, Dehnungsfugen fehlen. So wären Schäden am Porenbeton programmiert.

Ein anderes Thema: Baubegleitung und -kontrolle durch Stadt und/oder Sparkasse. Sie war, sagen GA-Informanten, lau und lax, was direkt in den Schlamassel führte und offenbar die Schleusen für eine gewisse Willkür und Selbstbedienung öffnete. Die Sparkasse KölnBonn hatte für einen externen Revisor plädiert, aber ihr Mit-Eigentümer, die Stadt Bonn, lehnte ab.

Statt dessen sollte das Städtische Gebäudemanagement im Auftrag des Kreditgebers das bauliche Werden kontrollieren. Letztlich bestand der kontrollierende Außenposten, so GA-Informanten, in einem Sachbearbeiter des Ordnungsamtes. Mit dem hätten Hongs Leute "Katz und Maus" gespielt, und manchem tat der Mann ob der "totalen Überforderung" leid.

Oder das Auszahlen des Sparkassen-Kredits nach Baufortschritt: So habe die SMI Hyundai Europe GmbH eines Tages rund 1 200 Quadratmeter Fliesen legen und das Ganze fotografieren lassen. Das Bild sollte dokumentieren, dass nun alle Fliesen gelegt seien und das Geld für das gesamte Fliesengewerk auszahlungsfähig sei. Bei einem 316-Zimmer-Hotel ist da leicht eine siebenstellige Summe fällig. "Später haben sie die Fliesen für das Foto", so der Informant, "wieder herausgerissen, weil die Elektroleitungen dahinter noch nicht verlegt waren." Ein Taschenspieler-Trick.

Der Informant glaubt, dass Hongs Firma oder der Bauherr, die UNCC, anfangs einige große Dankeschön-Zahlungen an Personen leisten musste, die dem legendären Kim und dem "Investor" SMI Hyundai Corporation zuvor den Weg zu den öffentlichen Millionen geebnet hätten. Das bestätigt indirekt auch die Staatsanwaltschaft, wonach Hong gestanden hat, "Geld ohne Gegenleistung" an den Investoren-Auswähler Michael Thielbeer überwiesen zu haben.

An wen noch, ist offen. SMI-Hyundai-Anwalt Ha-S. C. soll allein mehr als 1,5 Millionen Euro Honorar erhalten haben. So hatte Hong von Anfang an Ebbe in der Baukasse. Und dass zum Schluss Geld fehlen würde, zeichnete sich früh ab.

Ein weiterer Staubsauger für WCCB-Millionen könnte, so seltsam es zunächst erscheint, 2 000 Kilometer Luftlinie südlich vom WCCB liegen - im Land von Gaddafi. Zu dessen milliardenschweren Infrastruktur-Projekten hatte längst auch Kim Witterung aufgenommen. Bald erhielten er und seine Company SMI Hyundai einige Aufträge. Für das Bonner WCCB soll damit, so Insider, eine verhängnisvolle Entwicklung begonnen haben. Es sei nicht unwahrscheinlich, dass eines Tages Kims zeitgleiches WCCB-Libyen-Engagement auch den Verbleib der einen oder anderen Bonner Baumillion erklärt.

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