Müllverbrennunganlage in Bonn Der Riesenofen mitten in der Stadt - Weißer Rauch und schwarze Zahlen

BONN · Sie dampft, sie qualmt, sie läuft einfach. Seit 20 Jahren tut die Müllverbrennungsanlage (MVA) im Gewerbegebiet der Bonner Weststadt ihren Dienst. 365 Tage im Jahr, 24 Stunden am Tag. Aus ihrem Kamin steigt seitdem stetig weißer Rauch auf, nicht nur einmal alle Jubeljahre wie bei der Papstwahl. Am Freitag ist Tag der offenen Tür. Eine Betrachtung zum runden Geburtstag.

 Die MVA bei Nacht: Den pastellfarbenen Anstrich gibt es schon seit 1992, die Lichtinstallation erst seit wenigen Jahren.

Die MVA bei Nacht: Den pastellfarbenen Anstrich gibt es schon seit 1992, die Lichtinstallation erst seit wenigen Jahren.

Foto: Volker Lannert

Sie hat schon eine Menge geschluckt und viel überstanden. Eine Handgranate im Müllbunker, Sondermüll im Trichter, Matratzen-Spiralfedern, die alles verstopft haben, importierten Abfall aus Italien und erst recht die vielen Diskussionen über Auslastung, Verträge, Privatisierung, Korruption und Machenschaften rund um den Bonner Müll. An Werktagen kommen Am Dickobskreuz bis zu 1000 Tonnen Abfall an. Laufen alle drei Öfen, werden täglich bis zu 860 Tonnen Abfall verbrannt.

Die große Frage, die viele Menschen auch 20 Jahre nach der Einweihung noch umtreibt: Warum wird der Abfall mitten in der Stadt verbrannt? Dort, wo es jeder sieht, mit einem Riesenschlot, der am Ende diesen weißen Qualm ausstößt, der nichts anderes ist als Wasserdampf? Und dann diese schweren Lastwagen, die sich bis ins Herz der Stadt quälen müssen, um die MVA zu erreichen?

Den Superofen mitten in die Bonner Weststadt zu bauen, war eine Entscheidung, die nur erklärbar ist aus der Geschichte heraus und der damaligen Entsorgung des Abfalls. Der wurde über viele Jahre auf eine zentrale Deponie nach Hersel gekarrt. Schon damals ahnten die Stadtväter, dass die Rekultivierung der Kippe irgendwann teuer und problematisch werden würde. Und die langen Fahrten der Müllwagen nach Hersel kosteten viel Sprit und Zeit. Das wollte man auf keinen Fall mehr, in einer Zeit, in der alle anderen Städte noch fleißig ihren Müll in der Erde vergraben haben. Bonn wollte fortschrittlicher, moderner, umweltbewusster sein.

So kam man bei der Standortsuche für die damals modernste Verbrennungsanlage Europas auf die Idee, die Fahrten zu verkürzen, so dass die Müllwagen sternförmig zuliefern. Diese spritsparende Variante war jedoch nur eine Begründung. Die andere, die Koppelung mit dem Kraftwerk an der Karlstraße, um den Dampf für die Strom- und Fernwärmeproduktion zu nutzen, war eine Riesenchance, die die Stadt ergriffen hat und von der sie noch heute profitiert.

Aber es gab noch eine dritte: In Zeiten des aufkeimenden ökologischen Bewusstseins wollte man nicht mehr den Abfall still und heimlich verbuddeln ("aus den Augen, aus dem Sinn"), sondern ganz offensiv zeigen: "Seht her Bürger, das ist Euer Müll, der dort verbrannt wird. Unser aller Müll."

Man erhoffte sich einen sparsameren Umgang mit Ressourcen, einen geringeren Anfall an Abfall - ein Trugschluss, wie man heute weiß. Zwar sank die Müllmenge der Stadt in den 1990er Jahren, als sie Pilotstadt des Dualen Systems wurde. Aber nur deshalb, weil der Müll sortiert wurde, um ihn zu verwerten. Die Menge des Hausmülls in den grauen Tonnen hat sich nicht gravierend geändert. Der große Fehler bei der MVA-Planung, ebenfalls aus heutiger Sicht, war ein anderer: Die Anlage ist allein für den Bonner Müll zu groß, und das passt nicht zu dem pädagogischen Ansatz, sich auf "Müll-Diät" setzen zu wollen. Kritiker bemängeln das, seit die Anlage steht. Die Verantwortlichen verteidigen diese Entscheidung, denn damals sei das Duale System mit den bunten Tonnen noch nicht absehbar gewesen. Fantasie sieht anders aus, was man in den Augen von MVA-Geschäftsführer Manfred Becker den damaligen Stadtvätern nicht vorwerfen kann: "Die Entscheidungsträger wollten damals auf Nummer sicher gehen."

Ob der damalige "schwarze Pate" Reiner Schreiber als Ex-Stadtwerke-Chef auch da seine Finger im Spiel hatte, dass die Anlage überdimensioniert war? Wie im Zuge des Korruptionsskandals um den Neubau des benachbarten Heizkraftwerks an der Karlstraße heraus kam, hatte er später einen Beratervertrag mit eben der Firma, die die MVA baute. Und mit dem Experten, in dessen Händen die technische Wartung der Anlage lag. Ein Zufall?

Den Stadtwerken, denen die MVA vor 13 Jahren als "Eigenkapital" überschrieben wurde, als sie unter Reiner Schreibers Nachfolger Hermann Zemlin zu einem Konzern umgebaut wurden, tut der Abfall-Sektor wirtschaftlich gut. Die MVA erwirtschaftet jedes Jahr Gewinne, 2011 rund fünf Millionen Euro. Der Müll, der Am Dickobskreuz auf die Verbrennungsroste wandert, kommt längst nicht nur aus Bonn und dem Rhein-Sieg-Kreis, sondern auch aus Euskirchen und woher auch immer private Entsorger ihn herankarren. Im Gegenzug wird anderer Abfall wie Biomüll, Altpapier und Verpackungsmüll aus Bonn gesammelt und woanders verwertet. Bliebe noch der Gestank, den manche Leute glauben zu riechen, wenn sie an der MVA vorbeifahren. Darüber können die 100 Mitarbeiter nur müde lächeln, denn im Verbrennungsbunker wird leichter Unterdruck erzeugt, die Luft eingesaugt. Da stinkt nichts zum Himmel.

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