Kunst!Rasen in Bonn Der Graf und Unheilig bewegen 7500 Zuhörer

BONN · Weit ausladende Kerzenständer begrenzen links und rechts die Bühne. Hinter Kunstnebel und blauem Laserlicht schlendert eine dreiköpfige Band zu ihren Arbeitsgeräten. Der schwebende SynthieTeppich wird druckvoller.

Ein viriler Mittvierziger - spiegelblanke Glatze, schwarzer Anzug, schwarze Krawatte - springt über die ganze Breite der Bühne: "Zeigt mir eure Hände", ruft er, und 7500 Besucher recken die Arme.

Bernd Heinrich Graf, kurz "der Graf", Kopf der Band Unheilig, beginnt am Samstag seine spirituelle Sitzung auf dem Bonner Kunst!Rasen. Selbst ein heftiger Regenschauer wird der Faszination dieses Ereignisses nichts anhaben können. "Irgendwann hört es auf zu regnen", tröstet der Mann aus Würselen. Noch vor Ende des Konzerts werden die Bindfäden, die vom Himmel kamen, wie von unsichtbarer Hand festgehalten.

"Seid ihr bereit? Woll'n wir heute uns're Träume leben?", fragt der Unheilige mit pathosgeschwängerter, sonorer Stimme. "Ich will mich in euch verlieren. Auf ewig, ewig". Große Gefühle und die Nähe zu seinem Publikum, es ist ihm ernst. Ironische Leichtigkeit ist seine Sache nicht. Er will Trost geben in einem Leben, das Höhen und Tiefen bereithält, berichtet nur, wovon er selber weiß.

[kein Linktext vorhanden]Als kleiner Junge begann er ohne ersichtlichen Grund zu stottern. Die Musik konnte ihn von seiner Sprachlosigkeit befreien. Er gründete die Band Unheilig, die in diesem Jahr fünfzehnjähriges Bestehen feiert. Vor vier Jahren gelang ihnen mit dem Album "Große Freiheit" der Durchbruch. Seitdem hat er mehr als drei Millionen Tonträger verkauft. Bernd Heinrich ist ein handfester Begleiter für im Beruf stehende Erwachsene geworden.

Unheilig auf dem Kunst!Rasen
97 Bilder

Unheilig auf dem Kunst!Rasen

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Seine Texte sind zugegeben sehr allgemein und mittlerweile knietief im Schlager. Was den Grafen aber von der Schlagerwelt unterscheidet, ist seine Authentizität. Kajalumflorte Gothic-Vertreter selbst schwarze Kleidung sucht man vergebens auf dem Gronauer Kunstrasen. Die sensiblen Nischen-Jugendlichen haben ihm die Gefolgschaft verweigert. Wer mit Helene Fischer im Duett singt, kann nicht mehr zu ihnen gehören. Das tut ihm weh.

Er ist loyal, seine Gothic-Vergangenheit ist ein Teil von ihm. Der Graf will Gutes tun. 300 Kinder hat er eingeladen, die in einem abgetrennten Bereich zu seiner Musik spielen können. Dem Solo-Debüt seines Gitarristen Licky gibt er an diesem Abend eine große Bühne.

Seine musikalische Stärke sind die großen Hymnen. Als das Piano zum romantischen "An deiner Seite" perlende Läufe spielt, hat er das Publikum endgültig gepackt. Dafür liebt man ihn. Man steht zusammen und schwenkt elektronische Wunderkerzen. Es gibt aber auch kantige Härte. "Maschine" ist so ein Stück, bei dem die ansonsten weichen Synthies metallische Schärfe ausspucken.

Der Graf tanzt ekstatisch wie ein Erwachsener, der seinen Körper erst spät entdeckt hat. Den Rock & Roll hat er definitiv nicht erlebt. "Für immer" - eine schnellere Nummer - beendet vorläufig das umjubelte Konzert, das mit "Geboren, um zu leben", der Hymne des Innehaltens, ein großes Finale findet.

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