Beethoven-Festspielhaus Das Schwarzer-Peter-Spiel der Bonner Politik

Anmerkungen zur Debatte über die geplante neue Konzertstätte. Bonn steckt tiefer denn je in den roten Zahlen und flirtet mit der Festspielhaus-Vision. Da die Stadt sich jahrelang das Sparen sparte und keine Prioritäten setzte, fehlt heute das Geld für den großen Wurf

Wäre Ludwig van Beethoven ein Asiate und zum Beispiel in Schanghai, Seoul oder Tokio geboren, dann stünde dort wohl längst eines der beeindruckendsten Festspielhäuser der Welt. Metropolen im Beethoven-verrückten Asien würden hunderte Millionen für den Titel "Geburtsort Beethovens" mit seiner Wertschöpfungskette hinblättern, gäbe es ihn denn zu kaufen.

Aber Beethoven ist nun mal in Bonn geboren, einer 300.000-Einwohnerstadt, wo man den berühmtesten Sohn der Stadt natürlich würdigt: Mit einem Beethoven-Denkmal auf dem Münsterplatz, einem Beethoven-Orchester, Beethovens gepflegtem Geburtshaus in der Bonngasse und einer sanierungsbedürftigen Beethovenhalle. Beethoven überall, aber eben kein Konzertsaal von internationalem Format, in dem man den 250. Geburtstag des weltberühmten Komponisten 2020 angemessen zelebrieren könnte.

Und 2027 folgt bereits Beethovens 200. Todestag. Da imponiert aber nicht die Schauspielkunst der Bonner Politik (mit Ausnahme der Linken und der Grünen; die hatten mit offenem Visier erklärt: Wir sind dagegen): Der Rat beschließt mit Mehrheit Ende Juni ein "Ja" zum Beethoven-Festspielhaus, das privat errichtet und bezahlt sowie privat und mit öffentlicher, auch städtischer Förderung betrieben werden soll. Gleichzeitig stecken Teile der Ja-Fraktion einen wirtschaftlichen Rahmen für die privaten Kräfte von Deutsche Post DHL bis zu den Spendensammlern aus der Bonner Bürgerschaft ab, der ein Signal der Entmutigung sendet. Gesucht: Ein Retter, der plötzlich aus dem dichten Festspielnebel auf die Bühne tritt.

Bei den anvisierten Baukosten von 70 Millionen Euro wird dieser Retter dringend benötigt. Auch wenn Millionen fehlen, spiegeln die eingesammelten Gelder doch privaten Tatendrang einer engagierten Bürgerschaft und einer Kulturszene, der oft nachgesagt wird, sie habe sich zu sehr daran gewöhnt, dass Kulturfinanzierung Sache des Staates, der öffentlichen Hand sei. Die klamme Stadt will immerhin - gedeckelt auf rund 4,4 Millionen Euro - das Grundstück zur Baureife führen und bis 2039 zehn Millionen in die Betriebsstiftung einbringen. Das ist nicht wenig in der nun beginnenden Rotstift-Zeit.

Zur Nagelprobe kommt es jedoch bei Personal, Künstlergagen, den Energie- und Reinigungskosten. Den Betriebskosten über Jahrzehnte. Tatsächlich hat es in Deutschland noch kein Festspielhaus, keine Konzertstätte geschafft, ohne jährliche Millionen-Subventionen - ob versteckt oder nicht - über die Runden zu kommen. In Bonn aber soll das möglich sein. Verwaltung und die am Wochenende besiegelte Jamaika-Koalition (CDU, FDP, Grüne) wollen 20 Jahre lang jährlich 500.000 Euro in den Kapitalstock der Stiftung, die das Festspielhaus betreiben soll, einzahlen. Die vielen Nullen hören sich nach einer Tat an, die zum "Ja" im Stadtrat passt, und bei oberflächlicher Betrachtung lässt sich denken, für 500.000 Euro könne man ja viel Energie kaufen. Tatsächlich liegt das Geld aber fest. So ist das bei Stiftungen. Nur die Zinsen des zugestifteten Kapitals stehen für die Betriebskosten im Festspielhaus-Alltag zur Verfügung.

Ist das viel? Ist das wenig? Wer in der Republik recherchiert, wird gefragt: "Habt ihr denn in Bonn keine Taschenrechner?" Doch, haben wir. Es ist weniger als wenig und mehr als nichts. Bei einem Zinssatz von 0,8 Prozent wären das 4000 Euro im ersten Betriebsjahr (2020), 80.000 Euro im Jahr 2039. Zwar verhagelt die Zinsflaute aktuell jede Kapitalrendite, aber selbst bei 1,5 Prozent Zinsen brächte die städtische Förderung im Jahr 2024 lediglich 37.500 Euro für die täglichen Rechnungen zwischen Aufzugswartung, Energie und Unerwartetem - etwa 102,74 Euro täglich. Das dürfte 2024 - Strom wird kaum preiswerter - noch nicht einmal für die Notbeleuchtung einer Woche ausreichen. Zum Vergleich: Andere Kultursäulen lässt sich die Stadt pro Tag mehr als 75.000 Euro (Oper/Schauspiel), mehr als 15.000 Euro (Kunstmuseum) oder mehr als 19.000 Euro (Beethoven-Orchester) kosten.

Der städtische Beitrag bringt der Privatinitiative Beethoven-Festspielhaus folglich bei den jährlichen Betriebskosten keinen Rückenwind, sondern konterkariert das politische "Ja".

Selbst bei 3,0 Prozent Zinsen, wie im Business-Plan unterstellt (s. Text unten), würde Bonns Beitrag 2039 nur rund 800 Euro täglich betragen. Zum Vergleich: Köln oder Dortmund unterstützen ihre Konzerthäuser mit über 12.000 Euro - pro Tag. Möglicherweise geht es wie in einem politischen Schwarzer-Peter-Spiel zwischen CDU, FDP, Oberbürgermeister und SPD nur darum, dass jeder sein Gesicht wahren und keiner als Totengräber der Vision "Festspielhaus" erscheinen will. Aber auch nicht als Streichmeister für das bestehende Kulturangebot.

So fehlt es an klaren Prioritäten. Das ewige Vor und Zurück der vergangenen Jahre bei dem politischen Versuch, der Konzertstätte den Weg zu ebnen, verriet bereits viele interne Widersprüche und hinterließ verwirrte Bürger und vergraulte Sponsoren. Gleichzeitig brachte der öffentliche Diskurs Standpunkte hervor. Auszüge aus der polarisierten Meinungsvielfalt:

Einerseits: Die Stadt kann nicht ein 100-Millionen-Geschenk von Bund, Land und Privaten für Beethoven einfach an sich vorbeiziehen lassen. Andererseits: Die Stadt kann sich gar nichts mehr leisten; sie muss sparen und sollte sich nach dem WCCB-Desaster nicht neuen Leuchtturmprojekten, sondern den "Basics", ihren Hausaufgaben, zuwenden und endlich den Verfall ihrer Sachwerte (etwa Schulen, Sportanlagen, Stadthaus) stoppen.

Einerseits: Die Marke Beethoven bietet Bonn ein weltweites Alleinstellungsmerkmal, und die Bürger lieben mehrheitlich den berühmtesten Sohn ihrer Stadt. Andererseits: Noch eine große Investition mit Folgekosten? Nach einer Studie der Berenberg Bank und des Hamburgischen Weltwirtschaftsinstituts (Kulturstädte-Ranking 2012) bietet keine der 30 größten deutschen Städte mehr private und öffentlich finanzierte Theater- und Sitzplätze (inklusive Musicals) pro 1000 Einwohner als Bonn, während die Bundesstadt bei den laufenden Ausgaben für Bibliotheken hinter armen NRW-Städten wie Duisburg oder Gelsenkirchen liegt.

Einerseits: Die Stadt soll einige ihrer Kultur-Leuchttürme schließen, um sich finanziell Luft zu verschaffen. Andererseits: Hinter dem Begriff "Remanenzkosten" verbirgt sich die Tatsache, dass man nicht heute Oper/Schauspiel schließen und sich morgen über mehr Geld in der Stadtkasse freuen kann. Fast 70 Prozent sind Personalkosten von über 300 städtischen Angestellten. Erst nach Jahren wäre eine finanzielle Entlastung kräftig spürbar.

Am 29. Juni 2012 meldete die städtische Homepage: "Das Festspielhaus ist finanzierbar." Quasi gleichzeitig beklagte Bonn - auch WCCB-bedingt - die höchste Neuverschuldung der letzten Jahrzehnte: mehr als 200 Millionen Euro. Der Bürger, sofern nicht im Detail mit Haushalts- und Festspielhaus-Zahlen vertraut, konnte den Eindruck gewinnen: Wir sind im Kern eine reiche Stadt, das Schuldenproblem wird politisch nur hochgeredet, und wir können trotzdem ein Zukunftsprojekt wie das Festspielhaus stemmen, ohne andere freiwillige Angebote für den Bürger zu streichen.

Dann verkündete 2013 Kämmerer Professor Ludger Sander die Haushaltssperre. Erst vor Wochen die Botschaft: Die städtische Schuldensituation wird immer dramatischer, Politik und Bürger sollen nun im Schulterschluss das Gespenst des Nothaushalts vertreiben, etwa mit einer 56-prozentigen Erhöhung der Grundsteuer. Die sei gerecht, weil sie alle treffe. Im Rathaus erlebten Sander und OB Jürgen Nimptsch erboste Bürger. Vereinfacht: contra Oper/Schauspiel und contra Festspielhaus, pro Bäder und pro Bibliotheken. Der OB sagte: "Wir sind rechtlich verpflichtet, Verträge zu erfüllen."

Das führt zurück zu 2012, als das Festspielhaus weiter auf der Agenda stand, die Haushaltslampe tiefes Rot zeigte und der Rat den OB ausgerechnet im Rekordschuldenjahr beauftragte, vorzeitig einen neuen Theater-Intendanten-Vertrag (bis 2018) abzuschließen. Gab es eine kontroverse, möglicherweise erregte Debatte im Rat dazu? Fehlanzeige. Die Gewählten handelten in großer Eintracht. Es bleibt beim Versteckspiel. Die Botschaft lautet weiter: Ja, wir wollen ein Festspielhaus, und wir machen möglich, was wir können. Nur kann man jetzt nicht mehr viel und wird Opfer eigener Lippenbekenntnisse.

Seit vielen Jahren war bekannt, dass 2010/2011 der letzte Bundeszuschuss für Oper und Schauspiel bezahlt würde. Danach stieg der städtische Zuschuss, bald musste Bonns teuerste Kulturstätte jedoch sparen - so stark, dass der alte Intendant das Weite suchte. Aber wurde genug gespart? Und an der richtigen Stelle? Eignet sich überhaupt die Rasenmähermethode? Oder sollte man statt "kaputt sparen" besser gleich streichen, auch im Interesse des Festspielhauses? Im Gegensatz zum Salzburger Mozart hat Bonns weltberühmter Komponist ja bedauerlicherweise nur eine einzige Oper geschrieben. Das alles sind unangenehme Fragen, die nun lawinenartig über die Politik hereinbrechen, weil die Stadt sich jahrelang das Sparen sparte.

So droht die Vision "Festspielhaus" daran zu scheitern, dass Bonns Politik seit langem Prioritäten fehlen. Keine Weiche wird neu gestellt, kein alter Zopf abgeschnitten und die Rasenmähermethode spiegelt genau das und nur vermeintlich Gerechtigkeit. Und sie spiegelt keinen Mut, sich mit eloquenten Lobbyisten zu streiten. Hartes Sparen kostet zudem möglicherweise etwas, was Politiker am meisten fürchten: Wählerstimmen. Man könnte die jahrelange Untätigkeit auch anders deuten: Soll doch, wenn die Stadt im Nothaushalt landet, die Kölner Regierungspräsidentin die "Grausamkeiten" in Bonn begehen.

Die Vision ist tot, es lebe die Vision. Beim Festspielhaus dreht sich das Machbarkeits-Karussell auch um die Betriebskosten. Ein Knackpunkt. Schon vor dem Business-Plan war nach Adam Riese ein Defizit offensichtlich. Es tagte eine sogenannte Elefantenrunde im Alten Rathaus, nichts drang nach draußen, aber der Flurfunk sendete, dass die Deutsche Telekom AG wohl das Defizit kompensieren würde. 1,5 Millionen Euro per anno, nicht für das Stiftungskapital, sondern für den Betriebs- und Programmalltag. Endlich schien ein Retter aus dem Nebel getreten zu sein. Doch auf einer anderen Frequenz meldete der Flurfunk, dass man da im Rathaus wohl etwas überhört hat, dass die Telekom zwar insgesamt 1,5 Millionen für die Beethovenpflege spendiert, wovon aber fast die Hälfte bereits im Beethovenfest und in der "Beethoven-Competition" platziert ist. Also nur ein halber Betriebskosten-Retter?

Das führt unmittelbar ins emsige Treiben hinter den Kulissen und auch zum Business-Plan. Wenn die Internationale Beethovenfeste Bonn gGmbH gelöscht und Teil der Festspielhaus-Betreiberstiftung würde, ließe sich eine Intendanz sparen. Auch der städtische Jahreszuschuss von 1,6 Millionen für das Beethovenfest könnte mitwandern. Vielleicht auch alle Sponsorenverträge. Die Beethovenfest-Künstlergagen blieben jedoch bestehen, aber Synergien, das Zauberwort der wirtschaftlichen Optimierung, könnten das Defizit senken. Dann bräuchte es jedoch einen neuen Business-Plan. Und innerhalb der Bonner Kulturlandschaft hört man das Gras wachsen. Wenn die Vision Wirklichkeit würde, fürchten alle noch mehr Kürzungen, denn in Bonn wird nicht nur der Kultursubventionskuchen schrumpfen. Die Formel "Aus XXL wird XL" gilt für alle.

Aber "Rasen mähen" bedeutet in der Kultur einen Qualitätsverlust, der irgendwann auffällt - und für manche Kleinkunstbühne das Aus. Leuchtturm-Politik sieht anders aus. Ehrliche Politik auch: "Alles ist möglich", sollte jemals jemand daran geglaubt haben, war gestern. So kommt es zum ernüchternden Taschenrechner-Ergebnis. Ein Festspielhaus kann ohne städtischen Millionen-Zuschuss ebensowenig wie ein Weltkongresszentrum eine schwarze Null schreiben. Auch wenn man in Bonn beim WCCB lange das Gegenteil glaubte.

Chronik

Kurios ist, dass die Standortfrage 2014 dort endet, wo sie vor neun Jahren begonnen hatte. Bereits 2005 schlug der Bonner Kulturrat, der bereits 2001 die Idee eines neuen Festspielhauses mit Blick auf Beethovens 250. Geburtstag 2020 hatte, das Grundstück neben der alten Beethovenhalle vor.

Der erste Ratsbeschluss pro Festspielhaus stammt vom 13. Juni 2007. Das Investitionstrio Deutsche Post, Deutsche Telekom und Postbank will die Baukosten übernehmen. Monate später folgen Zusagen von Bund, Sparkasse und Rhein-Sieg-Kreis über 47 Millionen Euro für die Betreiberstiftung. Es folgt eine jahrelange Standort-Diskussion. Der erste Architektenwettbewerb wird im Sommer 2009 entschieden: Die zwei Siegerentwürfe bedeuten den Abriss der Beethovenhalle. Doch die steht seit 1990 unter Denkmalschutz. Es wird diskutiert: Ratsbürgerentscheid, Bürgerentscheid oder Bürgerbefragung?

Am 21. April 2010 beschließen OB Nimptsch und die Sponsoren, dass das "Projekt vorerst nicht weiterverfolgt werden" soll. Monate später steigen Telekom und Postbank als Baukosten-Sponsoren aus. Ende 2011 nehmen die Bürger das Projekt selbst in die Hand. Wolfgang Grießl, Präsident der Industrie- und Handelskammer (IHK): "Es muss möglich sein, 5000 Festspielhaus-Begeisterte zu finden." Jeder soll 5000 Euro spenden.

Am 24. November 2011 bestellt der Rat bei der Verwaltung ein "Konzept für die nationale und internationale Beethovenpflege". Indes fehlen weiter Millionen. Im Juli 2012 sagt CDU-Fraktionsvorsitzender Klaus-Peter Gilles: "Wenn das Geld jetzt noch nicht auf dem Tisch liegt, heißt das nicht, dass die Finanzierung nicht machbar ist."

21. Juni 2013: 30 Bonner Firmen aus der Hotel- und Gaststättenbranche wollen einen Beethoventaler sammeln. Die Initiative soll einen Baukredit von 25 Millionen Euro ermöglichen. Am 23. Juni 2014 unternimmt der Rat einen zweiten Anlauf und will die Kosten für die Erschließung des Grundstücks neben der Beethovenhalle tragen. Ein neuer Architektenwettbewerb: Ende Oktober 2014 wählt die Jury aus. Weiter fehlen Millionen für Bau- und Betriebskosten.

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