Sperrung von Reuterstraße und Belderberg Diese Folgen hätten Fahrverbote für den Bonner Verkehr

Bonn · Die Stadtverwaltung hat die Effekte von Sperrungen analysiert: Der Verkehr auf der Reuterstraße nähme demnach kaum ab und den Ausweichverkehr zieht es auf den Talweg.

Es gibt Veranstaltungen, die finden auch ohne einen statt. Zum Beispiel, wenn vor dem Oberverwaltungsgericht Münster an diesem Mittwoch und möglicherweise auch noch am Donnerstag über Fahrverbote für bestimmte Autos in Bereichen der Aachener Innenstadt entschieden wird. Ursprünglich wollten die Richter in derselben Verhandlung auch über Reuterstraße und Belderberg in Bonn entscheiden.

Dann aber entschieden sie sich vor drei Wochen überraschend, doch erst den neuen Luftreinhalteplan für Bonn abzuwarten. Dieser soll Mitte August vorliegen. Somit hätten die Verwaltungsrichter beim ursprünglichen Zeitplan anhand einer Faktenlage entschieden, die zwei Wochen später schon wieder überholt gewesen wäre. Mit einem Nachholtermin für Bonn lassen sich die Juristen bislang Zeit; erst wollen sie das Schriftstück studieren.

Somit wird der neue Luftreinhalteplan zum vorerst letzten Strohhalm, an den sich die Halter der meisten Dieselautos und bestimmter Benziner klammern können. Zu erwarten ist, dass er Prognosen zur künftigen Stickstoffdioxidbelastung an den beiden betroffenen Straßen enthält und somit zu einer anderen Lagebeurteilung führt als im November des vergangenen Jahres. Da hatte bekanntlich das Verwaltungsgericht Köln die Stadt Bonn auf Klage der „Deutschen Umwelthilfe“ zum 1. April zur Umsetzung von Fahrverboten verpflichtet – und zwar auf Grundlage des bestehenden Luftreinhalteplans. Die Berufung durch das Land hat seitdem aber aufschiebende Wirkung.

Sollte die Prognose des Landesumweltamtes im Luftreinhalteplan nun zu dem Ergebnis gelangen, dass 2020 alle Grenzwerte eingehalten werden, ergäbe ein Fahrverbot für die wenigen verbleibenden Monate mutmaßlich keinen Sinn. Andererseits sieht sich die Stadtverwaltung für den Fall gewappnet, dass sie doch verhängt werden. Das Anschrauben der entsprechenden Schilder, so ist zu hören, sei dabei das geringste Problem.

Fahrverbote: Stadtbaurat reagiert unaufgeregt

Auffallend unaufgeregt reagiert durchweg auch Stadtbaurat Wiesner, wenn er auf das Thema Fahrverbote angesprochen wird. „Die bisherigen Gespräche stimmen uns zumindest optimistisch, dass es eine Prognose geben wird, die uns Fahrverbote erspart“, sagte er kürzlich im Gespräch mit dieser Zeitung. Die Stadtverwaltung verfolge das Ziel, dass auch die „weichen Faktoren“ in den Prognosen Niederschlag finden: wie etwa das Projekt Lead City, das Fahrradmietsystem und das Parkleitsystem, aber auch die Angebotsverbesserungen im ÖPNV, die schon erfolgt sind und Ende August erweitert werden. In diesem Sinne blickt man im Stadthaus seit einem halben Jahr auf die Stadt Kassel, der genau solche „weichen Faktoren“ im Luftreinhalteplan ein Fahrverbot erspart haben.

Doch auch Helmut Wiesner weiß: Die Entscheidung trifft am Ende das Gericht, was Fahrverbote weiterhin möglich macht. Erwartbar ist ohne viel Fantasie bereits jetzt, dass ein streckenbezogenes Fahrverbot die betroffenen Autofahrer – wenn nicht zu einem Neuwagen – auf Ausweichstrecken drängt. Die Stadtverwaltung hat das Szenario schon einmal durchspielen lassen. Und so kommt das Ingenieurbüro VSU mit Sitz in Köln zu dem Ergebnis, dass andere Straßen zum Teil stark belastet würden und es zu einer Erhöhung der Gesamtfahrleistung im Stadtgebiet kommen wird.

Auch die von ihr identifizierten Ausweichstrecken sind in die Fortschreibung des Luftreinhalteplans eingeflossen. Für den Fall, dass Belderberg und Reuterstraße von Fahrverboten belegt werden, rechnen die Verkehrs- und Stadtplaner aus Köln damit, dass täglich 172.000 Kilometern mehr in der Stadt gefahren würden – diese Strecke entspricht dem vierfachen Erdumfang. Die Gesamtfahrleistung würde damit von 6,183 Millionen auf 6,355 Millionen Kilometer am Tag steigen. Für die Variante, in der nur die Reuterstraße gesperrt wird, betrage die Mehrfahrbelastung rund 155.000 Kilometer pro Tag.

Bonner Talweg als Ausweichstrecke für Reuterstraße

Als Ausweichstrecke für die Reuterstraße müsste nach Einschätzung des Büros vor allem der Bonner Talweg herhalten. Dort, so die Stadt, würde „das Verkehrsaufkommen abschnittsweise von gut 17.000 auf fast 20.000 Fahrzeuge am Tag ansteigen. Darüber hinaus würde sich auch der Anteil der besonders schadstoffreichen Autos von 28 auf 42 Prozent erhöhen“.

Mit „deutlichen Verkehrszunahmen“ rechnet die Verwaltung auf dem Wittelsbacherring zwischen Endenicher Straße und Rottenburgstraße sowie auf der Endenicher Straße (Abschnitt Wittelsbacherring bis Jonas-Cahn-Straße).

Spannend bleibt unterdessen die Frage, welche Auswirkungen die prognostizierten Verlagerungseffekte auf die Stickstoffdioxidbelastung in den betroffenen Straßen hätten. Auch hierzu werden vom Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz noch Zahlen erwartet.

Zweck der möglichen Fahrverbote wäre es bekanntlich, den zulässigen Grenzwert von 40 Mikrogramm Stickstoffdioxid pro Kubikmeter Luft künftig dort einzuhalten, wo er bislang überschritten wird. Genau das aber könnte nach Einschätzung des Kölner Planungsbüros ausgerechnet durch Fahrverbote konterkariert werden: Demnach würde sich bei einer alleinigen Sperrung der Reuterstraße die B 9 als Alternativroute anbieten – inklusive des Belderbergs, was die für das Jahr 2020 prognostizierte Einhaltung des Grenzwerts dort wieder gefährden würde, wie die Stadt kürzlich erklärte.

Und noch eine weitere kuriose Folge hätte laut Verwaltung ein Dieselfahrverbot für die Reuterstraße: Es würde nach der Berechnung von Fachleuten zwar rund 25 Prozent der rund 40.000 Fahrzeuge betreffen, die dort täglich verkehren. Der tägliche Verkehr würde aber nur um 15 Prozent abnehmen. Dies liegt daran, dass die Zahl der Autos, die die Reuterstraße befahren dürfen, aufgrund des besseren Verkehrsflusses um rund 3000 steigen würde. Die Reuterstraße würde also durch ein Dieselfahrverbot für all jene, die dort fahren dürfen, wieder attraktiver. Im Stadthaus wurde gedanklich noch eine ganz andere Variante durchgespielt: Die Leitung des Nord-Süd-Verkehrs durch Bonn über beide Rheinbrücken und die rechtsrheinische Autobahn. Ein solches Leitsystem wiederum könnte nur das Land organisieren.

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