Neue Schichten im Wach- und Streifendienst Das ändert sich bei der Bonner Polizei

Bonn · Eine Arbeitszeitverordnung aus Brüssel zwingt die Bonner Polizeibehörde zur Veränderung der Dienstpläne. Die Bürger sollen keine Nachteile erfahren, versicherte Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa.

Büroarbeit und Organisation ist man bei der Polizei gewohnt. Derzeit aber verlangt eine Richtlinie des Europäischen Parlaments ein bis dato ungeahntes Maß an interner Neuorganisation. Weil die bisherigen Dienstpläne für den gesamten Wach- und Streifendienst mit der Novelle nicht mehr kompatibel sind, müssen die Schichtdienste für die Beamten in jenen Bereichen völlig neu strukturiert werden. Die Bürger, so versichert die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa im Gespräch mit dem General-Anzeiger, würden dadurch allerdings keine Einschränkungen erfahren. Eher sei das Gegenteil der Fall.

Die Richtlinie: Die EU-Richtlinie stammt aus dem Jahr 2003. Die frühere NRW-Landesregierung hat sie in einer ihrer letzten Amtshandlungen vor der Abwahl im vergangenen Mai in eine verbindliche Form gegossen und soll eigentlich seit Beginn dieses Jahres angewendet werden. AZVOPol NRW, so lautet die Kurzform der Arbeitszeitverordnung. Auch für andere Berufszweige gilt die EU-Richtlinie. Dass sie Institutionen wie Polizei, Bundeswehr oder auch Krankenhäuser besonders trifft, liegt an Schichtdiensten und Bereitschaftszeiten, die dort kaum vermeidbar sind. So setzt die Verordnung einen neuen Rahmen, wie die Arbeitszeit von durchschnittlich 41 Stunden in der Woche verteilt werden darf, wie viele Überstunden und welche Schichtmodelle zugelassen sind. Bisher war es beispielsweise so, dass im Wochenrhythmus die Schichten gewechselt wurden. Nun dürfen nicht mehr als drei Nachtschichten am Stück absolviert werden.

Für Bonn keine neue Situation

Für das Polizeipräsidium Bonn, wo etwa 450 der insgesamt knapp 1200 Beamten von den Veränderungen persönlich betroffen sind, kommt all das nicht überraschend. Lange vor der Weltklimakonferenz im November, die die Behörde in einen Ausnahmezustand versetzte, begann man im Polizeipräsidium mit der Abwägung und Diskussion verschiedener Modelle. Zudem konnten die Beamten darüber für verschiedene denkbare Varianten abstimmen. „Wir sind in einem sehr intensiven Prozess“, sagt Brohl-Sowa. Anfang März sollen zwei Wachen schon einmal in den Probebetrieb gehen.

Die Auswirkungen: „Die Schichtdienste dürfen zum Beispiel nur vorwärts rotieren“, erklärt Leitender Polizeidirektor Helmut Pfau. Das heißt: Auf die Früh- darf eine Spätschicht folgen und darauf eine Nachtschicht. Freimütiges Wechseln und Tauschen zwischen den Schichten, unter Polizeibeamten mit individuellen privatenBedürfnissen und Vorlieben lang geübte Praxis, wird damit nahezu unmöglich. Vorgegeben wird auch, dass maximal fünf bis sieben der gleichen Schichten aufeinander folgen sollen. Nicht mehr zulässig ist es etwa, um 22 Uhr seinen Spätdienst zu beenden und um 6 Uhr seinen Frühdienst zu beginnen. Das verkürzte zwar die Ruhezeiten, war aber beliebt, weil sich dadurch längere Freiräume ergaben. Ein neues Schichtsystem war dem Vernehmen nach das Letzte, was Polizeibeamte in NRW herbeigesehnt haben. Doch Mediziner argumentieren, dass ein schnell und vorwärts rotierendes System gesundheitlich besser zu bewältigen sei. An Sinn und Zweck für Gesundheit und Fürsorge der neuen Regelung zweifelt Brohl-Sowa nicht. Im einjährigen Probebetrieb laufen in den Dienststellen der Bonner Polizei drei verschiedene Schichtsysteme, bei denen sich die Beamten je nach Variante auf die Dienste verteilen.

Personalstärke

Dass das strengere Reglement einen zusätzlichen Personalaufwand mit sich bringt, will die Bonner Polizeiführung mit einem Puffer lösen: Der Dienst in den Wachen, in den Streifenwagen, der Kriminalwache, der Leitstelle und im Polizeigewahrsam soll zehn Prozent mehr Personal bekommen. Dass dieses Zehntel nicht vom Himmel fällt, sondern intern „rekrutiert“ werden muss, sorgt dem Vernehmen nach für Unruhe. Nicht jeder Beamte möchte in den Wach- und Wechseldienst. Und: Längst nicht jeder ist aufgrund medizinischer oder altersbedingter Einschränkungen dazu überhaupt in der Lage. All das stellt die Planung vor Herausforderungen.

Demografischer Faktor

Die Neuregelung trifft sämtliche Polizeidienststellen im Lande. Verschärft werde die Situation in Bonn aber durch eine Besonderheit: der hohe Altersschnitt, der hier nicht zuletzt durch den Wegzug der Bundesregierung und über Jahre fehlende Nachbesetzungen besonders stark ausgeprägt sei. Nun habe zwar die neue Landesregierung zugesagt, die Einstellungen um jährlich 2300 Beamte zu erhöhen. Der sogenannte Nachersatz muss aber erst einmal ausgebildet werden, kompensiert in erster Linie Pensionierungen und könnte folglich nicht von jetzt auf gleich helfen. Und doch gibt die Politik der Polizeipräsidentin in dieser Hinsicht Anlass, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen: „Wir sprechen über ein temporäres Problem“, sagt Brohl-Sowa. „In einigen Jahren werden wir das Tal der Tränen durchschritten haben.“

Auswirkungen

Auf die Polizeipräsenz in Stadt und Region werden sich die neuen Schichten positiv auswirken, sagt die Polizeipräsidentin. „Wenn wir zehn Prozent mehr Ressource in eine Einheit stecken, wird das draußen auch bemerkbar sein“, sagt Brohl-Sowa. Was dem Wachdienst nützt, schadet gleichwohl anderen Aufgabenbereichen, sofern die Gesamtstärke unverändert bleibt und die Einstellungen von angekündigten zusätzlichen Tarifbeschäftigten dort die Aufgaben nicht bald kompensieren. Bei der Gewerkschaft der Polizei (GdP) begrüßt man die Vorschrift, die dem Wohl der Beamten im Wechselschichtdienst dient, sieht aber auch die Probleme. „Das Haus steht vor der Quadratur des Kreises“, sagt der Bonner GdP-Vorsitzende Udo Schott. „Wir sind mehr als skeptisch, ob diese Herausforderungen zu stemmen sind. Eine Entspannung der Personalsituation erwarten wir in frühestens fünf Jahren.“

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