Kirche in Bonn Der neue Stadtdechant Wolfgang Picken im Porträt

Bonn · Der Godesberger Pfarrer Wolfgang Picken ist neuer Stadtdechant. Der Kontrast zu Vorgänger Wilfried Schumacher könnte kaum größer sein, die Gräben in der Stadt kaum tiefer.

Als Wolfgang Picken im Juni in Bad Godesberg silbernes Priesterjubiläum feierte, wurden die Besucher der Festmesse buchstäblich geräuchert. Dichter Qualm drang aus den Türen der Kirche St. Marien an der Burgstraße. Offenbar hatte es jemand mit dem Weihrauch allzu gut gemeint.

Überhaupt wirkt manches, was der umtriebige Leiter des größten Seelsorgebereichs im Erzbistum Köln macht, auf den ersten Blick zu dick aufgetragen. Seine Veranstaltungen mit Prominenten, seine Medienpräsenz, sein smartes Auftreten. Beim Blick ins Archiv finden sich allerdings mehr Fotos von Kirchensanierungen, Kindergarteneröffnungen und Hilfsaktionen im Stadtbezirk, als von Stiftungsbällen auf dem Petersberg, wo Picken von Maybrit Illner und Nina Ruge in Ballkleidern flankiert wird.

Vom Pfarrhaus an der Plittersdorfer Hardtstraße blickt der 51-Jährige auf den Rhein. Seine Antiquitäten und sakralen Kunstwerke werden sich im barocken Münsterpfarrhaus besser machen als in dem unaufgeregten Nachkriegsbau. Die Vorliebe für Möbel mit Geschichte ist eine der wenigen Gemeinsamkeiten, die der neue Stadtdechant mit seinem Vorgänger Wilfried Schumacher hat. Auch gelten beide als exzellente Prediger. Ansonsten könnte der Kontrast kaum größer sein.

Viele neue Strukturen

Es käme wohl niemand auf die Idee, Wilfried Schumacher mit Pater Ralph de Bricassart aus der 80er-Jahre-Serie „Die Dornenvögeln“ zu vergleichen oder Wolfgang Picken zum Regimentspfarrer der Bonner Stadtsoldaten zu machen. Picken und Schumacher sind zwei starke Persönlichkeiten, die sich in den vergangenen Jahren erfolgreich aus dem Weg gegangen sind. Man konnte fast den Eindruck haben, dass Bad Godesberg gar nicht zum Stadtdekanat gehörte, so groß war der Abstand, so tief waren die Gräben. Manchen Godesbergern, die die Eingemeindung nach Bonn nie verwunden hatten, kam das durchaus entgegen.

Pickens Terrain umfasste zunächst nur das „katholische Rheinviertel“, wie er seine Gemeinde in Plittersdorf, Rüngsdorf und im Villenviertel nannte. Mit den tiefgreifenden Veränderungen im Bistum kamen Südviertel und Burgviertel hinzu, nicht ohne Widerstand der vorher eigenständigen Gemeinden, vor allem aus Friesdorf. Heute hat der Seelsorgebereich den schmerzhaften Prozess von Zusammenlegung und Neuausrichtung hinter sich. Es sind in dieser Zeit auch viele neue Strukturen entstanden, immer mit Picken als Motor und Motivator: Hospize, Kindergärten, neue Ordensgemeinschaften und der „Suppenhimmel“ als niederschwellige Anlaufstelle in der Godesberger Innenstadt.

Eine der Stärken des Pfarrers ist es, Menschen für freiwilliges Engagement zu begeistern. Zum langfristigen Gelingen seiner Projekte tragen nicht nur die finanzkräftigen Spender und Sponsoren der von Picken gegründeten Bürgerstiftung Rheinviertel bei, sondern auch Hunderte Ehrenamtliche, die Zeit mitbringen. Die Kirchen wurden voller, die Wallfahrten mobilisieren bis zu 1500 Leute – Picken immer an der Spitze.

51-Jähriger fängt wieder bei Null an

In der winzigen Bonner Münsterpfarre fängt der 51-Jährige jetzt wieder bei Null an. Ohne Rücklagen, ohne Pfarrgemeinderat, ohne Kirche, denn die Münsterbasilika ist wegen Generalsanierung geschlossen. Dazu passt das Bibelwort, das er schon zu seiner Primiz wählte: „Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht.“

Mit Großbaustellen hat der Pfarrer Erfahrung, ebenso mit Perspektivwechseln. Der katholische Priester, der in der lebendigen Kölner Dompfarrei groß geworden ist, wollte eigentlich Journalist werden. Er fühlte sich nicht sofort berufen, sondern dachte monatelang nach, bis er den Kardinal um Aufnahme ins Priesterseminar bat und zugleich seine Bedingungen nannte. Der Brief des Abiturienten – „so was von peinlich“ sagt Picken heute – ist immer noch das erste Blatt in seiner Personalakte.

Er hat sich mehrfach neu orientiert und das Elitestudium im Vatikan abgebrochen, um in Bonn Politik zu studiert. Während seiner Doktorarbeit war Picken bereits als Subsidiar am Bonner Münster tätig.

Picken soll Veränderungen moderieren

Nun führt ihn der Weg zurück, aber nicht rückwärts. Picken soll in den verbliebenen drei Stadtbezirken die Veränderungen moderieren, die das Erzbistum für nötig hält. Dabei könnte es Gegenwind geben: Seine künftige Innenstadtgemeinde weist durchaus Schnittmengen mit dem Umfeld Wilfried Schumachers auf, das sich aus der Bonner Hauptstadtära kennt und hilft. Schumachers Unterstützer sind seit der Finanzaffäre auf Konfrontationskurs mit Erzbischof Rainer Maria Kardinal Woelki, ihre Petition ruht zurzeit.

Wie Reaktionen auf eine Personalie ausfallen können, erlebte Picken vor zweieinhalb Jahren in Düsseldorf. Aus den Reihen seiner Mitbrüder formierte sich so großer Protest gegen seine mögliche Ernennung zum Stadtdechanten, dass Picken letztlich davon Abstand nahm.

Unter der Überschrift „Der tollste Hecht im Erzbistum“ ätzte ein Journalist, es gebe in der Landeshauptstadt schon „zu viele selbstverliebte Gockel und PR-Strategen in Führungspositionen“.

Picken verlässt schweren Herzens Bad Godesberg

Zum Vorwurf, er sei ein Pfarrer für die Kö, entgegnete Picken schlagfertig, dass er dann eben dort einen „Suppenhimmel“ für Bedürftige eröffnet. Es gibt nur wenig, was den Medienmann, der bei Radio Vatikan gearbeitet hat, sprachlos macht.

So ergriff er auch das Wort für die Denise Pöhler, die Mutter von Gewaltopfer Niklas. Der Kontakt entstand laut Picken zufällig: Eine seiner Mitarbeiterinnen berichtete in der Dienstbesprechung von ihrer verzweifelten Freundin, deren Sohn nach der Prügelattacke im Koma lag. Mit dem Angebot „Sagen Sie Bescheid, wenn ich helfen kann“ wurde Picken nicht nur zum seelischen Beistand, sondern zugleich zum Pressesprecher der Familie Pöhler, was ihm auch Kritik einbrachte.

Die Zeit sei reif für Veränderungen, sagt Picken. Trotzdem geht er schweren Herzens aus Bad Godesberg weg: „Ich hänge sehr an dem, was die Kirche hier so besonders sein lässt, und an den vielen Menschen.“ Wir groß der Rückhalt für den Pfarrer ist, zeigte sich, als sich der Rauch beim Priesterjubiläum verzogen hatte. Eine quirlige Gemeinde, sehr viele Familien mit Kindern und alte Godesberger gratulierten. Es waren einige wenige Promis da, aber auch die Gäste aus dem „Suppenhimmel“.

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