Interview mit Jürgen Nimptsch Der Oberbürgermeister über Finanzkrise und Sparvorschläge

BONN · In einem knappen Jahr endet die Amtszeit von Oberbürgermeister Jürgen Nimptsch (SPD). Lisa Inhoffen und Andreas Baumann trafen sich mit ihm zum Gespräch über das Sparkonzept der Stadtverwaltung, über das der Stadtrat bald entscheiden muss.

Ihr Vorschlag, beim eigenen Personal drastisch zu sparen, sorgt für Aufregung im Stadthaus. 500 "Köpfe" sollen in der Verwaltung wegfallen. Wie soll das gehen?
Jürgen Nimptsch: Wir haben uns zum Ziel gesetzt, die Aufwendungen für das Personal ab 2018 um rund 8,5 Millionen Euro im Jahr zu reduzieren. Jährlich drei Millionen Euro sparen wir bis dahin allein durch die zwölfmonatige Wiederbesetzungssperre. Wir gehen davon aus, dass wir nach den Organisationsuntersuchungen in der Verwaltung noch einmal einen Betrag von drei Millionen Euro im Jahr sparen können, indem wir Ablaufprozesse optimieren und Synergien schöpfen. 2018 müssen weitere 2,5 Millionen Euro erbracht werden, unter anderem durch Reduzierung von Standards und Aufgabenkonzentration.

Bei der Streichung von so vielen Posten muss ja wohl einiges an Aufgaben wegfallen...
Nimptsch: Bei 500 "Köpfen" sprechen wir von 330 bis 350 Stellen. Das ist bei einer Gesamtzahl von 6500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eine nicht ganz so aufregend hohe Zahl. Im Rahmen eines Verschlankungsprozesses ist das eine lösbare Aufgabe.

Sie wollen die Grundsteuer gleich um 300 Hebesatzpunkte erhöhen. Das verteuert den ohnehin knappen Wohnraum in Bonn.
Nimptsch: Wir setzen uns zum Ziel - und auch die Kommunalaufsicht tut es -, so früh wie möglich einen ausgeglichenen Haushalt zu haben. Wenn wir das 2020 erreichen wollen, ist die Erhöhung der Grundsteuer neben zusätzlicher Bundesunterstützung und Sparmaßnahmen unabdingbar. Ich sehe in der Erhöhung keinen Widerspruch zur Notwendigkeit, Wohnungen zu bauen. Eine Erhöhung der Grundsteuer trifft auch nicht die Bedürftigen, weil sich das Wohngeld der höheren Miete anpassen wird. Wenn der Bund, wie versprochen, Bonn ab 2019 finanziell wieder besser ausstattet und wir 2020 eine schwarze Null schreiben können, wollen wir von jedem Euro, den wir im Plus sind, den Bürgern 50 Cent zurückgeben. Der Bund hat versprochen, die Kommunen bei den Sozialausgaben um fünf Milliarden zu entlasten, zusätzlich läuft 2019 der Solidarpakt aus, so dass Bonn ab 2020 mit rund 30 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich rechnen kann.

Warum schlagen Sie keine Erhöhung der Gewerbesteuer vor?
Nimptsch: Als besondere Stärke unserer Stadt gilt die enorme Wirtschaftskraft als Motor in NRW. Die Zahl der Arbeitsplätze ist seit dem Regierungsumzug kontinuierlich gestiegen, um etwa 1000 im Jahr. Diejenigen, die die Arbeitsplätze bereitstellen, müssen Erträge erwirtschaften können, sonst stellen sie diese Arbeitsplätze nicht bereit. Das hat für uns Vorrang. Eine Erhöhung wäre abträglich.

Befürchten Sie Einbrüche bei der Gewerbesteuer? Vor allem, wenn Haribo nach Rheinland-Pfalz umzieht?
Nimptsch: Ich kann nicht über einzelne Firmen sprechen. Allgemein aber gilt, dass der Wegzug eines Unternehmens sich immer auf die Gewerbesteuereinnahmen auswirkt, wenn auch nicht immer so dramatisch, wie man annimmt.

Wie haben sich die Gewerbesteuereinnahmen entwickelt?
Nimptsch: 2011 haben wir 289 Millionen Euro eingenommen. 2012 waren es 178 Millionen und im vorigen Jahr 181 Millionen.

Sie haben neulich angekündigt, auch bei den Bußgeldern höhere Einnahmen erzielen zu wollen. Was ist geplant?
Nimptsch: Wir nehmen im Bereich Verkehr zwischen 5,2 und 7 Millionen Euro an Bußgeldern pro Jahr ein. Wir werden jetzt zusätzlich an vier Stellen Tempo-Überwachungsanlagen installieren, jeweils zwei an der Reichstraße zwischen Lengsdorf und Röttgen sowie an der Mainzer Straße in Bad Godesberg. Das Motiv ist aber nicht, Einnahmen zu erzielen. Es handelt sich um Straßen, wo wir nach Messungen wissen, dass überdurchschnittlich schnell gefahren wird.

Haben Sie noch andere Quellen für zusätzliche Einnahmen?
Nimptsch: Oh ja. Wir haben beim Rechtsamt festgestellt, dass es personell nicht ausreichend ausgestattet ist, um alle privatrechtlichen Forderungen geltend zu machen. Wenn wir dort mehr Mitarbeiter beschäftigten, hätten wir abzüglich Personalkosten Mehreinahmen von 50.000 Euro netto im Jahr. Oder im Gesundheitsamt: Dort besteht hohe Nachfrage nach der Bescheinigung, die berechtigt, Lebensmittel auszugeben. Wenn wir die Öffnungszeiten verlängern, bringt das 10 000 Euro netto.

Wie passt Ihre Zusage, die Sportförderung um 300.000 Euro im Jahr zu erhöhen, zum Vorschlag, eine Sportstättennutzungsgebühr einzuführen? Verstehen Sie den Zorn der Sportler?
Nimptsch: Jeder in der Stadt, der Einbußen erfährt, wird empört sein. Als Sportler und Pädagoge habe ich selbst Schwierigkeiten gehabt, Kürzungen im Sport und bei der offenen Ganztagsschule vorzuschlagen. Ich habe aber auch verstanden, dass wir, wenn wir die schwarze Null erreichen wollen, bei allem genau hinschauen müssen. Wir wollen die Hälfte der Sportstättennutzungsgebühr wieder in Sportanlagen investieren.

Die andere Hälfte ist genau der Betrag, um den die Sportförderung erhöht worden ist...
Nimptsch: Das ist richtig. Aber der Sport hatte vorher schon eine Erhöhung der Zuschüsse erhalten. Da sind Fehler korrigiert worden. Auch kann man nicht sagen, es sei nicht in den Sport investiert worden. Als Beispiel möchte ich nur das Schwimmbad des Sportparks Nord nennen, wo wir im Moment einen Millionenbetrag verbauen.

Sie wollen den Zuschuss für offene Ganztagsschulen von 460 Euro auf 360 Euro pro Platz kürzen. Passt das zum Bild der familienfreundlichen Stadt?
Nimptsch: Wir tun sehr viel, um dieses Bild zu bewahren. Ich erinnere an den enormen Ausbau im Kitabereich. Bis 2018 werden wir 150 Millionen allein in diesen Bereich gesteckt haben. Bei den Schulen werden es 100 Millionen sein. Bei der OGS hat die Stadt vom ersten Tag an mehr Geld gegeben als das Land vorgesehen hatte. Bei den 1345 Euro pro OGS-Platz, die das Land veranschlagt, würden wir bei 7092 Plätzen, die wir jetzt haben, lediglich 9,5 Millionen zahlen. Wir geben aber 15 Millionen, also 2115 Euro pro Platz aus. Man gewöhnt sich mit der Zeit an höhere Standards. Sie haben auch Sinn. Aber ich weiß nicht mehr, wovon wir sie bezahlen sollen.

Welche Rolle spielt der WCCB-Skandal in der Finanzmisere? Die drohende Rückzahlung der 80-Millionen-Euro-Bürgschaft an die Sparkasse ist ja noch nicht einmal im Haushalt eingepreist!
Nimptsch: Die finanzielle Belastung ist hoch. Das WCCB wird die Stadtkasse nach Fertigstellung rund 130 Millionen Euro aus dem investiven Bereich gekostet haben. Davon können wir die 17 Millionen Euro abziehen, die Bund und Land zugesagt haben, sowie die ausstehenden zehn Millionen Euro Landesmittel für das Gesamtprojekt, die erst nach Fertigstellung gezahlt werden. Es könnte sein, dass wir am Ende bei rund 100 Millionen Euro an investiver Belastung liegen werden. Aber der UN-Standort mit 150 internationalen Organisationen wird über die Umwegrendite viel Geld in die Kassen spülen.

Dabei klammern Sie aber die 80 Millionen Euro Bürgschaft aus?
Nimptsch: Ja. Nach allen Gutachten, die ich kenne, ist es richtig, diesen Streit mit der Sparkasse vor Gericht auszufechten. Es wäre grob fahrlässig, wenn wir es nicht täten. Auf eine Entscheidung müssen wir wohl noch etwas warten.

In welcher Höhe werden die WCCB-Kosten den Haushalt im Jahr belasten?
Nimptsch: Der Haushalt wird 2015 bis 2024 für Bestands- und Neubauten durchschnittlich mit 5,2 Millionen Euro belastet. Wegen des Bellevue-Vertrages, der 2002 zwischen dem Bund, dem Land und der Stadt abgeschlossen wurde, gibt es für uns nur den Weg, das WCCB fertigzustellen, weil wir sonst vertragsbrüchig würden.

Sind auch die WCCB-Beraterkosten enthalten?
Nimptsch: Ja. Ich gehe davon aus, dass wir am Ende knapp über zehn Millionen Euro für Berater ausgeben haben werden. Wenn die Gegner Anwaltskanzleien aus der ersten Reihe beschäftigen, muss man sich auf Augenhöhe positionieren.

Die Stadt muss sparen, will aber 4,4 Millionen Euro für das baureife Grundstück fürs Festspielhaus zahlen und zehn Millionen gestreckt auf 20 Jahre für die Betriebsstiftung ausgeben. Wie erklären Sie das den Bürgern?
Nimptsch: Trotz Sparzwangs ist es weiter erforderlich, dass wir investieren, wenn am Ende ein volkswirtschaftlicher Gewinn zu erwarten ist. Beethoven ist ein Job-Motor! Wir rechnen schon am Anfang mit einigen hundert zusätzlichen Arbeitsplätzen. Wenn man sich die wirtschaftlichen Berechnungen anschaut, führt das Festspielhaus allein für die Stadt zu Steuer-Mehreinahmen von 250.000 Euro im Jahr. Wenn wir indirekte Effekte berücksichtigen, sind die zehn Millionen nicht etwas, was uns über die Maßen belastet. Für die Baureifmachung des Grundstücks rechnen wir mit bis zu 70 Prozent Fördermittel des Landes, so dass die Belastung der Stadt auf die genannten 4,4 Millionen zurückgeführt werden kann.

Ist der Betrieb ohne weitere städtische Zuschüsse möglich?
Nimptsch: Ich denke ja. Deswegen überprüfen wir genau, ob wir dem Rat im kommenden Jahr empfehlen können, das Grundstück zu übertragen. Eine Beteiligung des Landes mit zehn Millionen Euro an der Betriebsstiftung wäre im Übrigen angemessen, und ohne Beteiligung des Landes wird der Bund seine 39 Millionen erst gar nicht zur Verfügung stellen.

Wie umfangreich ist die Zusage der Deutschen Telekom, die Betriebskosten des Festspielhauses zu sponsern?
Nimptsch: Sie ist sehr belastbar. Ich nenne aber keine Zahlen.

Wann machen Sie den kürzlich hinter verschlossenen Türen präsentierten Businessplan für das Festspielhaus öffentlich?
Nimptsch: Es handelt sich nicht um unseren Businessplan, sondern um eine Planung eines Fachinstituts, das die Deutsche Post DHL in Abstimmung mit anderen Akteuren in Auftrag gegeben hat. Ich gehe davon aus, dass es in Kürze eine Präsentation in den politischen Gremien geben wird.

Was haben Sie für die restlichen Monate ihrer Amtszeit noch auf der Agenda?
Nimptsch: Ich möchte im Mai oder Juni 2015 das WCCB einweihen. Auch würde ich mich freuen, wenn das Grundstück für das Festspielhaus in meiner Amtszeit übertragen werden kann und die Ampel für das Projekt auf Grün gestellt wird. Schön wäre auch, wenn die Vergaben für das Nordfeld und das Viktoria-Karree bis dahin erfolgt wären. Und schließlich sähe ich es gerne, wenn wir in der Berlin/Bonn-Frage noch in meiner Amtszeit zu verbindlichen Gesprächen mit dem Bund kommen.

Womit wollen Sie den Bonnern als OB in Erinnerung bleiben?
Nimptsch: Die Analyse kommt beim Fußball nach dem Abpfiff, und davon bin ich, um im Bild zu bleiben, noch 15 Minuten entfernt.

Auf jeden Fall bleiben Sie als ein OB in Erinnerung, der oft mit der Ratsmehrheit in Konflikten stand. Aber auch mit anderen, wie zuletzt mit der Godesberger Bezirksbürgermeisterin Simone Stein-Lücke wegen ihrer Idee, ehrenamtliche Protokollassistenten einzustellen. Da fragt man sich: Hat ein Oberbürgermeister nicht Besseres zu tun?
Nimptsch: Na ja, mit der letzten Frage habe ich mich sechseinhalb Minuten beschäftigt. Ich habe das Rechtsamt gebeten zu prüfen, ob das überhaupt rechtssicher geht und ob die von der Bezirksbürgermeisterin durch Handauflegen bestellten Ehrenamtlichen versichert sind. Das Rechtsamt hatte dazu Fragen, und die habe ich der Bezirksbürgermeisterin geschickt. Was die Ratsmehrheit angeht, war die Konfliktfreudigkeit eher auf deren Seite ausgeprägt - mir lag und liegt immer am Konsens. Dazu braucht es aber beide Seiten.

Haben Sie schon Pläne für die Zeit nach dem OB-Amt?
Nimptsch: Nein!

Können Sie sich vorstellen, noch einmal eine Schule zu leiten?
Nimptsch: Vorstellen kann ich mir das, es wird aber nicht passieren.

Zur Person

Jürgen Nimptsch (60) ist seit 2009 Oberbürgermeister. Anders als Kollegen in anderen Städten absolviert er die volle sechsjährige Amtszeit. Nach der Kommunalwahl 2014 ist deshalb eine gesonderte OB-Wahl am 13. September 2015 nötig. Nimptsch tritt nicht mehr an. Er war zuvor Kreisvorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft sowie Leiter der Gesamtschule Beuel. Er ist verheiratet mit Hanne Hufschmidt und hat zwei Stiefkinder.

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