Interview zu Hamsterkäufen mit Rationalitäts-Forscher „Das Coronavirus löst Unsicherheit aus“

Bonn · Ralph Hertwig leitet den Forschungsbereich „Adaptive Rationalität“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung. Über Hamsterkäufe und die Wahrnehmung von Risiken hat Dennis Scherer mit ihm gesprochen.

 Ralph Hertwig, Leiter des Forschungsbereichs „Adaptive Rationalität“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin.

Ralph Hertwig, Leiter des Forschungsbereichs „Adaptive Rationalität“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung, Berlin.

Foto: arne sattler

Ralph Hertwig leitet den Forschungsbereich „Adaptive Rationalität“ am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin. Zu seinen Fachgebieten zählt auch die Psychologie des Risikos. Dennis Scherer hat mit ihm über Hamsterkäufe  gesprochen und wie wir Risiken wahrnehmen.

Herr Hertwig, wie viel Nudeln und Toilettenpapier haben Sie zu Hause?

Hertwig: Ehrlich gesagt, müsste ich nachschauen. Wenn ich feststelle, dass es leer ist, kaufe ich neues.

Sie haben also keine Sorgen, dass demnächst nichts mehr zu kaufen ist?

Hertwig: Nein, bei Nahrungsmitteln kann man ja ausweichen. Wenn tatsächlich Nudeln ausverkauft sind, kann man mal Kartoffeln essen – oder Reis. Wir leben in Gesellschaft in der es viele Optionen gibt.

Warum verspüren viele Leute jetzt den Drang, in den Supermarkt zu gehen und sich einzudecken?

Hertwig: Natürlich sitze ich nicht in den Köpfen der Leute. Aber das Coronavirus löst Unsicherheit aus. In dieser Situation ist das Verhalten anderer Menschen für uns sehr informativ. Wenn wir im Supermarkt sehen, dass bestimmte Dinge ausverkauft sind, ist das ein Zeichen: Andere Leute denken offenbar, Nahrungsmittel könnten zu Ende gehen.

Was passiert dann?

Hertwig: Alle schauen auf die leeren Regale. Dadurch, dass Menschen das Verhalten von anderen imitieren, kann eine Dynamik losgetreten werden, die sich selbst verstärkt. Dann haben wir diese Hamsterkäufe.

Also ist das rational, so zu handeln?

Hertwig: Darüber kann man sicher debattieren. Das Verhalten der anderen wird zum Signal, das ich versuche zu verstehen. Für sich genommen ist das nicht irrational – überhaupt nicht. Das tun wir in vielen Bereichen. Man kann aber auch fragen: Befürchte ich wirklich, dass in ein paar Wochen kein Reis mehr da sein wird? Man sollte sich nicht von den vielen sozialen Signalen überrennen lassen.

Wird das Virus als besonders gefährlich wahrgenommen, weil es nicht sichtbar ist?

Hertwig: Die Wahrnehmung von Gefahren ist häufig nicht identisch mit den objektiven Statistiken. Das liegt an den Eingenschaften von Risiken. Etwa: Ist uns das Risiko bekannt oder ist es neu? Viren oder radioaktive Strahlen kann ich auch nicht beobachten. Es scheint so zu sein, als würden dieses Dinge ein diffuses Gefühl der Unsicherheit auslösen.

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort