Universitätsforum "Brüsseler Abendgebet hilft nicht mehr"

BONN · Zeit-Journalist und EU-Forscher nehmen Kanzleramtschef Peter Altmaier in die Zange.

 Im Gespräch: Bodo Hombach (l.) und Peter Altmaier.

Im Gespräch: Bodo Hombach (l.) und Peter Altmaier.

Foto: Volker Lannert

Vielleicht hatte Peter Altmaier am Freitagabend im Universitätsforum an ein leichtes Heimspiel mit sicherem Sympathiesieg geglaubt: Der Chef des Bundeskanzleramtes erinnerte an seine persönlichen fünf Jahre im Bundestag zu Bonn, lobte die Rhein-Region als wirtschaftlichen und geistigen Schwerpunkt Europas und hielt dann ein so flammendes Plädoyer auf die EU, dass er erst den umherfliegenden Skriptzettel zeriss ("Ach, brauche ich sowieso nicht.") und dann mit seiner Ansprache zumindest wankelmütige EU-Skeptiker umgarnend für das Projekt Europa gewann.

Doch Bodo Hombach, Präsident der Bonner Akademie für Forschung und Lehre praktischer Politik, hatte zur Debattenrunde "Europa am Scheideweg - Krisen, Kritiker und Referenden" schon in seinen Eingangsworten leicht den Finger auf Brüsseler Mängel gelegt und damit das Konfliktfeld aufgezogen. Von "Paragrafen-Fetischisten, die unter Einheit Einheitlichkeit verstehen" sprach er, auch davon, dass Dinge, die nicht funktionierten, meist zu groß seien - in zweierlei Sinn: zu groß, um steuerbar zu sein, zu groß, um verstanden und geschätzt zu werden.

Und doch sprang Altmaier für das Große in die Bresche, argumentierte mit nicht weniger als der Einigung Europas als Garant für Frieden. "Nach einer unendlichen Geschichte des Elends, in der Leben und Glück vieler junger Generationen verpulvert wurde, erleben wir seit 70 Jahren Frieden auf diesem Kontinent", sagte er, "die EU ist das Beste, das europäischen Völkern passieren konnte."

Angesichts der Krisenherde und Konflikte sei das Friedensargument alles andere als altmodisch. Er hob die Einzigartigkeit der europäischen Integration hervor: "Das gibt es nirgendwo sonst auf der Welt", so Altmaier, "nicht auf dem Balkan, nicht in der ehemaligen Sowjetunion mit ihren Satellitenstaaten."

Für die großen, emotionalen Bögen, die Altmaier spannte, nahm ihn die jüngere Generation, etwa Ulrike Guérot, Professorin für Europapolitik, und der ehemalige EU-Korrespondent der Zeit, Jochen Bittner, in die Zange. "Dieses Brüsseler Abendgebet hilft doch in dieser Situation nicht", kritisierte Bittner den Kanzleramtschef, "die Menschen haben das Gefühl, durch die Europäisierung ganz klar zu verlieren. Die EU bietet ihnen keinen Mehrwert."

Statt "Gesundbeterei", so Bittner, sei es Zeit für einen Kassensturz über Kosten und Nutzen. Und: "Es hätte geholfen, wenn man die Reformvorschläge, die Großbritannien der EU seit Jahren macht, ernstzunehmen und sie nicht wie Kritik an einem Heiligtum abzubügeln." Gegen Altmaiers "neue Romantik" wehrte er sich klar: "Das Projekt EU steht seit Jahren unter Naturschutz. Das muss aufhören." Ein Schlagabtausch, der Applaus bekam.

Mit nach Hause nehmen konnten die Zuhörer des bis auf den letzten Platz besetzten Saales vor allem Altmaiers Haltung zum Umgang mit Großbritannien. Er warnte vor allzu scharfen Tönen gegenüber dem Königreich: "Man kann in kurzer Zeit viel zerstören, was in 70 Jahren gewachsen ist."

Der Kanzleramtschef erinnerte an das fast vergessene Referendum in Griechenland zu den EU-Auflagen, an die negativ ausgegangenen Volksabstimmungen zu den EU-Verträgen in Frankreich und Holland. Heute könne man mit allen Ländern weiter gut arbeiten.

Sein Tipp: "Resignieren wir nicht, kippen wir nicht Häme und Kritik über Großbritannien, sondern geben wir unseren britischen Freunden Zeit, ihr Referendum zu überdenken und sich neu aufzustellen." Da schwang viel Hoffnung mit, dass kein britischer Premier Ernst macht und in Brüssel tatsächlich den EU-Austritt erklärt. Ein Mix aus Bittner und Altmaier auf EU-Arbeitsebene, der könnte die Briten vielleicht noch überzeugen.

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