GA-Serie "Sicher leben" Brohl-Sowa: Wir brauchen einen Masterplan

Bonn · Ist gute Präventionsarbeit messbar? Warum steht auch die Polizei in Zukunft vor großen Herausforderungen bei der Vorbeugung von Verbrechen? Zum Abschluss der GA-Präventionsserie "Sicher leben" ziehen die Bonner Polizeipräsidentin Ursula Brohl-Sowa und Friedhelm Herholz, Leiter des Kommissariats Prävention, Bilanz. Mit ihnen sprach Axel Vogel.

 Prävention an der Haustür: Torsten Löv (links) und Friedhelm Herholz informieren und beraten Hausbewohnerin Karin Kramer, nachdem "Fensterbohrer" in Geislar versucht haben, in Häuser einzudringen.

Prävention an der Haustür: Torsten Löv (links) und Friedhelm Herholz informieren und beraten Hausbewohnerin Karin Kramer, nachdem "Fensterbohrer" in Geislar versucht haben, in Häuser einzudringen.

Foto: Max Malsch

Was bedeutet Prävention?
Ursula Brohl-Sowa: Prävention heißt genau genommen nichts anderes, als dass wir in unserer Gesellschaft auf andere wie auch auf uns selbst achtgeben sollten. Und dass es zum Wohlergehen und Schutz aller Regeln gibt, die es einzuhalten gilt. Über die Einhaltung dieser Regeln zu informieren und zu sensibilisieren, Verhaltenstipps zu geben, ist für uns klassische Präventionsarbeit. Natürlich bleiben Gefahrenabwehr und Aufklärung von Straftaten ebenfalls eine ureigene Aufgabe der Polizei.
Friedhelm Herholz: Aber jede Straftat, die durch Prävention verhindert wird, ist ein Erfolg.

Täuscht die Wahrnehmung oder hat die Polizei das Thema Prävention erst in den letzten Jahren offensiv nach außen getragen?
Herholz: Richtig ist, dass sich die Polizei schon immer mit diesem Thema beschäftigt hat, aber oftmals ist das vergleichsweise unmerklich für die Öffentlichkeit in der Behörde selbst geschehen. Das hat sich aber inzwischen grundlegend geändert.
Brohl-Sowa: Was auch darauf zurückzuführen ist, dass es wohl kaum eine Zeit gegeben hat, in der sich die Welt so schnell und nachhaltig gewandelt hat wie jetzt. Ich verweise nur auf das Internet und das Kommunizieren über soziale Netzwerke wie Facebook. Das bedeutet, dass viele Menschen lernen müssen, mit diesen Veränderungen richtig umzugehen. Auch dazu müssen wir Verhaltenstipps geben. Das reicht aber nicht aus, wir müssen den Kontakt zum Bürger herstellen, gewissermaßen in die Köpfe der Menschen kriechen.

Wie klappt das?
Brohl-Sowa: Vor allem durch eine umfassende Netzwerkarbeit. Das heißt, die Polizei muss sich beispielsweise mit den Kommunen, aber auch mit Organisationen wie dem Opferschutzverein Weißer Ring, Verkehrsvereinen oder Frauenberatungsstellen verstärkt austauschen und Kräfte bündeln. Zudem ist die Zusammenarbeit mit Medien ungemein wichtig, um den Bürger zu erreichen. Das hat auch mit der ungewöhnlichen Aktion geklappt, bei der Polizisten Glöckchen auf dem Bonner Weihnachtsmarkt verteilt haben, um so auf Taschendiebe aufmerksam zu machen.
Herholz: Ja, das ist in der Tat ein großer Erfolg. Nicht nur, weil wir eine Riesenresonanz auf die Aktion hatten und alle 2500 Glöckchen bereits verteilt sind. Wir haben eine neue Lieferung in Auftrag gegeben. Vor allem ist die Zahl der Taschendiebstähle auf dem Weihnachtsmarkt, die in Bonn immer recht hoch war, schon jetzt signifikant zurückgegangen.

Gibt es noch einen Deliktsbereich, wo sich aus Ihrer Sicht Prävention ausgezahlt hat?
Herholz: Zum Beispiel beim "Enkeltrick", mit dem Betrüger durch fingierte Telefonanrufe eine Notsituation des Enkels vortäuschen; damit wollen sie die Senioren um ihr Erspartes bringen. Hier hat Aufklärungsarbeit offensichtlich dazu geführt, dass auch das Umfeld eines Betrugsopfers immer aufmerksamer wird. So hat uns unlängst eine Bankmitarbeiterin verständigt, als eine ältere Kundin auf einen Schlag 30 000 Euro abheben wollte.
Brohl-Sowa: Auch beim Thema Einbruch hat sich meines Erachtens unsere umfangreiche Präventionsarbeit bewährt: So lag bis zum September der Anteil der Einbrüche, die im Versuch steckengeblieben sind, im Zuständigkeitsbereich der Bonner Polizei bei mehr als 50 Prozent. Das ist ein landesweit auffällig guter Wert. Da aber auch in Bonn und der Region zunehmend überörtlich aktive Banden tätig sind, die professionell agieren, ist in letzter Zeit der Versuchsanteil gesunken.

Wie wichtig ist Präventionsarbeit speziell mit Blick auf die vielen tausend Flüchtlinge, die mittlerweile in Bonn und der Region leben?
Herholz: Aus meinen bisherigen Erfahrungen weiß ich, dass das Thema sehr wichtig ist. So haben wir beispielsweise auf Bitten einer Schulleitung Präventionsveranstaltungen zur häuslichen Gewalt in den sogenannten internationalen Klassen abgehalten. Freiheits- und Gleichheitsrechte waren dort genauso Thema wie das Verbot, Frauen zu schlagen.
Brohl-Sowa: Die kulturellen Unterschiede sind groß - das erleben wir in unserer täglichen Arbeit. Wir brauchen eine Diskussion um Werte und vernünftige Integration, sozusagen einen Masterplan.

Zu den Personen

Ursula Brohl-Sowa ist 60 Jahre alt, Mutter einer erwachsenen Tochter und eines erwachsenen Sohnes und lebt mit ihrem Mann in Köln. 1982 trat die Juristin in den NRW-Landesdienst ein, sie begann ihre Laufbahn beim Bauministerium. Ab 1989 war sie in verschiedenen Führungsfunktionen im Innenministerium tätig. Als Haushaltsbeauftragte war sie zwischen 2000 und 2008 auch für die Polizeifinanzen verantwortlich. Zuletzt führte sie als stellvertretende Abteilungsleiterin das Referat für Landesorganisation und Verwaltungsmodernisierung. Im November 2011 wurde Brohl-Sowa zur Bonner Polizeipräsidentin ernannt.

Friedhelm Herholz ist 60 Jahre alt und seit 43 Jahren im Polizeidienst. Davon arbeitete er 31 Jahre bei der Kriminalpolizei, unter anderem drei Jahre als Fachlehrer in Brühl. Bevor der Kriminalhauptkommissar 2012 die Leitung des Kommissariats Kriminalprävention/Opferschutz übernahm, war er neun Jahre lang als Ermittler beim Fachkommissariat "Betrugskriminalität" tätig. Herholz hat zwei schulpflichtige Kinder.

"Sicher leben": Serie als Broschüre

Alle Texte der GA-Präventionsserie sind in der Broschüre "Sicher leben. Gefahren erkennen und vorbeugen" nachzulesen, die ab sofort in den GA-Zweigstellen erhältlich ist. Das 56 Seiten starke Heft kostet 3,50 Euro.

Einbruch, Taschendiebstahl, Internetkriminalität: Jeder kann im Alltag zum Opfer werden. Wie man sich selbst, seine Familie und sein Eigentum am besten schützen kann, hat der General-Anzeiger in seiner zwölfteiligen Serie berichtet. Alle Themen, Zahlen und Fakten sowie die Tipps der Präventionsexperten gibt es in der neuen Broschüre zum Aufbewahren, Nachlesen und Verschenken.

Das Heft "Sicher leben" enthält neben den Serientexten einen Anhang mit wichtigen Rufnummern, zum Beispiel von Frauenhäusern, Selbsthilfekontaktstellen und den Opferschutzbeauftragten der Polizei.

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