Interview "Das Bedürfnis nach Kommunikation ist oft größer als das Misstrauen"

Bonn · Über Trickbetrug aus psychologischer Sicht sprach Christoph Meurer mit dem Bonner Professor Wolfgang Maier.

 Professor Wolfgang Maier arbeitet an der Bonner Universitätsklinik.

Professor Wolfgang Maier arbeitet an der Bonner Universitätsklinik.

Foto: DZNE

Gibt es Menschen, die besonders anfällig für Trickbetrug sind?
Wolfgang Maier: Vereinsamte Menschen leiden unter dem Mangel an sozialen Kontakten, Gesprächen, zwischenmenschlicher Zuwendung und Anerkennung. Diese Lebenssituation kommt zum Beispiel bei eingeschränkter Mobilität und bei fehlendem oder geringem Familienanschluss vor - etwa im Alter. Anfällig können aber auch Menschen sein, die Angsterkrankungen haben und daher nicht auf die Straße gehen und dann kommunikativ verarmen, aber den Wunsch nach sozialen Kontakten haben. Solche Menschen gehen leichter auf ein Gespräch mit Trickbetrügern ein. Sie wollen sich kommunikativ austauschen, bitten die Betrüger daher sogar in die Wohnung. Wenn Betrüger dann noch scheinbar auf sie eingehen, lassen sie sich oft auch bereitwillig überzeugen. Hierfür besonders gefährdet sind Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen.

Sind daher ältere Menschen besonders gefährdet, Opfer von Trickbetrug zu werden?
Maier: Ältere Menschen sind deshalb eine sehr gefährdete Gruppe, weil sie häufiger alleine leben und nicht mehr beruflich gebunden sind. Mit dem Beruf fällt ein früheres zentrales soziales Umfeld weg. Dieser Kontaktmangel bei Alleinstehenden wird bei fehlendem familiären Anschluss besonders schmerzlich erlebt. Der gesellschaftliche Wandel begünstigt in dieser Hinsicht die Trickbetrüger: Familien werden kleiner, der familiäre Zusammenhalt wird immer brüchiger. Über 60 Prozent der über 80-jährigen Frauen leben alleine zu Hause, sogar über 40 Prozent der ambulant versorgten Pflegebedürftigen leben alleine. An Wohnungstüren klingelnde Betrüger haben daher leider oft leichtes Spiel. Dazu kommt: Im Alter nimmt bei vielen die kognitive Leistungsfähigkeit ab, und damit nimmt auch die Urteilsfähigkeit ab. Das gilt natürlich insbesondere für demenziell erkrankte Menschen. In Deutschland leben viele Menschen mit einer fortgeschrittenen Demenz in einem Alleinhaushalt, vor allem in den Großstädten, das sind bundesweit mehrere Hunderttausend Menschen.

Wie wirkt sich eine kognitive Beeinträchtigung aus?
Maier: Eine kognitive Beeinträchtigung führt zu Einschränkungen des Urteilsvermögens und behindert damit die Kritikfähigkeit. Zudem kommt es im Alter zu Persönlichkeitsakzentuierungen: Das kann einerseits dazu führen, dass Menschen besonders misstrauisch werden. In solchen Fällen ist das Risiko sicher geringer, Opfer eines Trickbetrügers zu werden. Aber nicht alle werden misstrauisch, die anderen werden besonders gutmütig und gutgläubig, sie geben kritiklos übermäßigen Vertrauensvorschuss. Dann ist die Gefahr groß.

Kann es an der mangelnden sozialen Einbindung liegen, dass immer noch Menschen auf Trickbetrüger hereinfallen?
Maier: Diejenigen, die kognitiv beeinträchtigt und vereinsamt sind, nutzen auch kaum Medien, durch die sie gewarnt werden könnten. Eine kognitive Beeinträchtigung führt zudem auch zu Verständnisproblemen bezüglich solcher Informationen. Warnungen gehen dann an den Menschen vorbei.

Ist es daher für betroffene Menschen schwer, sich gegen Trickbetrüger zu wehren?
Maier: Das setzt ja ein gewisses Misstrauen, Kritikfähigkeit und -bereitschaft voraus. Aber noch einmal: Wenn jemand sozial vereinsamt lebt, ist er froh und dankbar, wenn jemand zu ihm kommt. Das Bedürfnis nach Kontakt und Kommunikation ist dann sehr oft größer als das Misstrauen, selbst wenn es dazu viel Anlass gäbe.

Bräuchten gefährdete Menschen ein festeres soziales Umfeld?
Maier: Das ist leichter gesagt als getan. Klar, es gibt Altentagesstätten oder ambulante Pflege- und Betreuungsdienste. Im Rahmen solcher Angebote könnte mehr über Trickbetrug augefklärt werden. Auch könnte das ambulante Pflegepersonal entsprechend geschult und mit einer gut bebilderten Broschüre ausgestattet werden, die es den Senioren aushändigt. So könnten ältere Menschen hinsichtlich Trickbetrugs wirksamer sensibilisiert werden als über die üblichen Medien. In dieser Gefährdetengruppe muss auf die individuelle Situation eingegangen werden, um etwas zu erreichen.

Was löst Trickbetrug in einem Menschen aus?
Maier: Zunächst entsteht beim Reinfall auf einen Trickbetrug Wut und Beschämung. Viele Menschen wollen wegen dieser Scham nicht darüber sprechen. Sie fühlen sich ausgenutzt, Selbstzweifel und Verbitterung machen sich breit. Verbitterung kann eine längerdauernde emotionale Belastung hervorrufen. Es kann dann passieren, dass Betroffene abweisend werden, die Türe gar nicht mehr öffnen, überhaupt nicht mehr hinausgehen und damit zu ihrem eigenen Schaden ihren Aktionsradius einschränken.

Bedürfen Opfer von Trickbetrug einer therapeutischen Behandlung?
Maier: Wir sind eine spezialisierte Klinik, zu der Menschen mit solchen Problemen kaum kommen. Es sei denn, der Betrug ereignet sich bei zum Beispiel bestehender Krankheit, etwa depressive Menschen, die zu uns kommen und die aufgrund eines krankheitsbedingten Rückzugsverhaltens Opfer werden. Hausärzte sind mit dem Problem sicher häufiger konfrontiert. Auch ist Trickbetrug nicht unbedingt ein Anlass für die Betroffenen, spezialisierte medizinische und therapeutische Hilfe zu suchen.

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