Bombenfund am Bonner Hauptbahnhof Drei Szenarien - Die Frage nach den Tätern

BONN · Der General-Anzeiger stellt drei mögliche Szenarien dar. Einzeltäter oder Gruppe? Täter mit Verbindungen zur radikalislamischen Gruppe Al-Shabaab in Somalia? Profis oder Laien? Ein islamistischer Racheakt oder vielleicht doch die Tat von Islamhassern, die den Anschlag gezielt "islamistisch-terroristisch" planten, um pauschal Muslime in Misskredit zu bringen?

Tagtäglich gelangen nach dem gescheiterten Attentat vom Bonner Hauptbahnhof vereinzelte, nicht selten sich widersprechende Informationen oft aus zweiter Hand an die Öffentlichkeit; Informationen, die eher verwirren, als dass sie ein nachvollziehbares Bild des Geschehens ergeben. Welche Szenarien sind in Bezug auf die Täter nach dem bislang bekannten Ermittlungsstand denkbar?

Szenario 1: Es war die Tat einer somalischen Gruppe. Als Tatverdächtigen bringen die Ermittler seit Samstag wieder Omar D. ins Spiel. Die Polizei hatte ihn bereits am Dienstag vorübergehend in Gewahrsam genommen. Omar D. könnte der Dunkelhäutige sein, der am Montag gegen 13 Uhr auf Bahnsteig 1 die Tasche mit der Bombe abgestellt hat. Es heißt, er habe wie sein möglicher Komplize Abdirazak B. Verbindungen zu den islamistischen Al-Shabaab-Milizen in Somalia und gelte als wichtiger Akteur einer Bonner Gruppe namens "Al Shabab".

Über diese gibt es in einem internen Bericht des Landeskriminalamts von 2010 ausführliche Beschreibungen, auch über Aufenthaltsorte und Aktivitäten der Mitglieder in Bonn. Abdirazak B., der wie Omar D. aus Somalia stammt und nach dem ebenfalls gefahndet wird, hält sich aber nach GA-Informationen mit großer Wahrscheinlichkeit in Somalia auf, wo er möglicherweise in den Reihen der Al-Shabaab-Milizen kämpft.

Schon 2008 sollen er und Omar B. versucht haben, sich in ein Ausbildungslager der Al-Shabaab-Milizen abzusetzen. Doch ein plausibles Motiv für einen Anschlag ist laut einem Islamismus-Experten, mit dem der GA sprach, schwer nachzuvollziehen. Die in die Defensive geratenen Shabaab-Milizen seien in Somalia derzeit viel zu sehr mit ihrem Kampf gegen die Regierungstruppen beschäftigt, als dass sie von dort aus Anschläge im Ausland planen und durchführen könnten, meinte der Experte.

Denkbar sei aber, dass Abdirazak B. von Somalia aus weiter Kontakt mit Omar B. in Bonn hatte, und sie die Tat gemeinsam als eine Art Solidaritätsakt planten. Nach dem Motto: "Ihr kämpft in Somalia gegen die Ungläubigen, wir kämpfen in Deutschland." Dass einer der Hauptverdächtigen hellhäutig ist, muss diesem Szenario nicht widersprechen: Es gibt eine Reihe von deutschen Konvertiten in der Islamisten-Szene.

Szenario 2: Warum ein Anschlag ausgerechnet in Bonn? Denkbar ist auch, dass das Attentat von einem oder mehreren Tätern mit Blick auf die Ausschreitungen vom 5. Mai in Lannesdorf verübt werden sollte: Als Rache am "deutschen Staat" und an "den Nichtmuslimen". Denn aus Sicht der randalierenden Salafisten haben "der deutsche Staat" und "die Bonner Polizei" die Anti-Islam-Demonstration der rechtsextremen Splitterpartei Pro-NRW in Lannesdorf überhaupt erst möglich gemacht.

Polizisten schützten dieser Sichtweise zufolge die Demonstranten, die den Propheten Mohammed mit ihren Karikaturen beleidigten. Den Hass auf das "Unrechtssystem" weiter angestachelt haben könnte die Tatsache, dass anschließend die Bonner Staatsanwaltschaft mehr als 200 Verfahren gegen teilnehmende Salafisten einleitete. Eine ganze Reihe von ihnen ist bereits verurteilt zu Sozial- über Geld- bis hin zu Haftstrafen dafür, dass sie "ihren Propheten verteidigt haben", so die Sicht der radikalen Muslime. Viele andere warten auf ihre Prozesse. Somit ist denkbar, dass hasserfüllte Täter "ein Zeichen in Bonn" setzen wollten: Sie luden sich eine Bauanleitung aus dem Internet herunter - "dafür braucht es keine Insiderkenntnisse", so Fachleute zum GA - und bauten eine Bombe.

Dass diese nicht explodierte, könnte ein weiterer Hinweis darauf sein, dass nicht "professionelle Terroristen", sondern Laien am Werk waren. Denn auch die Durchführung mutet merkwürdig dilettantisch an: Eine in einer auffälligen blauen Tasche deponierte Bombe mitten auf einem belebten Bahnsteig kann leicht auffallen. In der Tat meldeten Zeugen die Tasche der Polizei. Umgehend wurde der Bahnhof evakuiert.

Bekräftigt wird dieses Szenario durch Informationen des WDR über einen möglichen Hintermann: Dieser soll aus Langenfeld, einer Stadt in der Nähe von Solingen, stammen und Verbindungen zu Al-Kaida haben.

Bis Juni trafen sich in Solingen in einer Moschee des mittlerweile verbotenen Vereins Millatu Ibrahim muslimische Extremisten, die auch Kontakte nach Bonn hatten. Es besteht der Verdacht, dass der Mann aus Langenfeld aus dem Umfeld von Millatu Ibrahim stammt. Am 1. Mai war es bereits in Solingen zu Ausschreitungen gekommen, als radikale Salafisten die Polizei angriffen, die die Anti-Islam-Demonstration von Pro-NRW sichern wollte. Dabei erlitten drei Beamte Platz- und Schlagwunden.

Szenario 3: Nicht auszuschließen ist aber weiterhin, dass die Bombe doch von anderen Fanatikern als Islamisten gebaut und deponiert wurde. Neben der Möglichkeit, dass es Täter waren, die ihren wie auch immer gearteten Hass ausleben wollten, könnte es auch ein (fingierter) Anschlag aus der rechten Szene der Islamhasser gewesen sein: Um die Ermittlungsbehören auf die falsche Fährte zu locken, bauten sie eine Bombe islamistisch-terroristischer Machart.

Bei der Durchführung der Tat könnte es der hellhäutige Tatverdächtige vom Video im McDonald's geschafft haben, die Tasche mit der Bombe einem Dunkelhäutigen unterzujubeln. Als dieser merkte, welch brisanten Inhalt die Tasche enthält, schob er sie den jugendlichen Zeugen vor die Füße und rannte weg. ga

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