Die Millionenfalle, Teil XXXVII

Seagon, Stadt, Sparkasse: Keiner kann ohne die anderen machen, was er willDas Tauziehen um die Zukunft des WCCB kostet Zeit, und weil Zeit Geld kostet, wird der Stadtrat zunehmend nervös. Die favorisierte Lösung "Heimfall" könnte sich für die Stadt wirtschaftlich als Holzweg entpuppen. Über Zwänge und Perspektiven im kompliziertesten Insolvenzfall Deutschlands.

Die Millionenfalle, Teil XXXVII
Foto: ga

Bonn. Trost im weltweiten Tollhaus öffentlicher Verschwendung findet man immer: Verglichen mit den größten Baukostenexplosionen bei Infrastrukturprojekten ist das World Conference Center Bonn (WCCB) geradezu ein Vorzeigebau.

Spitzenreiter ist das Opernhaus von Sydney, das - mit achtjähriger Verspätung - 1973 eröffnet wurde. Baukosten: plus 1 400 Prozent. Dem können die jüngsten deutschen Verteuerungsskandale kaum das Wasser reichen: Der Freizeitpark am Nürburgring nicht, und selbst die Hamburger Elbphilharmonie mit plus 320 Prozent schrumpft da zu Peanuts.

Was das WCCB letztlich den Steuerzahler kostet, steht noch in den Sternen. Aber im weltweiten Vergleich, das steht fest, bringt Bonn es auch nur auf Erdnuss-Niveau. Weil die Verschwendung von Steuerzahlergeld nicht aufhört, ist Bent Flyvberg ein gefragter Ökonomie-Professor. Der Däne erforscht von der Universität Oxford aus, warum Infrastrukturprojekte weltweit - "in neun von zehn Fällen" - von Kostenexplosionen und Zeitverzögerungen betroffen sind.

Was Politiker gerne als Naturgesetz verkaufen, erklärt Flyvberg im Forschungsmagazin "TechnologyReview" des renommierten Massachusetts Institute of Technology (MIT) in Cambridge (USA) mit "der Kultur der Fehlinformation". Nach 258 weltweiten Objektstudien resümiert Flyvberg: Politiker wollten "sich ein Monument bauen", Geschäftemacher "Geld machen", und auch Architekten liebten es, "komplizierte Projekte zu verwirklichen".

Das WCCB für Einsteiger: Was bisher geschah Die Stadt Bonn will sich als UN-Stadt profilieren und beschließt 2003 den Bau eines Weltkongresszentrums (WCCB) über einen Investor. Es folgen Investor-Auswahlverfahren, und Projektvertrag.

Partner der Stadt wird 2005 die SMI Hyundai Corporation (Reston/USA), zunächst alleiniger Gesellschafter der UN Congress Center GmbH (Bauherr). Das Projekt inklusive eines Hotels mit 350 Betten soll 139 Millionen Euro kosten. Der Bund gibt das Grundstück, das Land NRW einen 36-Millionen-Zuschuss und die Sparkasse KölnBonn einen über die Stadt abgesicherten Kredit von zunächst 74, dann 104 Millionen.

Der Investor soll 40 Millionen Euro Eigenkapital beisteuern. Nach dem Spatenstich (November 2006) gerät das WCCB in Schieflage: wegen chronischer SMI-Eigenkapitalnot und einer Kostensteigerung auf bis zu 200 Millionen Euro.

SMI bringt 2007 über neue Geldgeber (Arazim, Honua) vertragswidrig neue Hauptgesellschafter in die UNCC, was einen Eigentümerstreit programmiert. Die Baukostenexplosion bleibt rätselhaft, eine tatsächliche Kostenkontrolle fehlt.

Im September 2009 fällt das Projekt in sich zusammen: Einer Verhaftungs- folgt eine Insolvenzwelle. Die Staatsanwaltschaft ermittelt - und Stadt, Insolvenzverwalter und Sparkasse suchen seitdem nach einer WCCB-Zukunft. Bisher vergeblich.

Flyvberg spricht von "fehlgeleitetem Optimismus" und "strategischen Falschangaben" zu Projektbeginn; die Kosten würden bewusst unterschätzt und die wirtschaftlichen Effekte der Immobilie vor Ort überschätzt, damit ein Projekt genehmigt werde.

Nicht alles trifft davon auch auf das WCCB zu. Bonn schlägt Hamburg und Nürburgring jedoch in einem wesentlichen Punkt: Die entstandenen Rechtsbeziehungen zwischen öffentlicher Hand und privaten GmbHs haben im Worstcase - und dieser "schlechteste Fall" ist eingetreten - die zurzeit komplizierteste Insolvenz Deutschlands geschaffen.

Dazu hat die Rezeptur für Unübersichtlichkeit fast kein Gewürz ausgelassen: Korruption, Heuschrecken, Steuerparadiese, Insolvenzen, Bestechlichkeit, Betrug, geheime Bürgschaften, Heimfall-Szenario, kriminelle Machenschaften, Briefkastenfirmen, lokale Verstrickungen (bekannte und noch nicht enthüllte), internationale Transaktionen, dazu ein lax eingesetzter Prüfungsstempel mit dem Urteil "sachlich und rechnerisch richtig".

Ein seltsamer Humus am Rhein hat es ermöglicht: Bonn hat einen spannenden Wirtschaftskrimi geschrieben. Aber wer schreibt ihn zu Ende? Einmal der Staatsanwalt, zum anderen Stadt und Insolvenzverwaltung. Die Perspektiven sind unterschiedlich: Der Bürger empfindet das WCCB als einen "Riesen-Misthaufen", und was südkoreanische Selbstbereicherer als "Götterspeise" wahrnehmen, erscheint Juristen als "Wackelpudding".

Wie man es auch nennt: Es erleichtert nicht die Übersicht - weder für Ermittler oder Kommunalpolitiker noch Leser der GA-Serie "Millionenfalle". Die Konstellationen führen letztlich dazu, dass selten das Projekt selbst profitiert: Während des WCCB-Planens und -Bauens waren es parasitäre und korrupte Kreise, die Liquidität abschöpften. Heute müssen infolge der "zunehmenden Komplexität der Vorgänge" (Mitteilungsvorlage 1011206 für den Stadtrat) externe Berater beschäftigt werden.

Getreu dem Kalenderspruch, dass guter Rat teuer ist, beraten sie seit September 2009 für 400 000 Euro pro Monat. Dazu Baustillstandskosten von monatlich durchschnittlich 250 000 Euro. Weil eine andere Weisheit - Zeit ist Geld - auch zutrifft, wird der Rat immer nervöser. Er muss Schwimmbäder schließen und Steuererhöhungen beschließen. Das müsste er auch ohne WCCB. Trotzdem werden für jedes Stadtratsmitglied Bürgergespräche über den Sinn und Unsinn einer Einsparung jetzt schwieriger.

Seit Monaten wird der "Heimfall" (die Rückübertragung von Grundstück samt Aufbauten an die Stadt) als erstrebenswerte Zukunft diskutiert. Doch der Heimfall ist nur eine Option, die im Projektvertrag zwischen UNCC und Stadt steht. Mehr nicht. Als Ausgleichsleistung müsste die Stadt "70 Prozent vom Verkehrswert" (abzüglich des anteiligen NRW-Zuschusses) erbringen. Nicht aber an den Insolvenzverwalter Christopher Seagon, sondern nach Projektvertrag an die Sparkasse KölnBonn als Kreditgeber.

Heimfall-KostenrisikenWenn die Stadt selbst (und nicht der Insolvenzverwalter) das WCCB fertig baut, könnte es teurer werden. Kostenrisiken lauern insbesondere in den Bereichen:

  • EU-Vergaberecht
  • Mehrwertsteuer
  • Gewährleistung

Das hört sich übersichtlich an. Zugleich würde diese Zahlung - linke Tasche, rechte Tasche - die Bürgenhaftung (104 Millionen) der Stadt gegenüber der Sparkasse in gleicher Höhe verringern. Aber wie hoch und prüffest ist der Verkehrswert? 21 bis 35 Millionen haben die Berater von PriceWaterhouseCoopers (PWC) ausgerechnet - für ein fertiges WCCB.

Von 336 Viersterne-Plus-Quartieren ist nur Musterzimmer 123 bezugsfertig, zudem nur für Selbstversorger. Man bräuchte rund netto 75 Millionen bis zur Schlüsselübergabe, hat Seagon hochrechnen lassen. Wer zahlt und finanziert das? "Wir sind auf einem guten Weg", sagt Nimptsch, auch dann, wenn eine Gläubigerversammlung wieder mal ergebnislos endet.

Andererseits: Wenn nicht der OB, wer sonst soll Zuversicht verbreiten? Der größte Gläubiger Seagons bei der UNCC ist die Sparkasse mit 104 Millionen Euro. Davon sind durch erstrangige Grundschuld im Grundbuch nur 24 Millionen insolvenzfest abgesichert. Wer im Grundbuch an erster Stelle steht, erhält auch ohne Insolvenzverfahren bei Verkauf oder Zwangsversteigerung zuerst sein Geld zurück, aber nur in der eingetragenen Höhe zuzüglich Zinsen.

Damit sind die Hauptakteure genannt: Seagon, Sparkasse, Stadt - in alphabetischer Reihenfolge. Keiner kann ohne die anderen machen, was er will. Zudem hat jeder seine Zwänge: Die Stadt ihre Haushaltsnot und Bürgschaft; Sparkassen-Chef Artur Grzesiek rechtlich und wirtschaftlich keine Luft für Zugeständnisse; Seagon das Gesetz im Nacken - er muss das Beste für die Gläubiger herausholen, und je besser er das macht, desto mehr profitiert er selbst.

Eine vertrackte Situation. Sie riecht etwas nach ausweglos. Das Trio übt sich derweil im Tauziehen - und zieht nicht, wie es nötig wäre, an einem Strang. Es ruht somit nicht nur die Baustelle, sondern auch die Einigung darüber, wie sie wiederbelebt werden könnte. Als sei das alles noch nicht komplex genug, rotiert um das uneinige Planeten-Trio der unberechenbare Trabant "Arazim".

Die Investmentfirma war der letzte 94-Prozent-Gesellschafter der UNCC, die jetzt Seagon "gehört". Kim, stets in Geldnot, hatte Arazim die Anteile und damit wirtschaftlich das WCCB verpfändet. Das bliebe in der Insolvenz folgenlos, stände Arazim nicht auch noch mit 13,3 Millionen Euro im Grundbuch.

Mit Hilfe von Rangstellen geht es zu wie in einer Sporttabelle. Auf Platz eins steht die Sparkasse, dahinter der durch Auflassungsvormerkung gesicherte Heimfallanspruch der Stadt, danach erst Arazim. Aber sind die Ansprüche der "Heuschrecke" nicht längst durch die Rückzahlung von Kredit plus Wucherzinsen (60 Prozent) erfüllt?

Darüber könnte bei Verkauf der Grundstücke mit Aufbauten ein jahrelanger Rechtsstreit entstehen. Das glimmende Risiko ließe sich jedoch mit einer zu verhandelnden Millionenabfindung austreten. Keinerlei Erfolgsaussicht für Arazim besteht, wenn die zweitplatzierte Stadt ihr Heimfallrecht ausübt. Warum zögert dann die Stadt, wenn doch in diesem Fall die Ausgleichszahlung an die Sparkasse und nicht an Seagon geht und so ihre Bürgschaftsschuld mindert?

Die monatelange Hängepartie provoziert Fragen: Was empfehlen die OB-Berater? Von außen erscheint es so, als wären die Berater Pro-Heimfall-Vorbeter und alle anderen Nachbeter. Oder wollen sie nur die - für sie gewinnbringende - europaweite Ausschreibung begleiten? Oder trügt der Schein? Und der OB brütet gerade über einem ganz ausgeklügelten Coup?

Je mehr man den Heimfall unter Kostengesichtspunkten analysiert, desto weniger erscheint er als segensreiche Ausfahrt aus dem Debakel. Da ist die Vergütung im Heimfall für Seagon/UNCC - zur Debatte stehen nach GA-Informationen rund vier Millionen Euro - noch die kleinste Position. Auch müssten im Fall eines Weiterbaus unter städtischer Regie die Plannutzungsrechte von der insolventen Baufirma erworben werden.

Hierfür hat Seagon wiederum vier Millionen Euro angesetzt. Doch ein unkalkulierbares Risiko des Heimfalls wäre die Tatsache, dass in allen Rathäusern auch Brüssel sitzt: Die EU lauert auf Verstöße gegen ihr Vergaberecht. Seit dem 1. Januar 2008 gilt als Schwellenwert bei Bauaufträgen für eine europaweite Ausschreibung 5,15 Millionen Euro. Mit einem WCCB-Rest-Bauvolumen von mindestens 50 Millionen Euro säße Bonn in der Europafalle.

Zwar meint Brüssel, eine solche Ausschreibung würde kommunale Kostensenkungen bewirken, aber Brüssel behauptet Vieles, was der kommunale Praktiker vor Ort als Unsinn entlarvt. So wäre der externe Rechtsberatungsbedarf für eine europaweite Ausschreibung enorm, auch das reine Zeit-Invest. Sechs Monate mindestens. Die Baukostenstillstands-Uhr würde, dann allein EU-bedingt, um einige Millionen Euro weiterticken.

Aber es existieren Ausnahme-Paragrafen. Bonn müsste Brüssel nachweisen, dass die Befolgung des EU-Vergaberechts den kommunalen Schaden nur weiter vergrößert. Die Heimfall-EU-Schiene würde, wenn Bonn nicht in der "Seagon-Hülle" weiterbaut, auch in anderer Hinsicht problematisch. Neuer Generalübernehmer, neue Nachunternehmer: Sie müssten einen Teil der Gewerke der alten Handwerker vollenden, die heute Gläubiger bei Seagon sind. Wer haftet dann wofür? Bis wohin (Schnittstelle)?

Einen möglichen WCCB-Investor wird das interessieren: Kaufe ich mit Gewährleistung (Garantie) oder ohne? Das wird, wie beim Autokauf, den Kaufpreis beeinflussen. Die Vorstellung, dass ein Dritter in das WCCB ohne Mängelgarantie investiert, ist irreal. Deshalb stehen die 7,3 Millionen Euro der bisherigen Handwerker weiter auf der Tagesordnung.

Auch müssten "steuerrechtliche Risiken" noch geprüft werden, wurde dem Stadtrat vergangene Woche erklärt. Das naheliegende Risiko für die Stadt: Sie ist, wie jeder Privatmann, nicht umsatzsteuerabzugsberechtigt. Wer privat baut, bekommt die im Zementpreis enthaltene Mehrwertsteuer nicht zurückerstattet. Würde die Stadt also im Rahmen einer Heimfall-Lösung das WCCB selbst zu Ende bauen, würde es teurer: 19 Prozent von einem Netto-Restbaupreis von 75 Millionen wären ein Batzen.

Und bis alle Heimfall-Unterfragen verbindlich mit den Behörden und externen Rechtsberatern ausklamüsert sind, tickt die Baustillstandskosten-Uhr: mehr als 20 000 Euro täglich. Warum lässt die Stadt nicht den Insolvenzverwalter das WCCB schlüsselfertig vollenden? Keiner könnte es schneller (ohne EU-Risiken), mit Gewährleistungsgarantie und preiswerter, denn beim Weiterverkauf an einen Investor könnte dieser auch die Mehrwertsteuer aus dem Restbaupreis durchreichen.

Allerdings braucht Seagon dazu eine einvernehmliche Lösung mit Stadt und Sparkasse. Im Klartext: Seagon braucht die Stadt als Kreditnehmer, die Sparkasse als Endfinanzierer. Seagon und ein von ihm auszuwählender neuer Investor und Betreiber bedeuten jedoch neue, gefühlte Unwägbarkeiten, und die Stadt wollte nach dieser WCCB-Vorgeschichte eigentlich endlich vom Beifahrersitz ans Steuer wechseln.

Eine denkbare Ersatzlösung: Stadt und Sparkasse zahlen, führen Seagon aber das Lenkrad - und entscheiden bei der Investorenfrage. Auszutesten, wer am längeren Hebel sitzt, verzögert nur, was ohnehin naht: einen Kompromiss. Über allem thront der Zwang, auf der Zeitschiene nicht zu bummeln. Bund, Land und nicht zuletzt die Vereinten Nationen drängeln. Bonn kann sich keinen weiteren Irrweg erlauben.

Ein Zurück steht nicht zur Debatte: Der Titel "internationale Stadt" an sich sei ein Wirtschaftsfaktor, betont Nimptsch vor dem Stadtrat. Gerade für das in Bonn angesiedelte UN-Klimasekretariat "ist das WCCB unverzichtbar". Und dann sagt Nimptsch: "Der Konferenzsaal muss so schnell wie möglich fertig werden." Das könnte eine kleine Heimfall-Version schon einmal andeuten: Bonn baut nur die Konferenzstätte zu Ende und Seagon das Hotel.

Aber auch hier blieben die Risiken zwischen Brüssel, Mehrwertsteuer und Mängelgarantie. Sie wären nur etwas kleiner. Möglicherweise entpuppt sich auch der gesamte Heimfall als Holzweg, Wer mit der Google-Wünschelrute nach dem Begriffspaar "Reinfall Heimfall" sucht, erhält in 0,28 Sekunden 256 Fundsachen.

Peter Finger, Sprecher der Grünen, spricht im Stadtrat über seine Befürchtung, wenn das Beraten und Warten weiter anhält: "Die Geduld der Bürger geht bald zu Ende." Mancher Bonner sagt schon "Kaiserbau, die zweite". Bauunternehmer Franz Kaiser hatte 1973 an der A59 in Troisdorf einen 18-Stockwerke-Hotelbau begonnen. 1975 Baustopp.

Danach Rechtsstreitigkeiten bis hoch zum Bundesgerichtshof. Inzwischen war der "Kaiserbau" Troisdorfs ungeliebtes Wahrzeichen. Dann ein Schlussstrich mit Dynamit: Sprengung des "Kaiserbaus" am 13. Mai 2001. 20 000 Schaulustige kommen. In Sekunden wird ein 26-Jahre-Baudrama beerdigt.

Doch derlei fatalistische Vergleiche würden die WCCB-Probleme nicht lösen. Dynamit sprengt weder Bonns Millionen-Bürgschaften für das WCCB weg noch die städtischen Zusagen an Bund, Land und die Vereinten Nationen.

Der "Feind" auf der Couch hört mitEine Ratssitzung zwischen Taktik und Strategie. OB Nimptsch: "Alle können alles wissen, das ist mit mir nicht zu machen". Der Stadtrat tagt immer donnerstags. 7. Mai 2009: In nicht-öffentlicher Sitzung erklären Verwaltung und WCCB-Bauchef Young-Ho Hong, warum die Baukosten um rund 60 Millionen explodieren.

Auf einer sogenannten Ratsvorlage stehen Zahlenkolonnen und Gründe. Ein Papier ohne Rechenfehler. Später wird der Rat noch einmal 30 Millionen Euro bewilligen, um einen Baustopp zu verhindern. Ein Jahr später steht fest: Einige Gründe in der Ratsvorlage waren weitgehend erfunden.

27. Mai 2010: Der Stadtrat murrt. Es gibt keine entscheidungsreifen Vorlagen. Seit Monaten ruht die Baustelle, während die Kosten - wieder einmal - explodieren. Marcel Schmitt (Bürger Bund Bonn) spricht von "Geheimrat Nimptsch" und kritisiert, der OB betreibe eine "Desinformation der Bürger". Schmitt will, dass die Stadt öffentlicher mit dem Bericht des Rechnungsprüfungsamtes umgeht.

Für die alte und neue OB-Partei SPD spricht Helmut Redeker: "Erst aufklären und dann handeln, das ist falsch." Von oben sortiert OB Jürgen Nimptsch die Rednerliste. Jetzt ist Dorothee Paß-Weingartz (Grüne) dran: "Wenn die Ratsmitglieder einzeln haftbar sind (worauf Nimptsch einmal hingewiesen hat/Anm. d. Red.), dann brauchen sie auch zeitnah Informationen."

Und Werner Hümmrich (FDP) gesteht: "Das Ganze zermürbt mich." Das Projekt dümpele dahin, sagt Michael Faber (Linke): "Ich kann keine Strategie erkennen." Die ist aber vorhanden, folgt man Stadt- Berater Reinhold Ernst. Gerade an Strategie mangelt es nicht. Aber wer darüber öffentlich redet, braucht eine neue.

Ansonsten ist Ernst schmallippig. Kein Wort zu viel. Schließlich lässt der "Feind", Insolvenzverwalter Christopher Seagon, wahrscheinlich mithören. Oder er liegt gerade auf einer Couch in Heidelberg und sieht sich die Internet-Live-Übertragung aus dem Stadtrat selbst an. Seagon wisse bei einer Verhandlung immer schon vorher, sagt Ernst live, was die Strategie der Stadt sei. Damit steht das Wort "Verrat" - Zwischenruf: "Nebenkriegsschauplatz" - unausgesprochen im Raum.

Dann geht es um den Wert des unfertigen Baus am Rhein. Seagon hat einmal 136 Millionen genannt. Der CDU-Stadtverordnete Klaus-Peter Gilles fragt: "Wurde dieser Wert anhand von Rechnungen ermittelt, also steht da etwas, was gebaut worden sein könnte? Oder hat man geprüft, welchen Wert das tatsächlich Gebaute hat?"

Ernst sagt, die Beratungsgesellschaft PriceWaterhouseCoopers (PWC) habe festgestellt: "Was Seagon vorgelegt hat, reicht nicht." Ernst sagt: "Die Arbeit ist schon schwer genug." Gilles' bekommt also keine Antwort. Aus taktischen Gründen? Nun steigt Nimptsch herunter - zum Mikrofon: "Jeder Experte sagt uns: Eine solche Gemengelage habe er noch nie erlebt."

Die städtische Rechtslage sei nicht immer eindeutig. "Wir haben in diesem Projekt nicht nur Freunde." Der Mann auf der Couch weiß, wer gemeint ist. Aber auch die Sparkasse. Dann schwenkt er zu Taktik und Strategie; sie reifen im Geheimen am besten. Und weil das so ist, sagt Nimptsch: "Alle können alles wissen - das ist mit mir nicht zu machen." Wer was wissen will: nur gegen Verschwiegenheitserklärung mit strafrechtlicher Relevanz.

Dann gleitet die WCCB-Debatte ins Grundsätzliche. Was darf von einem Ratsmitglied erwartet werden? Muss es hunderte Aktenordner lesen? Es verlangt Tischvorlagen, obwohl die seit 2009 einen bitteren Beigeschmack haben und eigene Kompetenz nicht ersetzen. Einige Ratsmitglieder haben auch schon mal ein Fortbildungsseminar bei Ernst besucht.

Doch schon die Grafik war unverständlich, obwohl eine Grafik etwas veranschaulichen, vereinfachen soll, der Mensch ein "Augentier" ist und Ernst sich Mühe gegeben hat. Aber gerade beim WCCB kann Vereinfachen leicht Verfälschen bedeuten. Eine verflixte Situation. Und wer bereit wäre, alles zu lesen: Wie soll er es interpretieren, wenn schon hochdotierte Experten über die "Richtig-Auslegung" streiten?

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