Die Millionenfalle, Teil 57

Der zweite Bericht des unabhängigen Rechnungsprüfungsamtes (RPA) zum World Conference Center Bonn (WCCB) dokumentiert, dass Experten der Wirtschaftsprüfungs-Gesellschaft PriceWaterhouseCoopers (PwC) bereits Anfang Dezember 2009 einen Zwischenbericht fertiggestellt hatten, der von Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD) jedoch dem Stadtrat vorenthalten wurde.

Die Millionenfalle, Teil 57
Foto: Volker Lannert

Bonn. Fast sieben Millionen Euro haben die ruhende Baustelle und das Ringen um eine Zukunft für das World Conference Center Bonn (WCCB) seit Herbst 2009 gekostet. Nutzen: Das WCCB hat zwei frostreiche Winter nur mit kleineren Schäden überstanden. Lösung: keine.

Und die ganz großen, den Stadthaushalt bedrohenden Rechnungen ( siehe Millionenfalle 56) kommen erst noch. Nun ist der zweite Bericht des Rechnungsprüfungsamtes (RPA) im Auftrag des Stadtrats zum WCCB-Komplex erschienen, der sich vor allem mit den vielen Beratern und ihren Kosten beschäftigt.

Kein Auftrag ohne Vorgeschichte. Als Jürgen Nimptsch (SPD) nach der Wahl Ende August 2009 das Oberbürgermeister-Zepter von Bärbel Dieckmann (SPD) übernimmt, ist das WCCB längst aus den Fugen geraten. Vier Insolvenzen, einige Akteure in U-Haft, Razzien in Bonn und Berlin, staatsanwaltliche Ermittlungen gegen 14 Personen.

Untreue, Betrug, Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr, Bestechung - eine umfassende Verdachtspalette umwabert ein Projekt, das in privater GmbH-Hülle öffentliche Millionen verplante und verbaute, wobei einige Millionen versickerten.

Nimptsch setzt, wie schon Dieckmann zuvor, auf externe Berater. Einige sollen den Zahlen-Dschungel lichten, andere das juristische Gestrüpp entwirren, das Kim hinterlassen und die Stadt zugelassen hat. Ordnung in dieses heillose Durcheinander zu bringen, könnte für das WCCB eine Perspektive schaffen. Doch nach mehr als 150 Tagen Beratung wird die Stadtratsgemeinde unruhig.

Sie irritiert neben den Berater-Millionen das fehlende Licht am Ende des Tunnels. Deshalb, kaum ist der erste RPA-Bericht zum WCCB im April 2010 erschienen, beauftragt der Rat die Rechnungsprüfer ein zweites Mal. Die Kernfragen drehen sich nun um die "Verantwortung und das Führungsverhalten der ehemaligen OB" und die Berater: Was machen die eigentlich?

Nachdem der erste, 475-seitige WCCB-Bericht des RPA fertig war, fand sich in der Verwaltung nachträglich ein Speicherstick mit 7 563 Mails und 2 616 Anlagen. Dass man trotz Vollständigkeitserklärung etwas vergisst, kann vorkommen. Dieser Stick enthält einen 79-seitigen Bericht der Wirtschaftsprüferkanzlei PriceWaterhouseCoopers (PwC), den bis heute offenbar nur Nimptsch und einige Eingeweihte kennen.

Er sei, so das RPA, "in der dem Rat vorgelegten Berichtszusammenfassung (am 16. Dezember 2009 / Anm. d. Red.) nicht enthalten" gewesen. Die vom RPA ausführlich zitierten Mails spiegeln ein zähes Tauziehen hinter den Kulissen um das Wörtchen "abgestimmt". Eine Stadt könnte etwa meinen: Wer Berater bezahlt, bestimmt auch, was von ihren Ergebnissen verwertet, im Rat veröffentlich wird.

Der WCCB-Beobachter wittert ein Déjà-vu-Erlebnis: War das nicht im Dezember 2010 bei einer Stadtratsvorlage der juristischen Beraterfraktion zum Heimfall ähnlich? Aus dem Rathaus in die Medien lancierte Mails berichteten ( siehe Millionenfalle 50): Auf der Ratsvorlage steht "Berater" drauf, aber es steckt nur "Nimptsch", das politisch Gewünschte, drin.

Bereits ein Jahr zuvor bemerkt PwC-Mann Dirk Hennig in seinem Schreiben vom 27. November 2009 an das OB-Büro: "In Diskussionen im Hause wird verstärkt der Begriff “abgestimmter Bericht„ verwendet. Zur Vermeidung von Missverständnissen in der Projektgruppe, im Rat und ggfs. in der Öffentlichkeit möchte ich darauf hinweisen und deutlich herausstellen, dass wir unseren Bericht gemäß des erteilten Auftrages durchführen."

Bei den Gesprächen mit ehemaligen städtischen WCCB-Projekt-Mitarbeitern gehe es nicht darum, "einen “abgestimmten Bericht„ im Sinne eines Konsens aller Beteiligten/Betroffenen herzustellen". OB Nimptsch hatte zuvor an Hennig, bevor der die städtischen WCCB-Beauftragten Eva-Maria Zwiebler und Arno Hübner interviewte, gemailt: "Bitte halten Sie auch die Detailergebnisse unter Verschluss und klären Sie die Fragen nur mündlich."

Warum dieser erste PwC-Zwischenbericht nicht am 16. Dezember 2009 im Rat landet, erklärt OB Nimptsch, indem er ihn zu "einer ersten Diskussionsgrundlage" herabstuft. Das RPA sieht eher das Gegenteil belegt, auch "anhand des Mailverkehrs" und dessen zeitlicher Abfolge. Warum dann dieser Disput? Waren die 79 PwC-Seiten zu brisant? Für wen? Spielte eine Rolle, dass am 5. Dezember 2009 staatsanwaltliche Ermittlungen gegen Dieckmann, Hübner und Zwiebler öffentlich wurden?

Auszüge. PwC findet heraus, dass in den WCCB-Budget- und Businessplänen von "Investor" Man-Ki Kim nirgendwo Finanzierungskosten "gesondert ausgewiesen" sind. Auf fragende PwC-Mails reagiert Zwiebler ungehalten. Sie mailt ihrem Vertrauten Hübner: "Ich verstehe dieses “Verhör„ nicht! Worum geht es hier eigentlich?? Ich fühle mich nach wie vor nicht in der Lage, die Fragen zu beantworten. (...) Ich war auch damals nicht in der Lage (habe ich auch schriftlich dokumentiert) und sah es nicht als meine Aufgabe an, Finanzierungs-, Businesspläne, Baukosten zu kontrollieren (...)."

Aber der ausgebuffte Friedhelm Naujoks (SPD), eine Schlüsselfigur, hätte dazu in der Lage sein müssen. Gerade wegen seiner vermeintlichen Kompetenz war er 2004 von Dieckmann aus Bielefeld geholt worden. Bis Mitte 2010 war er Leiter des Städtischen Gebäudemanagements (SGB) und ist - nach seiner WCCB-bedingten Absetzung beim SGB - weiter mit 175 000 Euro der bestbezahlte Stadt-Mitarbeiter.

Das SGB sollte die WCCB-Zahlungsströme kontrollieren - und versagte, so der erste RPA-Bericht. Naujoks spielte gerade in der WCCB-Anfangsphase (2006) eine zentrale Rolle: Schließlich ermöglichte sein Testat über die wirtschaftlich solide Projektplanung den 35,79 Millionen schweren NRW-Zuschuss.

Wie aber kann ein Projekt "ausfinanziert" und der Businessplan "in sich schlüssig" sein, wenn Finanzierungskosten für den Baukredit ausgeblendet werden? Oder wenn die Baunebenkosten, die später in den Himmel steigen und das Projekt sprengen, nur reichlich unterdimensioniert berücksichtigt sind? PwC resümiert: "Unseres Erachtens besteht das Risiko, dass es zu einer Rückforderung von Landesmitteln kommt."

Ende November 2009 Aussprache im Stadtrat: Die Fraktionen von CDU und Grünen monieren nach wie vor "mangelnde Transparenz" und vermissen die "Aufklärungsoffensive, die der OB angekündigt hatte". Das ficht Nimptsch nicht an. Der PwC-Bericht, für ein sechsstelliges Honorar auf Steuerzahlerkosten erstellt, landet im elektronischen Orkus, später auf dem besagten Stick. Am 1. Dezember 2009 verschärft Hennig (PwC) seine Warnung.

Er schreibt an Nimptsch: Der Sachverhalt sei nun "doch kritischer einzuschätzen als vorerst besprochen. Es liegt Grund zu der Annahme vor, dass der Passus “unrichtige Angaben in der Antragstellung„ zum Tragen kommt." Wie kritisch, zeigt sich Anfang April 2010: Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Naujoks wegen Betrugsverdacht im besonders schweren Fall.

Er hat "Zahlen passend gemacht", sagte damals Oberstaatsanwalt Fred Apostel.

PwC stellt schon Ende 2009, also vier Monate vor dem WCCB-Bericht der Rechnungsprüfer, Kernfragen: "Erfüllt die Bauausführung die Zusicherungen gegenüber der UN?" Nach GA-Informationen hat Bauunternehmer Young-Ho Hong (SMI Hyundai Europe) einige der UN-Sicherheitsstandards ( siehe Millionenfalle 7) einfach "weggespart".

Das hätte - bliebe es so - nicht nur Folgen für UN-Kongresse in Bonn, sondern auch für die WCCB-Fertigstellungskosten. PwC fragt zu den Abrechnungen: "Sind die Kosten tatsächlich angefallen?" Oder wurde Geld abgezweigt? Es sind Fragen, die letztlich den Wert dessen, was am Rhein wirklich gebaut wurde, und die Kosten dessen, was noch zu bauen ist, unsicher erscheinen lassen. Sie erklären zudem, warum es bis heute aussichtslos geblieben ist, den tatsächlichen Inhalt der Baukasse zu ermitteln.

PwC hinterfragt schon Ende 2009 die Rolle des Investor-Eigenkapitals: "Wurden die aufgeführten und vom SGB testierten Rechnungsbeträge von der UNCC mit Eigenmitteln beglichen?" Wie früh in der "Millionenfalle" (siehe Folgen 21, 350, 36, 46) erörtert, spricht Vieles dafür, dass überhaupt kein oder nur ein Bruchteil des "vorgezeigten" Kim-Eigenkapitals in das Projekt floss. Sondern letztlich nur der 104,3-Millionen-Kredit, für den die Stadt bürgt, und der NRW-Zuschuss.

Das RPA resümiert: "Warum diese vergangenheitsbezogenen Themen und Feststellungen von PwC nicht weiter behandelt worden sind, entzieht sich unserer Kenntnis." Das zurückhaltende Interesse daran von OB Nimptsch wäre verständlich: Das aufklärerische Wühlen in der Vergangenheit kann den stadteigenen Anteil am Schlamassel nur sichtbarer machen und auch die eigene Partei beschädigen. Dieckmann, Naujoks, Nimptsch: alle SPD.

13. Juli 2010: In einer Sondersitzung tagt der Rat zum WCCB. Es soll die überfällige Aussprache zum drei Monate zuvor veröffentlichten WCCB-Bericht des RPA werden. Im Rat hat sich einiges angestaut. Wut, Unverständnis, Empörung. Doch der erwartete Schlagabtausch startet mit einem 69-Minuten-Monolog von OB Nimptsch und dem Zitat eines Schriftstellers: "Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben."

Nichts sei absolut, alles relativ - so relativ, dass eine voreilige Fakten-Interpretation große Risiken berge. Zu diesem Zeitpunkt weiß im Ratssaal nur Nimptsch, dass es bereits seit mehr als sieben Monaten einen PwC-Zwischenbericht gibt, der die gleichen Botschaften enthält wie der des RPA. Nimptsch wusste also sehr früh sehr viel, vielleicht alles.

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