Als Norddeutscher unterwegs im Rosenmontagszug Die Stadt, ein riesengroßer Spielplatz

Bonn · Der Norddeutsche an sich neigt ja nicht zum Überschwang. Einladungen zum Rosenmontagszug sind in Orten wie Hamburg oder Flensburg eher nicht zu erwarten.

 GA-Chefredakteur Helge Matthiesen auf dem Wagen.

GA-Chefredakteur Helge Matthiesen auf dem Wagen.

Foto: barbara frommann

Der Norddeutsche achtet immer auf die richtige Distanz. Das ist im Rheinland grundsätzlich anders, denn Karneval lebt von der freundlichen Grenzüberschreitung. Die muss natürlich erst mal eingeübt werden.

[kein Linktext vorhanden]Als Neu-Rheinländer mit norddeutschem Migrationshintergrund ist man da schnell im Visier. Wer leichtfertig Neugier signalisiert, fährt Ruckzuck als Praktikant auf dem Wagen des Festausschusses mit. So beginnen Integrationskurse in rheinische Lebensart. Merke: Wer Kamelle schmeißt, kann kein ganz schlechter Mensch sein; also muss der Neue das jetzt lernen. Also 'rauf auf den Wagen.

Dieser sieht ein wenig aus wie ein Schiff. Da fühlt man sich als Norddeutscher doch gleich viel wohler. Praktikanten sind auf nette Kollegen angewiesen. Vizepräsident Stephan Eisel als Chef des Wagens und seine Crew sind da genau die richtigen: "Zieh Dich warm an, zwei paar Socken mindestens, lange Unterhose sowieso. Trink vorher nicht zu viel, es gibt keine Toilette an Bord, und bitte die Kamelle so einteilen, dass sie für die ganze Strecke reichen." Norddeutsche schätzen klare Ansagen: "AyAy Käpt'n" - und schon geht die Fahrt los.

[kein Linktext vorhanden]Rosenmontag in Bonn, das ist ein Familienfest. Man trifft die reichen und die armen Verwandten, die Alten, die Jungen und die ganz Kleinen, die neuen Nachbarn aus aller Welt, die Trinker und die Nichttrinker - und Norddeutsche, die das alles gar nicht fassen können. Alle sind gut drauf und freuen sich, dass sie da sind. Bonn leuchtet und der Jubel will kein Ende nehmen. Die Stadt ein riesengroßer Spielplatz für alle, ein wenig wie ein Kindergeburtstag von gigantischer Größe. Vergessen ist das Thema Terror, vergessen auch alles andere, was uns ärgert oder ängstigt. Ein echter Feiertag, Ausnahmezustand und alle machen mit.

Bei so viel Begeisterung ist Obacht angesagt. Als Norddeutscher versteht man das. "Immer schön langsam", sagt der Käpt'n irgendwann, der hier ja Vizepräsident heißt. Nicht zu viel zu schnell werfen, der Zug ist noch lang. Aber wer kann schon Kindern etwas abschlagen, denen man deutlich ansieht, dass ihnen sonst niemand etwas schenkt? Den sympathischen Frauen mit Kopftuch oder dem kleinen Jungen mit der dunklen Haut? Und so fliegen die Haribo-Tütchen und Kaubonbons aus vollen Händen in die Menge, und wer besonders schön Alaaf ruft, bekommt ein bisschen mehr. Die hübsche, kostümierte Schöne im ersten Stock natürlich auch. Noch so ein Lächeln, dass man nicht vergisst.

[kein Linktext vorhanden]Viel zu schnell sind die Kisten und Tüten leer, ist der Wagen am Ziel und der Rosenmontagszug vorbei. Integrationskurs bestanden? Der Praktikant muss ein dreifaches Alaaf auf Bonn, den Karneval im allgemeinen und den Rosenmontag im besonderen ausbringen. "Nicht schlecht" sagt der Käpt'n. Das ist für jeden Norddeutschen Lob genug.

Zug-Praktikant Helge Matthiesen ist seit dem 1. Januar Chefredakteur des General-Anzeigers.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Erfolg bemisst sich an Taten
Kommentar zur Bonner Klimaplan-Bilanz Erfolg bemisst sich an Taten
Zum Thema
Aus dem Ressort